Ausgabe März / April 2019 | Wissen & Können

New York, New York …

Seit 65 Jahren baut Karl Sperber in Burgebrach an seiner Megacity aus Pappe. Über 4000 Gebäude, Fabriken, Kirchen, Wohnanlagen, Bahnhöfe und vor allem Wolkenkratzer – alle im Maßstab 1:500 – können in seinem Ausstellungsraum bewundert werden.

Text: Maria Inoue-Krätzler | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Aus der Vogelperspektive blickt man auf ein riesiges Häusermeer und Straßenschluchten. Wolkenkratzer ragen auf. Dazwischen stehen Häuserblocks in unterschiedlichen Geschoßhöhen, Schulen, Kirchen im Neugotischen Stil, Fabrikanlagen, Bahnhöfe und kleine Grünanlagen. Ein Hochhaus erinnert an das Uno-Hauptquartier in New York, geplant von Le Corbusier. Der Turm dort, in Bleistiftform läßt an Helmut Jahns Messeturm in Frankfurt denken. Weiter hinten ragen zwei schmale Häuser auf, die so zueinander stehen, wie früher die Twin Towers. Wir befinden uns vor einer Mega-City – aus Pappkarton. Gebaut im Maßstab 1:500. Karl Sperber ist kein Architekt. Dennoch hat er sein Leben lang Häuser gebaut. Rund 4 000 Häuser sind mittlerweile entstanden. Seit er vierzehn  Jahre alt ist, beschäftigt er sich mit dem Bau kleiner Papphäuser, die er zu einer Mega-City im Stile Chicagos oder New Yorks zusammenstellt. Auf 40 Quadratmetern, in einem ehemaligen Möbelgeschäft am Ortsausgang von Burgebrach bei Bamberg, hat er seine Phantasiestadt errichtet. Mancher, der mit dem Auto auf der B22 an dem Schaufenster vorbeifährt, macht kehrt, um sich die einzigartige Architekturlandschaft aus Pappe anzusehen. „Als ich neun Jahre alt war, hatte ich bei meiner Oma ein Zeitungsfoto von Chicago gesehen und war begei­stert von der Stadt!“ erzählt der 79jährige Rentner. „Damals war für mich Amerika ein Traum!“ Und den sollte er sich nach und  nach selber erbauen. Die ersten Häuser fertigte er aus Holz. „Wir haben ja nichts gehabt!“ Sie wurden von seiner Mutter im Ofen verheizt. Nachdem er sein erstes Haus aus Pappe gemacht hatte, baute er ein zweites und drittes und so fort. „Ich kann nicht damit aufhören!“ sagt er auch jetzt.

Besucher aus Deutschland und der Welt

Auch während seiner Berufstätigkeit in einem Industriebetrieb und später als Möbelverkäufer und selbständiger Möbelhändler hatte er sein Hobby immer weitergeführt. „Wenn ich ein Problem in der Arbeit hatte, habe ich mich an meinen Schreibtisch gesetzt und an einem Haus getüftelt. Dabei sind mir dann oft Problemlösungen für meine eigene Arbeit eingefallen“, erklärt er. Wenn es gut lief, hat er um die 90 Häuser pro Jahr gebaut. Manchmal hat er in großem Schaffensrausch viele Häuser am Stück gefertigt, dann wieder pausierte er für zwei, drei Monate. Seit 65 Jahren baut er an seiner Phantasiestadt, einer Megacity ganz ohne Verkehrschaos, Streß und Gewalt. Seit im letzten Jahr ein Foto davon in Umlauf gebracht wurde, ist er ein gefragter Gesprächspartner bei Presse- und Fernsehleuten und eine kleine Berühmtheit in Burgebrach. Medienleute vom Allgäu bis zur Ostsee hatte er schon zu Gast. „Manchmal wird mir der Trubel schon ein bißchen zuviel“, sagt er. Schließlich sei das schlichtweg sein Hobby, dem er nachgegangen sei. Ein Hobby, das ihn fit hält. „Während meine Klassenkameraden von früher, die Fußball gespielt haben, oft Knieprobleme bekommen haben, bin ich gesund!“ sagt er und schmunzelt. Eine Gruppe von Architekten, die eigentlich eine Tour zu fränkischen Brauereien unternommen hatte, machte sofort eine Kehrtwendung, um sich die Papierstadt anzusehen, erzählt Karl Sperber amüsiert. Eine Architekturprofessorin meinte, sie müsse die Stadt aus Papier unbedingt ihren Studenten zeigen. Sogar Fernsehteams aus fernen Ländern wie Malaysia und Uruguay hätten sich angekündigt, berichtet er mit gewissem Stolz.

… zur Musik der 1950er Jahre

Wie er die Häuser baut? So ganz läßt er sich dabei nicht in die Karten schauen. „Zunächst einmal habe ich eine Vorstellung, eine Idee davon im Kopf, wie das Haus aussehen soll. Dann skizziere ich die Idee auf Papier.“ Einfaches Verpackungsmaterial von Bettwäsche, Schuhkartons, Papprückseiten von einem Collegeblock  beispielsweise, genügen als Baumaterial. Seine Werkzeuge passen in genau zwei Schuhschachteldekkel: drei, vier längere Lineale, ein großes Geodreieck, Bleistifte in verschiedenen Stärken, schwarze und braune Filzmarker, Scheren, dazu Uhutuben.

Karl Sperber und seine Stadt aus über 4000 Häusern aus Pappe

In einem kleinen Raum, ein paar Häuser weiter, sitzt er hinter Gardinen an einem einfachen Kiefernholztisch. „Jeder weiß, daß ich da bin, wenn die Gardinen zur Seite geschoben sind“, sagt er.  Beim Arbeiten hört er klassische Musik oder Schlager der 1950er Jahre von Caterina Valente, Peter Alexander oder Conny Froboess aus dem tragbaren CD-Player. Wie er die Pappe schneidet und faltet, bleibt ein bißchen sein Geheimnis. Je nach Komplexität der Form braucht er mal mehr oder weniger Zeit. In drei Stunden schafft er einen einfacheren Hochhausblock. „Aufwendig wird es, wenn ich viele Fenster und Balkone per Hand aufzeichne“, erzählt er. „Dazu brauche ich dann um die 12 Stunden.“ Einige Häuser haben auf den Seiten abstrakte Gemälde im Stile Kandinskys im Miniformat bekommen. Andere erinnern in ihrer Schwarz-Weiß-Optik an Mario Bottas Gebäude.

Mit unheimlicher Beharrlichkeit, Hingabe, Aufmerksamkeit und einer gehörigen Portion an Eigensinn, blieb er an seinem Projekt und entwickelte sich dabei weiter. Die Formen wurden komplexer. Anfangs waren die Baukörper meist qauderförmig. Dann baute er auch achteckige, zum Teil aufgeschnittene Baukörper, experimentierte mit verschiedenen Oberflächen in Gold, Hellblau oder dem tiefen Grün (einer After Eight-Folie), oder auch mit runden Formen, die immer klar als Wohnblocks oder Wolkenkratzer erkennbar blieben. An komplexe Bauten im Stile des Biomorphismus wagt sich Karl Sperber nicht heran. Eine aufgeworfene Figur wie das Guggenheim-Museum in Bilbao von Frank O. Gehry, organisch geschwungene Formen wie die von Santiago Calatrava  oder  Zaha Hadid, oder gewagtes Design wie Renzo Pianos „The Shard“ genannten Bau in London, lassen sich mit seinem Material nicht so ohne weiteres bauen.

Die Realität hielt seinem Traumideal stand

Karl Sperber schätzt Architekten wie Le Corbusier oder Oscar Niemeyer, der die Idealstadt Brasilia auf dem Reißbrett entworfen hatte. Dennoch ist es sein Anliegen, eine Stadt zu bauen, die lebendig ist. Es gibt deshalb auch unterschiedlich hohe Häuser, gewöhnliche Wohnblocks und kleine Grünflächen. „Ich baue aber nichts genau nach“, betont er. Es handelt sich vielmehr um eine traumwandlerische Anverwandlung des Eindrucks, den er durch das Betrachten von Bildbänden oder Filmen über die amerikanischen Städte gewinnt.

Obwohl er sich sein Leben lang mit den Mega-Cities beschäftigt hat, ist er nie in New York oder Chicago gewesen. An seinem 50. Geburtstag war er aber einmal in Los Angeles. „Aus Zufall!“ sagt er. Am Last Minute Schalter am Nürnberger Flughafen rät ein Bekannter vom eigentlich Ziel, Mallorca, ab. Los Angeles dagegen war im Angebot. „Zwei Tage später war ich mit einem befreundeten Malermeister aus Burgebrach in den USA.“ Die Realität hielt seinem Traumideal stand. „Ich war begeistert“, sagt er. Fernsehsendungen, die das Stadtpanorama von New York oder Chicago zeigen, sieht er sich gerne an, oder er fährt gerne mal nach Frankfurt und betrachtet die Skyline der Mainmetropole. Ein Bildband über New York liege natürlich bei ihm zu Hause. „Ich lasse mich inspirieren, habe eine Bild, eine Vorstellung von einem Gebäude im Kopf. Und die setze ich um.“ Ob er sich nicht manchmal in die Phantasiewelt seiner Stadt begibt und vom Leben in der Großstadt träumt? „Als junger Mann, ja. Jetzt nicht mehr.“ Aber wenn er seinen tragbaren CD-Player mal hinüber in den Ausstellungsraum trägt, über die Straßenschluchten hinweg sieht, auf die markanten Hochhäuser, die Wohnblocks, die Fabriken, die Kirchen, die Bahnhöfe und Grünanlagen und dann Frank Sinatras Hymne auf New York abspielt, dann sei das doch ein erhebendes Gefühl.

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