Ausgabe Juli / August 2008 | Frankens Städtepartner

Städtepartner und Seelenverwandte

25 Jahre Städtepartnerschaft Erlangen-Wladimir: "Was ihr da mit Wladimir macht, ist keine Partnerschaft, sondern eine Kameradschaft!" (Michail Gorbatschow, 2003)

Text: Siegrfried Balleis | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Die kommunistische Partei hat sich ihre Helden im Vorgarten aufgestellt. Neben Lenin und Stalin kann man hier auch Gorbatschow verewigt finden. Allerdings befindet sich die Parteizentrale etwas abseits vom Stadtzentrum und vermutlich hat so mancher Einheimische diese Galerie noch nie gesehen.

Den Erlangern ist ihre Städtepartnerschaft mit Wladimir eine Herzensangelegenheit, die gewachsen ist. In den 25 Jahren ihrer Existenz entstand aus (außenpolitisch) nicht immer einfachen Anfängen eine echte Bürgerpartnerschaft, die im Jahr 2002 sogar von Bundespräsident Johannes Rau mit dem „Ersten Preis für bürgerschaftliches Engagement in Rußland“ ausgezeichnet wurde.

Da ist vermutlich Wladimir (l), nicht echt, sondern in Wachs, und wenn ich es recht in Erinnerung habe, ist auf dem rechten Bild das Gebäude, in dem sich das Wachsfigurenkabinett befindet. Wer jemals nach Wladimir kommt, sollte sich das unbedingt ansehen – es ist etwas außhalb der Stadt.

Diese Herren haben in der Geschichte der einstigen russischen Hauptstadt auch eine wichtige Rolle gespielt – mir sind die Namen gerade entfallen.

Was noch zu Zeiten des „Kalten Krieges“ als ein höchste Sensibilität erforderndes Werk der Völkerveständigung und der Aussöhnung mit dem einstigen Weltkriegsgegner begonnen hatte, führte von vorsichtig tastenden Anfangskontakten über die beispiellose humanitäre Aktion „Hilfe für Wladimir“ zu nunmehr seit langem engsten Bindungen zwischen Vertretern der Kommunalpolitik und der Stadtwerke, zwischen Schulen und Universitäten, Jugendverbänden und Serviceklubs, Kultur- und Sportvereinen, den Kirchen und der Wirtschaft und gipfelt immer wieder in vom Stadtverband Kultur organisierten Bürgerreisen und Festen.

Die Stadt ist voller atemberaubender Sehenswürdigkeiten.

Dazu kommt eine Vielzahl sozialer Projekte, bei denen sich vor allem der Kreisverband des Bayerischen Roten Kreuzes und der Orden der Barmherzigen Brüder Gremsdorf in außergewöhnlicher Weise einbringen, ganz aktuell beispielsweise bei dem Projekt „Blauer Himmel“, einem Zentrum für Erlebnispädagogik in der einstigen russischen Hauptstadt, für das im übrigen die Aktion „Sternstunden“ des Bayerischen Rundfunks erhebliche Spendengelder und Air Berlin Freiflüge zur Verfügung stellen. Nicht minder bemerkenswert ist auch die fruchtbare Kooperation des Erlanger Fraunhofer Instituts für Integrierte Schaltungen mit der Staatlichen Universität Wladimir.

(Wir kennen da jemanden, der uns – sobald er Zeit und Muse hat – sagen wird, was auf den Bildern zu sehen ist. Geduld, Geduld!)

Eine besondere, zudem durchaus symbolische Rolle in den Beziehungen zur Hugenottenstadt spielt von Anfang an das 1995 in Wladimir eröffnete Erlangen-Haus. Mit seinem Motto „außen russisch, innen deutsch“, den gemütlichen Gästezimmern, den Büros, vor allem aber als Sprachlern-Zentrum (in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut in Moskau) und als Kontaktbörse stellt es so etwas wie das quicklebendige Herz mit russischer Seele der kommunalen Partnerschaft dar. Hier, in dem mit Mitteln beider Städte vorbildlich restaurierten traditionellen Holzhaus, werden jährlich weit über einhundert Austauschmaßnahmen mit vorbereitet, bei denen sich zwischen 500 und 1000 Menschen beider Städte begegnen – der „Stoff“, aus dem die Partnerschaft ist.

Natürlich ist es oft eine morbide Schönheit, die einen in Bann nimmt.

Im Rathaus und vielen Erlanger Vereinen und Familien freut man sich seit langem auf das Partnerschaftsjubiläum, das in diesem Jahr vom 17. bis 20. Oktober in Erlangen gefeiert wird. Wer immer mitfeiern möchte, ist herzlich zu den Festlichkeiten eingeladen. Das Programm gibt es beim Erlanger Partnerschaftsbeauftragten Peter Steger (peter.steger@stadt.erlangen.de).

25 bewegende Jahre – Freundberührung mit Rußland

Text: Peter Steger

Beim Petersburger Dialog inWeimar 2003 war es, als Michail Gorbatschow Erlangens Oberbürgermeister Siegfried Balleis lobte: „Was ihr da mit Wladimir macht ist keine Partnerschaft, sondern eine Kameradschaft!“ Wie nah doch der einst mächtigste Mann der Sowjetunion damit dem Gedanken kam, den Altoberbürgermeister Dietmar Hahlweg schon zu Zeiten des „Kalten Krieges“ formuliert hatte, als er visionär vom Ziel einer Bürgerpartnerschaft sprach.

Wie überall auf der Welt: Einige wollen immer hoch hinaus.

Andere nehmen den Bus.

Denkt man an Erlangen, kommt einem in den Sinn: Universität, Siemens, Hugenotten. Die kleinste bayerische Großstadt läßt aufhorchen mit ihrem Medical Valley und Hochtechnologiezentrum wie dem Fraunhofer Institut, von wo aus das MP3-Verfahren seinen Siegeszug durch die ganze Welt angetreten hat. Und das vor dem Hintergrund fränkischer Lebensart, wie man sie auf der Bergkirchweih zelebriert, wo alle Klassen- und Standesgrenzen zwischen Bratwurstduft und Bierseligkeit verschwimmen. Von da ist es nicht mehr weit zum Motto Erlangens: Offen aus Tradition. Offen gerade auch für die Traditionen anderer Kulturen.

Wem geht bei diesem Bild nicht das Herz auf?

Nicht von ungefähr also, daß Erlangen sieben Städtpartnerschaften – vor allem in Europa – und sieben weitere Kooperationen von China über die USA bis hin zu den Vereinigten Arabischen Emiraten unterhält. Mit Wladimir feiert Erlangen heuer Silberne Hochzeit, Grund genug also, dies Städtepartnerschaft etwas näher zu erkunden. 2500 km entfernt von Erlangen liegt Wladimir, 200 km nordöstlich von Moskau am Steilufer des Kljasma, weithin sichtbar vom waldreichen Tiefland der Umgebung aus. Die einstige Hauptstadt Rußlands glänzt als Juwel im Goldenen Ring um Moskau mit Kathedralen aus dem 11. und 12. Jahrhundert und einer einzigartigen Ikonenschule, die in Andrej Rubljow ihre Blüte erlebte und noch heute in den von Kennern geschätzten Lackmalereien fortlebt. Damals, in der Verlobungszeit zwischen Erlangen und Wladimir Anfang der 80er Jahre, konnte man freilich nicht einfach miteinander in die Flitterwochen fahren. Zu Zeiten der Planwirtschaft in der UdSSR erstellte man noch Jahresprogramme zur kontrollierten Begegnung mit dem Klassenfeind, die idelogischen Hürden – auf beiden Seiten – forderten einen langen Atem. Doch spätestens seit der Perestrojka lösten die sich im kreativ-spontanen Hin und her auf, freilich bis heute begrenzt durch Visumbestimmungen, die aber von den Konsulaten hier wie dort zunehmend unbürokratisch gehandhabt werden.

Bei den Bauwerken haben es die Russen einfach drauf.

Die ersten Treffen hatten noch etwas Tastendes, Unsicheres an sich, doch in einer Sache war man sich eins: Man wollte das gegenseitige Mißtrauen überwinden und nach den Schrecken des Krieges die Menschen miteinander versöhnen. Ein bewegender Ausdruck dessen sind die Veteranenkontakte: Heute liegen sich die einstigen Feinde bei ihren Besuchen in den Armen, und die ehemaligen Kriegsgefangenen aus dem Odenwald, der Rhön, Westfalen oder von der Insel Fehmarn veranstalten ihre Treffen in Erlangen. Hier wird gern daran erinnert, wie man in einem Wladimirer Lazarett überlebte, hier hat ein Baiersdorfer den Erinnerungsband „Rose für Tamara“ konzipiert und sammelt bis heute Nahkampferfahrung in Freundberührung mit Rußland. Auf der anderen Seite ein Wladimirer Veteran, der sagt: Wir wollen uns nicht gegenseitig die Schuld aufrechnen.“ Oder ein Frontkämpfer, der in seinem Lied „Stadt an der Regnitz“ singt: „Und Kameraden hab‘ ich hier gefunden, / Freundschaft mit ihnen ich halt‘.“ So besiegt man den Krieg auch in den Köpfen und Herzen! was dieser leidgeprüften Generation geglückt ist, darf den Nachgeborenen freiwillige Verpflichtung sein.

Dies Verständigung über die Gräben und Gräber hinweg brachte alles in Bewegung und machte das vorher Undenkbare möglich. Und so halten wir heute wie ein staunendes Kind eine Matrjoschka in Händen, eine Vielzahl von Puppen in der Puppe, die, auseinanderzunehmen und wieder ineinanderzustecken, ebensoviel Freude wie Mühe macht.

Geistlich, geistig – auf jeden Fall mit Niveau.

Bürgerreisen un Jubiläen zu organisieren ist eine Spezialität des Stadtverbands der Erlanger Kulturvereine. Nirgendwo sonst bringt die Partnerschaft so viele Menschen in Bewegung. 1993 setzten sich 350 Erlanger per Charterflugzeug in Marsch, an Bord fast alles, was nötig war, um ein „Fränkisches Fest“ mit den russischen Freunden zu feiern. Der Flieger wurde zwar umgeleitet, und das Dutzend Busse wartete am falschen Airport, aber auch auf Umwegen kommt man zum Ziel. Den Weg zum Fest im Stadtpark fanden schließlich all, sogar die unentwegten Radfahrer aus Erlangen, Herzogenaurach und Nürnberg. Vor allem jedoch die per LKW angelandeten 10000 Liter Faß- und Freibier der Privatbrauerei Kitzmann und die 30000 russischen Festbesucher, die sich die fränkischen Bratwürste und das Popcorn ebenso schmecken ließen wie sie Gefallen an den Feuerspielen des Figurentheaters Mechelwind und den Weisen der Kosbacher Stadtlsänger fanden.

Den Markt muß man suchen, aber es lohnt sich.

Just Anfang der 90er hatte auch die Aktion „Hilfe für Wladimir“ begonnen. Unter der Federführung des BRK Erlangen-Höchstadt brachten ganze LKW-Kolonnen Hilfsgüter für Krankenhäuser und soziale Einrichtungen. Auf eigenen Faust und selbst am Steuer organisierten drei Brüder aus Uttenreuth ihre Weihnachtskonvois, und über Jahre hinweg sammelte eine Gruppe in Wachenroth Scheunen voll humanitärer Güter für kindereiche Familien in Wladimir und lieferte sie selbst aus. Eine Welle der Hilfsbereitschaft erfaßte Erlangen, die bis nach Ansbach oder Bamberg schwappte und in ihrer Effizienz vom deutschen Außenministeriumals beispielhaft bezeichnet wurde. Unmöglich, alle zu würdigen. Deshalb wieder nur einige Puppen aus der Matrjoschka: ein Lapraskop eines Erlanger Gynäkologen, ein Röntgengerät von Siemens Moskau, das Taschengeld von Schülern aus der Heinrich-Kirchner-Schule, die Rest-Cent-Aktion der Stadtverwaltung. Auf den Weg nach Wladimir machten sich schließlich auch dank Siemens, Erlanger Stadtwerke und THW zu Weihnachten 1991 zwei Heizkessel, die im „Kesselhaus Erlangen“ noch immer treue Dienste leisteten, eine ganze Schlammpresse für die Kläranlage und schließlich die Stadtbusse. Als ein Wladimirer Jungunternehmer nach der Privatisierung der Buslinien einstieg und ihm das Startkapital für die ersten gebrauchten Fahrzeuge fehlte, half die Stadtkasse Erlangen beherzt mit einem Kredit aus, der vereinbarungsgemäß binnen Jahresfrist auf Heller und Pfennig zurückbezahlt war. Heute ist der Geschäftsmann längst Partner einer großen Agentur in Nürnberg. Immer handelte es sich also um Hilfe zur Selbsthilfe, angelegt darauf, die Strukturen zu verbessern. Dafür spricht auch die große Zahl von Hospitationen, die von den Unikliniken, Organisationen und Betrieben bis heute angeboten werden. Noch eine „kleine Puppe“, um das Bild abzurunden? 1991 kam eine junge Optikerin zu einem Praktikum nach Erlangen und Forchheim. 15 Jahre später hat sie vier Filialen und eine private Augenklinik in Wladimir und kooperiert mit Kollegen aus Jena, München und natürlich Erlangen.

Blick über die Stadt, die ihre Gegensätze nicht verbirgt.

In zweieinhalbjähriger Bauzeit gelang ehrenamtlichen Handwerkern aus Erlangen mit ihren russischen Kollegen das Meisterstück der Partnerschaft. 1995 wurde das „Erlangen-Haus“ eingeweiht, vorher ein halb verfallenes Anwesen aus dem späten 19. Jahrhundert, eigentlich zum Abriß bestimmt, und nun die schmucke Botschaft Erlangens. Dieses Gemeinschaftsunternehmen, u.a. maßgeblich unterstützt von der Niersberger Unternehmensgruppe und der Mauss AG, lebt buchstäblich von seinen Dienstleistungen – vom Gästetrakt bis hin zu den Büroräumen und Deutsch-Kursen -, steht wirtschaftlich auf eigenen Beinen, fungiert als nimmermüde Drehscheibe der Partnerschaft. Hier spricht man Deutsch und weiß in fas allen für die Gäste aus der Ferne oft unerwarteten Lebenslagen Rat. Wer einmal da war, kommt gerne wieder und nimmt sich dann hoffentlich mehr Zeit, um die vielen Puppen in der Puppe zu betrachten.

Heute pflegen Erlangen und Wladimir eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Längst ist die humanitäre Hilfe in den Hintergrund getreten und hat Fach- und Wirtschaftskontakten Platz gemacht. Von besonderer Bedeutung ist der Jugendaustausch, beginnend bei drei Erlanger Gymnasien und dann weiter über die Katholische Jugend zu Studenten oder dem Projekt „Move together“, das heuer Jugendliche aus allen europäischen Partnerstädten Erlangens nach Wladimir führt. Für Kinder aus der Psychiatrie eröffnen die Barmherzigen Brüder Gremsdorf noch im Herbst in Wladimir den „Blauen Himmel“, ein Zentrum für Erlebnispädagogik, unterstützt von der Aktion „Sternstunden“, Air Berlin und den Erlanger Arcaden. Künstler und Musiker, Chöre und Folklore-Ensembles tauschen sich regelmäßig aus und treten in Rednitzhembach genau so auf wie in Poxdorf, und Wettkämpfe mit Wladimirer Sportlern gehören von Hemhofen bis Coburg sozusagen zur Grundausstattung der Beziehungen. Umd die 500 Menschen nehmen jährlich an den Maßnahmen aktiv teil, die großen Feste und Jubiläen gar nicht mitgerechnet.

Einmal am Tag in eine Orthodoxe Kirche und man baucht kein TikTok.

Der Bayerische Rundfunk hat im September 2006 die Reportage „Spasibo Erlangen“ gesendet, ein Zusammenschnitt ver vielfältigen Aktivitäten der Franken in Wladimir, und der deutsche Botschafter, Hans-Friedrich von Ploetz, meinte 2005 bei seinem Besuch vor Ort: „Wenn man in Wladimir von Deutschland spricht, meint man Erlangen. Über dieses Deutschlandbild hier dürfen wir uns freuen.“ Gabriele Krone-Schmalz begründete 2002 die Verleihung des „Ersten Preises für bürgerschaftliches Engagement in Rußland“ durch Bundespräsident Johannes Rau an die Partnerschaft Erlangen-Wladimir mit den Worten: „Ein leuchtendes Beispiel für die Verständigung zwischen Deutschland und Rußland.“

Straßenszene – ich hätte auch schreiben können: ab einem gewissen Alter ist man für junge Menschen einfach unsichtbar. Wenn man nicht gerade einen Schatten wirft.

Wer jetzt mehr von der Matrjoschka sehen oder gar selbst eine Puppe bemalen möchte, war herzlich zum 25. Jubiläum der Partnerschaft im Oktober 2008 eingeladen. Mit dabei war ein Schüler aus Wladimir, der bei dem dazugehörenden Veteranentreffen eine Untersuchung über die Spuren der deutschen Kriegsgefangenen in seiner Stadt vorlegte. Ein bewegendes Beispiel für Versöhnung und Verständigung. Bestimmt nicht die letzte Puppe in der Puppe.

Wer vom Moskauer Flugplatz mit dem Auto nach Wladimir fährt, muß freilich einige Abenteuer bestehen.

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