Ausgabe Mai / Juni 2024 | Medien

Die Stimme Frankens

Es darf gefeiert werden: 75 Jahre Bayerischer Rundfunk. Während die große Schwester in München bereits am 25. Januar 1949 auf Sendung ging, folgte die offizielle Eröffnung des heute als BR Franken firmierenden Radiosenders erst am 3. Juni. Stilecht wird es zu diesem Jubiläum im Sommer eine zünftige ­fränkische Kärwa mit einer Menge Mitmachangeboten auf dem ­Sendegelände in der Nürnberger Wallensteinstraße geben.

Text: Gunda Krüdener-Ackermann | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Von hier aus wurde in den Anfangs­jahren gesendet.
Von hier aus wurde in den Anfangs­jahren gesendet.

München und Nürnberg, Bayern und Franken – lange Zeit (immer noch?) in vielerlei Hinsicht konkurrierende Geschwister. Denn auch in Sachen Rundfunk begann es mit einer Schräglage zwischen den beiden. Und das bereits 1924, denn solange gibt es genau genommen Radio aus Bayern. So ging München schon mal mit der „Deutschen Stunde Bayern“ ab März auf Sendung. Nürnberg hingegen startete erst ab August, aber mit nichts anderem als einem auf dem Gebäude der Postdirektion installierten „Zwischensender“. Aufgabe: Verbreitung des Münchner Programms. Doch allmählich gewann auch Nürnberg mehr Rundfunk-Bedeutung, bis die Gleichschaltung der Nazis Nürnberg vor allem zur Übertragungsstätte politischer Groß­ereignisse wie der Reichsparteitage direkt vor Ort machte.

Der Leiter des BR-Studios Franken Tassilo Forchheimer
Der Leiter des BR-Studios Franken Tassilo Forchheimer

1945 die Stunde Null. Für Nürnberg im wahrsten Sinne des Wortes, denn im April wurde der Betrieb dieses Nebensenders eingestellt. Artilleriebeschuß hatte ihm den Garaus gemacht. Zunächst unter dem Kuratel der amerikanischen Militärregierung konnte München hingegen bereits wieder im Mai auf Sendung gehen. Ab November folgte Nürnberg auch dieses Mal mit einer ganz speziellen Nische: der Berichterstattung über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse (Beginn 20. November 1945 im Nürnberger Justizpalast an der Fürther Straße).

Volksmusik und Musikalisches Tafel-Confect

Dann am 3. Juni 1949 konnte es jedoch richtig losgehen. Eine erste Heimat fand der Nürnberger Sender in einem ehemaligen Pferdelazarett in der Wallensteinstraße. Zuvor war dort unter den amerikanischen Besatzern u. a. erstmal musikalisch die Post abgegangen. Der dortige „Pinguin-Club“ hatte das Swing- und Rock’n Roll-Fieber mit nach Nürnberg gebracht. Wandmalereien, die heute als Zeitzeugnisse im Haus der Deutschen Geschichte in Bonn zu sehen sind, zeigten dort eine Combo umtanzt von Mädchen im freizügigen Hawaii-Look.

Susanne Wick, die Herrscherin über das BR-Archiv in Nürnberg
Susanne Wick, die Herrscherin über das BR-Archiv in Nürnberg

Ziemlich bieder klingt dagegen der Auftrag, den das neue Studio in Nürnberg zugewiesen bekommt. Es soll „Mittler und Künder (…) sein für fränkische Eigenart und alle Formen künstlerischen Ausdrucks, die hier beheimatet sind“. Darunter verstand man vor allem zunächst fränkische Volksmusik. Und auch jetzt wieder liegt der Fokus auf dem Studio in München. Was Nürnberg produziert, wird in München redaktionell betreut und dann über einen hundert Meter hohen Sendemast auf dem Gelände an der Wallensteinstraße ausgestrahlt.

Im Laufe der folgenden 75 Jahre jedoch hat sich die kleine fränkische Schwester ganz schön gemausert. Immer mehr Alleinstellungsmerkmale wurden auf den Weg gebracht. Das „Musikalische Tafel-Confect“, der nach Nelkenstrauß und Konfektschachtel – einstmals beliebtes Mitbringsel für die Dame – klingende Name steht stellvertretend dafür. Musik vom Mittelalter bis in die Klassik – das sollte seit 1952 ein fränkischer Dauerbrenner werden. Überdies produziert der BR Franken bis heute damit eine der ältesten Musiksendungen Europas. Jetzt fest verankert auf BR Klassik, ist zwar der etwas angestaubte Namen geblieben. Aber was das moderne Format dazu an Anregungen und Informationen etwa auf der BR-Homepage bietet, das stellt auch versierte Musikliebhaber zufrieden.

So elegant wurden früher die Mitarbeiter auf  Tour geschickt.
So elegant wurden früher die Mitarbeiter auf  Tour geschickt.

Frankenfeld, Kulenkampff, Herbert Hisel und Fitzgerald Kusz

Herbert Hisel
Herbert Hisel

Und wer kennt schon noch die „Schlagerbabies“? Ein Highlight der fränkischen Radiogeschichte in den 50er Jahren. Das Besondere daran: Die Liveübertragung aus Erlangen wurde von Peter Frankenfeld und Hans-Joachim Kulenkampff moderiert. Ja, mit dem fränkischen Rundfunk begannen beide ihre legendäre spätere Fernsehkarriere. Geradezu liebenswert war das Konzept: Schlager und telefonische Anfragen über Neugeborene in Geburtskliniken. Dazu eine kleine Aufmerksamkeit für frischgebackene Eltern.

Mit der Gründung der Wortredaktion 1960 gibt es von nun an auch in Franken eine Abteilung für Wortbeiträge. Man berichtet über Menschen und Ereignisse aus der Region. Ganz wichtig: Die fränkische Mundart erfährt besondere Aufmerksamkeit. Belebt wird eine rege Sprachkünstlerszene mit heute so berühmten Vertretern wie Fitzgerald Kusz. Aber auch erste fränkische Humor-Originale erobern über Radiowellen (natürlich auch über Schallplatten) die ganze Republik. Wer von den Älteren erinnert sich nicht an Herbert Hisel, der vor allem in den sechziger Jahren als Zwärchfäll-Masseur den Lachnerv seines Publikums stark strapazierte? „Jou werkli“, ein älteres Ehepaar pilgerte jahrelang aus Norddeutschland nach Nürnberg. Am „Tag der offenen Tür“, den der BR alljährlich veranstaltet, ließen die beiden sich jedes Mal Aufnahmen des Nürnberger Originals vorspielen; eine der besonderen Episoden, die die Leiterin des BR-Archivs Susanne Wick zu erzählen weiß. Apropos Archiv: In der Zwischenzeit ist die 2007 begonnene Digitalisierung aller Ton- und Bilddokumente in Nürnberg fast abgeschlossen. Die Zeiten von Tonbändern für das Radio und Videobändern für das Fernsehen sind endgültig vorbei.

Mit Gründung der Fernsehredaktion 1962 in Nürnberg weiten sich nun auch die visuell übertragenen Berichte aus der Region ständig aus. Ob einstmals Franken Aktuell, Frankenchronik oder heute Frankenschau – immer mehr Sendezeit wird der regionalen Berichterstattung gewidmet.

Szenen aus der Sendung „Schlagerbabies“ mit Hans-Joachim Kulenkampff (li) und Peter Frankenfeld
Szenen aus der Sendung „Schlagerbabies“ mit Hans-Joachim Kulenkampff (li) und Peter Frankenfeld

Der fränkische Humor heilt Wunden

Seit Ende der 70er Jahre gibt es das Studio Würzburg und zwischenzeitlich elf Korrespondentenbüros, die aus jedem Winkel Frankens berichten. „Wir ­schicken nicht irgendwelche Reporter aus der Zentrale ins Land, sondern die Kollegen wohnen vor Ort. Sie kennen die Menschen, über die sie berichten, sind Teil des Lebens dort und wissen, worüber sie sprechen“, so Tassilo Forchheimer, Leiter des BR Franken. Ein übriges tun die Ü-Wagen, die seit 1950 zur aktuellen Berichterstattung über Land fahren. Zu Beginn mußte das noch ein notdürftig umgebauter Krankenwagen leisten. Heute ist es ein super-modernes Studio auf Rädern, das trimedial produzieren und senden kann, also für Radio, TV und Internet. Mehr „Wahrheit“ und Authentizität geht medial wohl kaum. Das an dieser Stelle als Hinweis für allzu laute Schreihälse, die das Wort von der „Lügenpresse“ eben mal so substanzlos rausposaunen.

Überbleibsel des früheren Pferdelazaretts (1937 – 1945). Das Pferdedenkmal „Der treue Kamerad“ stand bis 1977 vor dem Hörfunkgebäude.
Überbleibsel des früheren Pferdelazaretts (1937 – 1945). Das Pferdedenkmal „Der treue Kamerad“ stand bis 1977 vor dem Hörfunkgebäude.

Das Fernsehen hat ganz eindeutig viele der „fränkischen Wunden“ heilen können. Wer hätte gedacht, daß hierbei besonders der Humor eine große Rolle spielen würde? Jetzt fast schon ein Markenzeichen der eher als wortkarg und eigensinnig berüchtigten Franken. Und das bayernweit. Eine der erfolgreichsten Sendungen im BR Fernsehen seit den 90er Jahren, das ist die Fastnacht in Franken, insbesondere mit der Liveübertragung der Prunksitzung in Veitshöchheim. Eine Kultsendung – die Teilnahme daran ein Muß für alles, was Rang und Namen in Bayern hat. Vor allem Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident, tritt dort in immer wieder mit Spannung erwarteten Verkleidungen auf: als Shrek, als Homer Simpson oder auch mal seriöser als Reichskanzler Bismarck.

Seit 2015 endlich auch ein eigener Franken-Tatort. Nicht mehr nur das Team Batic – Leitmayr aus München, sondern auch Paula Ringelhahn (Dagmar Menzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) aus Nürnberg zeigen sonntagabends der ganzen Republik, welche Verbrecher es vor Ort dingfest zu machen gilt. Beigabe ein ewig grantelnder Franke: Matthias Egersdörfer als Leiter der Spurensicherung. Und der erste zu lösende Fall zeigt, wie weit die Sittenverderbnis auch in der fränkischen Provinz vorangeschritten ist. Einem biederen Erlanger Universitätsprofessor, verheiratet und Vater zweier Kinder, wird seine rege Promiskuität ganz offensichtlich zum tödlichen Verhängnis. Kopfschuß – so die erste kriminalistische Analyse.

Dann ein absolutes Highlight. Ab Dezember 2021 strahlte das bayerische Fernsehen zur besten Sendezeit die dreiteilige Serie „1806 – Die Nürnberg Saga“ aus. Trotz erschwerter Bedingungen – man befand sich während der Dreharbeiten mitten in der Corona-Pandemie – wurde das Projekt realisiert. Filmisch wird erzählt, welchen Aderlaß die einst so stolze Reichsstadt im Zuge der napoleonischen „Flurbereinigungen“ durch den Anschluß an das Königreich Bayern zu ertragen hatte. Allerdings boten sich im Nachgang auch ungeahnte neue Chancen, die Nürnberg als enorm wichtigen Industriestandort etablierten. Das geschah unbehelligt vom bayerischen König im fernen München, denn dem war das fränkische Treiben meist ziemlich „wurscht“. (Mehr zu „1806 – Die Nürnberg Saga“, siehe Franken-Magazin, Januar/Februar 2022).

Düstere Wolken

Auch nach dem Mauerfall 1989 rückte Franken stärker in den Mittelpunkt. Quasi live bei der Grenzöffnung dabei, berichten BR-Reporter über das Geschehen an den fränkischen Grenzen zu Thüringen und Sachsen. Die Bilder dazu gehen um die ganze Welt. Ein großes Ziel gleich von Anfang an: Man will die Menschen in Ost und West zusammenbringen. Eine der ersten Aktionen wurde daher eine Hörer-Fahrt mit dem „Musik-Express“ von Nürnberg nach Gera.

Auch technisch hat BR Franken schon lange die Nase vorne. 1965, als der erste internationale Nachrichten- und Fernsehsatellit „Early Bird“ den Betrieb aufnimmt, wird Nürnberg wegen seiner exzellenten technischen und akustischen Ausstattung als eine der ersten Stationen der ARD für USA-Übertragungen ausgewählt. 1995 ist der Standort Nürnberg in der ARD wiederum das erste Regionalstudio, das im Internet präsent ist. Seit 2009 dann bedient BR Franken auch die neu entstandenen Social Media-Plattformen Twitter (jetzt X), Facebook und Instagram. Und die modernen Zeiten schreiten rasant voran. Selbstverständlich kommt heute im zunehmenden Maße KI (Künstliche Intelligenz) bei der Produktion von Sendebeiträgen jeder Art zum Einsatz. (siehe hierzu Franken-Magazin Oktober/November 2023, „Wer hat Angst…“).

Zurück zu 1949 – ganz gewiß ein deutsches Schicksalsjahr: 75 Jahre Bundesrepublik Deutschland, 75 Jahre Grundgesetz. 75 Jahre Bayerischer Rundfunk, der sich zusammen mit den anderen Landesrundfunkanstalten seit Juni 1950 zur ARD zusammengeschlossen hat.

Wie wird es weitergehen? Ein banger Unterton ist bei dieser Frage mitzudenken. Düstere Wolken ziehen aus dem Franken benachbarten Thüringen auf. Ein Mini­sterpräsident aus dem Lager der verfassungsfeindlichen AFD, das wäre der Super-Gau. Denn die Sticheleien und Frontalangriffe gegen die öffentlich-rechtlichen Sender wollen aus diesen Reihen nicht mehr verstummen. Unfaßbar! Aber ein Ministerpräsident allein hat durchaus das Recht, die nach Artikel 5 Absatz 1 GG verbriefte umfassende Meinungsbildung auf dem „Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen“ (Alice Weidel) und den Vertrag mit dem regionalen Sender der ARD zu kündigen. In jedem Fall ist es damit höchste Zeit, das in diesen 75 Jahren an Freiheit Erreichte mit aller Kraft zu schützen.

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