Ausgabe November / Dezember 2018 | Wissen & Können

Die Welt zwischen zwei Buchdeckeln

Eine goldene Nase läßt sich heute als Buchbinder nicht mehr verdienen. Den Markt teilen sich ein paar Industriegiganten, und die elektronischen Medien machen dem traditionellen Handwerk das Leben zusätzlich schwer. Für Buchbinder­meister Elmar Bauer ist das aber noch lange kein Grund zum Resignieren. Ein Ortstermin in seiner Würzburger Werkstatt.

Text: Markus Mauritz

Buchbinder

Das Leben wird immer von anderen bestimmt. Da kannst du machen, was du willst, du bist dem Schicksal ausgeliefert!“ Elmar Bauer ist Buchbindermeister und philosophiert gerne. Man sieht ihm seine 77 Jahre nicht an. Und auch nicht, daß er immer noch fast jeden Tag in seiner Werkstatt in der Würzburger Neubergstraße steht. Als Gymnasiast hatte er mal andere Pläne – aber „du bist dem Schicksal ausgeliefert, da kannst du machen, was du willst!“

Schicksal war es wohl auch, daß er und seine Familie den Bombenangriff auf Würzburg im März 1945 überlebten. Elmar Bauer erinnert sich noch ganz genau, wie er als kleiner Bub durch ein schmales Kellerfenster ins Freie gehoben wurde. Seine Eltern hinter ihm her. „Wie die das gemacht haben, und vor allem wie die Großeltern da rausgekommen sind, das ist mir ein Rätsel!“ Durch Rauch und Hitze floh die Familie aus der brennenden Stadt. Die Buchbinderei, die sein Vater Gustav Bauer 1937 eröffnet hatte, war nur mehr Schutt und Asche. Aber drei Jahre später stand das langgestreckte Gebäude, als sei nichts gewesen, und 1954 konnte die Familie auch wieder in das repräsentative Vorderhaus einziehen mit dem prächtigen Blick auf die Adalberokirche schräg gegenüber.

… alles hundertzehnprozentig

„Mit einer Buchbinderei ließ sich damals gutes Geld verdienen“, erinnert sich Elmar Bauer. Immer neue Fachzeitschriften kamen auf den Markt, und die Universitäten hatten genügend Geld, um die kompletten Jahrgänge zu festen Büchern binden zu lassen. „Die theologische Fakultät und die Juristen, das waren meine er­sten Kunden“, schwärmt Elmar Bauer. Acht Konkurrenzbetriebe habe es damals in Würzburg gegeben, aber alle hatten sie Aufträge „noch und noch“. Hinzu kamen die bibliophilen Kostbarkeiten, die damals regelmäßig nachgefragt wurden. Goldschnitte zum Beispiel, für die die Schnittkanten eines Buchblocks mit Blattgold verziert werden. Oder Folianten mit einem sogenannten Sprungrücken, bei denen sich die Seiten bequem bis in den Bund hinein beschreiben lassen. Solche Blankobücher brauchte man früher in Behörden oder Kanzleien. Liebhaber kostbarer Bücher gebe es auch heute noch, sagt Bauer, aber das seien anspruchsvolle Kunden: „Die wollen alles hundertzehnprozentig!“

Die Zeiten sind eben wie sie sind. Man kann sie sich nicht aussuchen. Mitte der 1950er Jahre wurde der Vater schwer krank und war bis zum Lebensende auf den Rollstuhl angewiesen. Elmar Bauer war gerade 17 Jahre alt und stand kurz vor dem Abitur. Aber „du bist dem Schicksal ausgeliefert, da kannst du machen, was du willst“. Jetzt mußte er vom Gymnasium runter und Geld verdienen. „Ich hatte ja in der Buchbinderwerkstatt das Laufen gelernt“, sagt er heute. Deshalb sei es ihm nicht schwergefallen, bei seinem Vater das Handwerk zu erlernen. Und 1966, also nur ein paar Jahre später, konnte er bereits die Meisterprüfung ablegen. „Ich war krankhaft ehrgeizig“, gesteht Elmar Bauer in der Rückschau auf sein damaliges Leben. Aber Schlendrian kennt er auch heute noch nicht. Die Maschinen um ihn herum sind sorgfältig geputzt und tragen Namen wie Mekatwin, Herold oder Gulliver – Firmen, die es vielleicht gar nicht mehr gibt. In der Buchbinderei von Elmar Bauer sind sie noch regelmäßig im Einsatz.

Im Handwerk fehlen die Leute, die Mut haben und durchhalten

Auf den Werkbänken stapeln sich Zeitschriftenjahrgänge und fast fertig gebundene Folianten. Feiner Leimgeruch liegt in der Luft. Beim Blick durch das Fenster sieht man einen kleinen Putto im Hinterhof. Und ganz hinten im Raum erkennt man Regale, in denen allerlei Zeugs gestapelt ist. Leder für die Einbände besonders wertvoller Bücher, Büchsen mit Leim oder andere Utensilien. In Elmar Bauers Buchbinderwerkstatt ist alles in Schuß!

Zwölf Lehrlinge habe er im Lauf der Jahre ausgebildet. „Die meisten wurden sogar Kammersieger!“ Geblieben sind ihm die wenigsten, weil ein Handwerksbetrieb mit den Löhnen in der Industrie nicht mithalten könne. „Im Handwerk fehlen die Leute, die Mut haben und durch­halten können“, seufzt Elmar Bauer. Dadurch gingen viele Kompetenzen verloren. Die Buchbinderinnung Unterfranken habe sich schon vor et­lichen Jahren aufgelöst, als sie nicht mehr beschlußfähig war. „Heute gibt es in Unterfranken noch drei Buchbindermeister“, zählt Elmar Bauer auf. Vielleicht sind es auch ein paar mehr. Wer weiß das schon so genau!

Mit dem Siegeszug des Computers sei alles schlechter geworden. „Das Internet ist mein größter Feind“, sagt Elmar Bauer. Heute werde alles online angeboten. Ihm komme das oft wie Zauberei vor. Aber: „Künstliche Intelligenz, was ist das schon! Das ist doch Schmarrn!“ Dabei sei Papier so interessant! Die Menschen würden immer ungeduldiger. So blitzartig wie das Internet, so solle auch alles andere funktionieren. Das mache die Leute blind für die Zukunft, fürchtet Bauer. „Was bleibt denn dann von uns übrig, in hundert Jahren?“

Eine verschworene Gemeinschaft

Ganz sicher der größte Teil jener Bücher, die Elmar Bauer im Laufe seines Lebens gebunden hat – oder noch binden wird. So genau legt er sich nämlich nicht fest, wenn man ihn nach dem Ende seiner Berufslaufbahn befragt. Noch steckt offensichtlich ausreichend Energie in seinem kleinen Körper. Flink führt er durch seine Werkstatt und erklärt jeden Arbeitsschritt. Die klassische Fadenbindung begann früher mit dem Falzen der Bögen. Heute werden diese meist bereits in der Druckerei gefalzt. Anschließend werden mit einer Fadenheftmaschine die einzelnen Lagen auf Gewebebänder zu einem Buchblock verbunden. Die Buchrücken werden anschließend mit Dispersionskleber abgeleimt. Früher machte man den Leim dafür aus Knochen. Schließlich muß der Buchrücken gerundet werden. Elmar Bauer beherrscht noch die ganz alte Technik, mit einem Hammer den Buchrücken in die gewünschte Form zu schlagen. Aber ­natürlich gibt es auch dafür heutzu­tage eine technische Apparatur, eine so genannte Rückenrundemaschine. Elmar Bauer drückt kurz auf den schwarzen Knopf, und schon beginnt der Motor zu brummen. Alles funktio­niert!

Pro Woche könnte man mit entsprechend viel Personal etwa hundert oder zweihundert Bücher binden, rechnet Elmar Bauer vor. Muß er aber nicht, denn eigentlich ist er längst Rentner – so wie die meisten seiner Mitarbeiter. „Wir sind lauter Gruftis“, lacht Bauer, „und ich bin der Ober-Grufti!“ Eine verschworene Gemeinschaft, könnte man auch dazu sagen, die die Liebe zu ihrem Handwerk verbindet. In der weiten Welt außerhalb Bauers Werkstatt geht es nämlich längst ganz unromantisch zu: Ein paar große Unternehmen, die Bücher industriell binden, teilen heute in Deutschland den Markt unter sich auf. „Für weniger als fünfzehn Euro machen die einen Band fix und fertig. Und die liefern sogar noch frei Haus“, sagt Elmar Bauer. So sehe die Konkurrenz aus, der die Handwerksbetriebe heute gegenüberstünden.

Aber manchmal kann man den Großen auch ein Schnippchen schlagen: „Dann gehen Sie doch in eine Buchhandlung!“ habe er erst vor kurzem einem empfohlen, der ein Gästebuch haben wollte – „alles billig, schnell und trotzdem stabil“. Bei dem Gedanken an das damalige Gespräch blitzt es in Elmar Bauers Augen rauflustig auf. Am Ende habe er sich mit dem Kunden aber geeinigt. Mit solider Handwerkskunst kann man eben noch immer überzeugen!

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