Ausgabe September / Oktober 2007 | Frankens Städtepartner

Am See im Meer

Marmaris, Fürths Partnerstadt in der Türkei, ist ein Ferienort am Mittelmeer, der noch immer (2007) die Chance hat, die schlimmsten Fehler anderer mediterraner Touristenparadiese zu vermeiden.

Text + Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Über das Ergebnis der vorgezogenen Parlamentswahlen, Mitte Juli (2007) in der Türkei, dürften in Fürths türkischer Partnerstadt am Mittelmeer, Marmaris, einige, wichtige Persönlichkeiten nicht sonderlich erfreut sein. So etwa der Bürgermeister (Belediye Reisi) Ali Acar, selbst Mitglied der oppositionellen, einst von Atatürk „meine Erbin“ genannten, republikanischen Volkspartei CHP, der sich natürlich gewünscht hätte, in Ankara andere Verhältnisse zu bekommen. Anders als in Deutschland sind die türkischen Städte stärker von der jeweiligen Regierung abhängig. Vermutlich auch nicht hoch erfreut über Recet Tayyip Erdogans triumphalen Sieg dürfte der deutsche Direktor des besten Hotels (Maritim / Grand Azur) am Ort, Dirk Rehorst, sein, dem vor allem Erdogans Tourismusminister ein Dorn im Auge ist, weil dieser die Chancen des Tourismus für die Türkei nicht wirklich nutze. Tatsächlich lassen sich die komplizierten, politischen Verhältnisse in der Türkei nicht leicht darstellen, geschweige denn überhaupt verstehen. Bestimmt werden sie gegenwärtig von der bürgerlichen Elite, die vornehmlich in den großen Städten und am Küstenstreifen lebt, meist der CHP von Deniz Baykal nahesteht und sich – wie übrigens auch das Militär – auf Mustafa Kemal Paşa (Atatürk) beruft, der ultranationalistischen MHP und eben der inzwischen wohl wirklich als Volkspartei zu bezeichnenden AKP (siehe hierzu: Süddeutsche Zeitung vom 27.7.2007,  Seite 15, „Die Außerirdischen und der Planet Türkei“ von Kai Strittmatter).

Glaubt man jedenfalls deutschen Kommentatoren, dann kann der Sieg von Erdogans AKP auch für die türkischen Ferienorte am Mittelmeer so ganz schlecht nicht sein. Danach hätten nämlich die Wahlberechtigten des 80-Millionen-Volkes die sehr erfolgreiche Wirtschaftspolitik Erdogans bestätigt und ihm zugleich für notwendige Reformen und seinen Pro-EU-Kurs den Rücken gestärkt, was eigentlich im Sinne auch von Marmaris sein müßte. Offensichtlich aber hat man im modernen, weltoffenen Marmaris, in dem man mit Abstand weniger Frauen mit religiös-motiviertem Kopftuch als in Fürth sieht, vor allem Angst vor der Erdogan nachgesagten, islamistischen Grundüberzeugung. Eine religiös geprägte Politik in Ankara freilich wäre für die türkischen Ferienorte am Mittelmeer eine Katastrophe, da der Tourismus hier meist die einzige Erwerbsquelle ist. Und wie anfällig diese Branche selbst nur von Stimmungen ist, merkt man daran, daß, seit die Türkei in der deutschen Öffentlichkeit ein schlechteres Image bekam – sei es wegen islamistischer oder kurdischer Anschläge, sei es wegen eines offensichtlich sogar zu Recht wegen sexuellen Fehlverhaltens inhaftierten, deutschen Jugendlichen –, auch in Marmaris die deutschen Touristen sehr viel weniger wurden. Ein Umstand, der glücklicherweise durch im wesentlichen Engländer, Russen, Jordanier, Libanesen ausgeglichen werden konnte. Allerdings gelingt solcher Ausgleich gegenwärtig in hohem Maße nur durch günstige Urlaubsangebote mit all seinen nachteiligen Folgen für wohl einen der schönsten Ferienorte am ganzen Mittelmeer. Für kruden Massentourismus aber ist sich Marmaris eigentlich zu schade und genaugenommen auch nicht geeignet. Seit Bürgermeister Ali Acar – selbst Hotelier – im Amt ist, versucht er denn auch, Fehlentwicklungen oder gar Auswüchse zu korrigieren. Marmaris steht am Scheideweg. Die Stadt, die 1987 noch rund 9 000 Einwohner zählte, hat heute rund 50 000 und schwillt in den Sommermonaten auf über 200 000 an. Und dennoch gibt es hier noch immer keine riesigen Hotelbunker, es gibt – soweit uns bekannt ist – keine nennenswerten Umweltprobleme, und auch sonst nichts auffällig Unschönes, das sich nicht über kurz oder lang bereinigen ließe. Wild entschlossen will Bürgermeister Acar einen häßlichen Betonklotz mitten in der Stadt abreißen lassen und an dessen Stelle eine Grünanlage schaffen; und er kämpft gegen das Unwesen, dort, wo bereits zehn Souvenirläden sind, noch einen elften zu eröffnen, weil Souvenirs da offensichtlich gut gehen. Auch der „All-inclusive-Tourismus“ schadet, weil die Gäste schwer dazu zu bringen sind, außerhalb ihres Hotels etwa Essen zu gehen, was unter den rund 4000 Restaurants den Konkurrenzdruck derart erhöht, daß die Methoden, Gäste anzulocken immer grotesker werden. Aber selbst die Strandpromenade, die allabendlich, in eigentlich unerträglichen Technosound und Karaoke getunkt, schrill-johlende Menschen produziert, Kellner dazu anleitet, beim Bedienen tanzähnlich zu zucken und mit beherztem Griff regelmäßig zu kontrollieren, ob sich ihr Verstand noch zwischen den Beinen hält, diese Meile ist im wahrsten Sinne naturbedingt nicht endlos und läßt sich meiden.

Auf der anderen Seite hat Marmaris viel zu bieten. Eine wunderschöne Bucht mit kristallklarem Wasser, die regelmäßig selbst von dem Luxusschiff „Queen Mary 2“ angesteuert wird und ohne Übertreibung als See im Meer bezeichnet werden kann. Eine traumhafte Hügellandschaft mit viel Wald, in den man sich, wenn es zu heiß ist, zurückziehen kann. Ausflugsmöglichkeiten zu kleinen Fischerdörfern oder zu den Schiffsbauern nach Bozburun oder in kleine Bergdörfer wie Bayir, wo man stundenlang im Schatten einer riesigen Platane die Stille genießen oder – so paradox es sich auch anhört – das freilich eher gemächliche Treiben der Dorfbewohner beobachten kann; es gibt kleine Wasserfälle im Wald, wo man in einer einfachen Wirtschaft „Gözleme“, mit Käse, Fleisch oder Kartoffeln und Kräutern gefüllte Teigtaschen ißt, einen ganzen Wald direkt am Meer mit lauter Amberbäumen (liquidambar orientalis), aus deren Harz Räucherwerke (Weihrauch) und duftende Seifen hergestellt werden, antike Ruinen, verblüffende Naturerscheinungen (in Kizkumu z.B. eine schmale Sandbank, auf der man weit ins Meer laufen kann); und Marmaris ist für seinen Pinienhonig bekannt. All das, was alle Ferienorte am Meer bieten: Strände, Yachthäfen, Freizeit- und Sportanlagen, kulturelle Angebote der verschiedensten Art, versteht sich von selbst. Wobei man sich oft des Eindruckes nicht erwehren kann: In und um Marmaris ist alles (oder wenigstens vieles) ein bißchen schöner. Nicht vergessen werden sollte: Die Türken sind ein sehr freundliches, und sogar deutschfreundliches Volk, obwohl so mancher lange in Deutschland gelebt und gearbeitet hat.

Das sind die Pfunde, mit denen Marmaris in Zukunft verstärkt wuchern möchte. Und in diesem Zusammenhang ist für Bürgermeister Ali Acar auch die seit rund dreizehn Jahren bestehende, in den letzten Jahren wieder verstärkt gepflegte Städtepartnerschaft zu Fürth bedeutsam. 1995 hatten Bürgermeister Ismet Karadinc für Marmaris und Fürths damaliger OB Uwe Lichtenberg auf Initiative des in Fürth lebenden Türken, Teoman Tüzemen, der familiäre Kontakte nach Marmaris hatte, die Städtepartnerschaft vereinbart. Zunächst ging es vor allem um Fragen von Wirtschaft und Technologie, wo man sich gegenseitig unterstützen wollte; darüberhinaus aber war für Fürth wichtig, durch direkte Kontakte in die Türkei, türkischen Mitbürgern in Fürth die Integration zu erleichtern. Das ist wohl auch heute noch ein wichtiger Aspekt der Städtepartnerschaft. Seitens Marmaris aber hat sich das Interesse gänzlich auf das Thema Tourismus verlagert. Ali Acar verspricht sich von seinen Kontakten nach Fürth und überhaupt zu Deutschland, daß Marmaris als Urlaubsziel für Deutsche wieder interessanter wird und damit aber zugleich der Standard des Ferienortes gehoben werden kann. So bietet Fürth der Partnerstadt regelmäßig die Möglichkeit sich im CityCenter zu präsentieren; Fürth arrangiert regelmäßig Bürgerreisen, es gibt einen regen Schüleraustausch, und man unterstützt sich gegenseitig, selbst, dank des Fürther Naturschutzwächters Herbert Schlicht, in naturkundlichen Belangen. Ali Acar erweist sich bei all dem übrigens als Pragmatiker, der immer dann, wenn ein Projekt seine Kompetenzen überschreitet, auch kein Problem damit hat, den von der Regierung in Ankara eingesetzten Distriktchef (Kaymakam) Cemalettin Özdemir miteinzubeziehen (die Türkei ist in 67 Provinzen und 580 Distrikten unterteilt.). Ohne die Zusammenarbeit von Distrikt und Stadt wäre wohl auch das derzeit ehrgeizigste Projekt in Marmaris nicht zu verwirklichen: Im kommenden Jahr wird es in dem Ferienort nach Vorbild der Kieler Woche ein großes Maritim-Festival geben, an dem rund 50 Länder beteiligt sein werden. Ali Acar will erreichen, daß dieses Festival das bedeutendste dieser Art im gesamten Mittelmeerraum wird.

Fürth wird daran gewiß beteiligt sein. Und Fürths OB Thomas Jung kann dabei sicher auch auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen. Ein vielleicht etwas kurioses Indiz dafür: Ein Fürther hat jetzt sogar ein Marmaris-Lied komponiert.

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