Ausgabe Juli / August 2012 | Frankens Städtepartner

Freundschaften über Ländergrenzen hinweg – Teil 1: Caen

Seit 50 Jahren (2012) bestehen die Städtepartnerschaften zwischen Würzburg, dem schottischen Dundee und Caen in der Bretagne. Vor allem die Jumelage zu Caen hat für Würzburg eine ganz besondere Bedeutung, schließlich litten beide Städte ganz besonders unter den Folgen der Nazi-Diktatur: Beide Städte wurden im 2. Weltkrieg fast völlig zerstört. Teil 1 Caen Jean-Marie Girault (*1926) und Dr. Franz Gerstner (*1925): Freundschaft – aufgebaut aus den Trümmern der Jugend

Text: Wolfgang Hugo | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

1944: In den Trümmern der Jugend.Vizelandesmeister im Weitsprung,  Abiturient und gerade 18 Jahre alt war Jean-Marie Girault als er am 8.Juni 1944 ein lebendes Baby aus den Trümmern der rue des Juifs in Caen rettet. Zwei Luftangriffe am 6.Juni 1944, Beginn der alliierten Landung, hatten die 14 Kilometer hinter der Küste gelegene Stadt in ein Trümmerfeld verwandelt. Jean-Marie Girault erlebt als Student und Rotkreuzhelfer die Zerstörung Caens. Von 1970 bis 2001 ist er Oberbürgermeister von Caen, das ab 1961/62 eine Städtepartnerschaft mit Würzburg verbindet, 1988 wird das einmalige Mémorial-Musée pour la Paix in Caen eröffnet.

Das Rathaus von Caen

Die „Invasion“, wie sie die Deutschen nannten, hatte den Fallschirmjägergefreiten Franz Gerstner auf der Höhe 108 bei Sainte-Mère-Eglise überrascht. Wenige Wochen zuvor war er 19 Jahre alt geworden. Am 8.Juni 1944 befanden sich Franz Gerstner und seine Kameraden in heftigen Kämpfen mit den Luftlandetruppen der Amerikaner, es folgt Kriegsgefangenschaft in den USA. Dr. Franz Gerstner, der als Fraktionsvorsitzender im Rathaus von Würzburg 1961/62 die Städtepartnerschaft mit Caen auf den Weg gebracht hat und von 1970 bis 1994 Präsident des Bezirkstags von Unterfranken ist, unterzeichnet am 27.September 1986 eine Partnerschaft mit dem Département Calvados, Dach für viele fränkisch-normannische Jumelages.

1958–1962: Die Lehren aus Tod und Zerstörung

Die Klosterkirche direkt neben dem Rathaus von Caen ist am Tag eindrucksvoll, …

Bevor am 13.Mai 1962 die beiden damaligen Stadtoberhäupter Dr. Helmut Zimmerer und Jean-Marie Louvel ihre Unterschrift unter die Partnerschaftsurkunden setzen konnten,  hatten Bürgerinnen und Bürger in beiden Städten begonnen, die deutsch-französischen Beziehungen auf neue Grundlagen zu stellen. In Würzburg war es die im November 1958 gegründete Deutsch-Französischen Gesellschaft (DFG), die insbesondere unter ihrem heutigen Ehrenpräsident Otto A. Schmidt die Basen für die Freundschaft mit Frankreich schuf. In Caen entstand im April 1959 die ACCA (Association pour la connaissance de l’Allemagne) mit Anne-Marie Denizot und ihrem Mann, dem späteren Partnerschaftsbürgermeister Georges Denizot.  Als „Vater“ der Städtepartnerschaft gilt indes Erich Oetheimer, 1928 in Würzburg geboren. 1957 kommt er als Lektor an die Universität Caen, er hält vor der ACCA einen Lichtbildervortrag über seine Heimatstadt. Das ähnliche Schicksal am Ende des Krieges, die fast totale Zerstörung beider Städte, von Caen am 6.Juni 1944, von Würzburg am 16.März 1945, schafft Gemeinsamkeit. Nach heftigen Debatten setzen sich in Caen diejenigen durch, welche die Erbfeindschaft zwischen Deutschen und Franzosen durch eine zukunftsorientierte Partnerschaft ersetzen wollen. Oetheimer und DFG-Geschäftsführer Adolf Herbst organisieren die ersten Bürgerreisen, bevor die Oberbürgermeister die Freundschaft beurkunden können.

… bei Nacht aber ein unvergleichlicher Hingucker.

1986–1988: Ausweitung zur Regionalpartnerschaft mit dem Calvados 1986 und Friedensmuseum Mémorial-Musée pour la Paix in Caen 1988. Die Partnerschaft der Stadt Würzburg mit der Stadt Caen wird 1966 ergänzt durch eine Partnerschaft der Handwerkskammer Unterfranken mit der Chambre de métiers du Calvados und auch die Universität Würzburg, die seit 1962 mit der Universität Caen zusammenarbeitet, besiegelt 1977 unter dem Romanisten Prof. Dr. Theodor Berchem, ihre Partnerschaft mit der Université de Caen. Neben Universität und FH pflegen auch zahlreiche Schulen, nicht nur Gymnasien, Partnerschaften mit Schulen in Caen.

Es soll Menschen geben, die fahren nach Frankreich, um mal in ein Café zu gehen.

Das erfolgreiche Wirken der beiden Städte, Handwerkskammern und Universitäten ermutigt den Bezirk Unterfranken, den partnerschaftlichen Beziehungen mit Frankreich eine weitere Ebene hinzuzufügen. Dies geschieht in Form einer regionalen Partnerschaft zwischen dem Bezirk Unterfranken und dem Département Calvados, die Michel d’Ornano und Dr. Franz Gerstner am 27.September 1986 unterzeichnen. Unter diesem Dach sind inzwischen 38 Gemeinden aus Unterfranken und Calvados verschwistert, nicht nur die Umlandgemeinden von Würzburg und Caen. Auftakt für die neue Verbindung ist eine Beteiligung an der Herbstmesse „Foire de Caen“ im September 1986.

Würzburg ist natürlich nicht die einzige Partnerstadt von Caen.

Die Ereignisse des Juni 1944 lassen Jean-Marie Girault nicht ruhen: Er entwickelt und setzt den Bau eines Friedensmuseums Mémorial – Musée pour la Paix in Caen um. Am 6.Juni 1988 wird es eingeweiht. Jährlich von einer halben Million Menschen besucht, erklärt es nicht nur die Landung in der Normandie, sondern die Geschichte des 20.Jahrhunderts. Über Würzburg-Caen hinaus wirkt Girault, als er im September 1986 zur Grundsteinlegung des Friedensmuseums beide damals existierenden deutschen Staaten einlädt und noch wichtiger, die „klassische“ Freund-Feind-Einteilung auflöst, indem er von den an der Schlacht in der Normandie beteiligten Nationen spricht.

In der Fußgängerzone von Caen – sagten wir das schon? – kann man sich von einem Café zum nächsten hangeln.

1994: Einladung an OB-Kollegen und 30 Schüler aus Würzburg. Und ein Jahrzehnt bevor sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und Staatspräsident Jacques Chirac am 6.Juni 2004 am Mémorial- Musée pour la paix in Caen treffen können, lädt Girault zum 6.Juni 1994 seinen OB-Kollegen Jürgen Weber aus Würzburg ein – zusammen mit 30 Jugendlichen aus der Partnerstadt am Main. Girault war es ein großes Anliegen, das Wissen um die Vergangenheit durch Einladungen an junge Würzburger zu fördern. Insbesondere 1985 und 1995 hatte die Erinnerung an das Schicksal der beiden Städte eine große Rolle gespielt: Würzburg und Caen organisierten große Ausstellungen, in die auch die jeweilige Partnerstadt einbezogen war. Im Juni 2000 wurde Jean-Marie Girault, der von 1970 bis 2001 an der Spitze von Caen stand, Ehrenbürger von Würzburg.

Vereine und Bürger tragen die Partnerschaft

Die Alltagsarbeit in der Städtepartnerschaft haben noch vor ihrer Gründung Vereine und Bürger übernommen. Da ist zum Beispiel der Main-Franken-Kreis (MFK), der alljährlich eine Gruppe aus Caen zum Mozartfest empfängt. Vorsitzender Georg Götz selbst hat mit Gruppen oder allein oft fränkische Präsenz in Caen gesichert, nach der 100.Caen-Reise hat Georg Götz das Zählen aufgehört. Eine besondere Rolle spielt der Sport, insbesondere unter dem damaligen Sportbürgermeister Jürgen Weber und seinem Caennaiser Pendant Paul Dubourget werden Erfahrungen ausgetauscht, gemeinsame Aktivitäten durchgeführt, Höhepunkt sicher der deutsch-französisch-schottische Segel-Turn auf der „Belem“ nach Dundee (1987). Auch die Marathon-Läufer des BLSV haben viel zwischen Caen und Küste erlebt. Die Ausweitung der Beziehungen zeugt vom Interesse der Bürger an den Bürgern in der Partnerstadt. Als zum Kongress der Deutsch-Französischen Gesellschaften im Juli 1984 eine Liste der Beziehungen aufgestellt wird, enthält sie ein halbes Hundert Verbindungen, darunter auch zwischen dem „Fränkischen Volksblatt“ und der „Liberté de Normandie“ in Caen.

Jean-Marie Girault

Richtig ins Schwärmen kommt Hilmar Lipp, wenn er von den Kleingärtnern in Caen und deren Anlagen spricht. 1990, auf dem Gelände der Landesgartenschau in Würzburg, vor dem Normannischen Haus, dem Geschenk der Stadt Caen an die Städteschwester Würzburg, haben er und sein Kollege François Rolland eine Partnerschaftsurkunde unterzeichnet. Kontakte hatte man bereits ab 1982, manches war zuerst ungewohnt. Inzwischen teilt man Freud und Leid und Christian Latte als Nachfolger von Rolland konnte vor einigen Monaten mit den Kleingärtnern von Main und Orne auf 30 Jahre Partnerschaft zurückblicken. Zusätzlich gab es noch einen Partnerschaftspreis des Bezirks Unterfranken. Und Lipp erinnert daran, daß mit der Begrünung der einstigen Schutthalde Colline aux Oiseaux und einer Art Gartenschau die Caennaisen auch Partnerschaftsgärten geschaffen haben – und Partner voneinander lernen.

Freilich haben sich nicht alle Visionen erfüllt, es gibt (nach wie vor) Sprachbarrieren und unterschiedliche Strukturen, wie in der Jugendarbeit und bei den Kirchen : So gibt es keine Verbindung zwischen dem Bistum Würzburg und der Diözese Bayeux/Lisieux,  Kontakte des evangelischen Dekanats liegen seit dem Weggang des für Caen zuständigen Pastors brach.

In diesem Jahr ist die Städtepartnerschaft Würzburg-Caen 50 Jahre. Was ist ein halbes Jahrhundert Städtepartnerschaft in der 1100jährigen Geschichte der Normandie oder der 1300jährigen Geschichte von Würzburg?

Aufbruchsstimmung in Caens Hafenviertel

Würzburgs Partnerstadt Caen ist derzeit in Aufbruchsstimmung, am Ufer der Orne entsteht neuer Wohnraum, Einkaufsmöglichkeiten und eine neue Stadtbibliothek. Ähnlich wie Würzburgs alter Hafen neues Leben bekam, soll auf der Halbinsel beim Bassin Saint-Pierre das Caen des Jahres 2030 entstehen. Nach der Feier des Partnerschaftsjubiläums im November 2012 in Caen bereitet man sich auf 2014 vor: Da stehen nicht nur im März Kommunalwahlen an, sondern im Juni 2014 der 70. Jahrestag von Zerstörung und Befreiung. Höhepunkt sind die Pferde-Weltreiterspiele vom 17. bis 31.August 2014 in Caen. Das weltgrößte Pferdeereignis findet zum ersten Mal in Frankreich statt. 800 Wettkämpfer aus 60 Nationen und Tausende Zuschauer aus der ganzen Welt werden erwartet. Unterstützt wird Caen von der Région Basse-Normandie, wo die Pferdezucht 10 Prozent der Fläche bedeckt, jährlich 600 Mio. Euro Umsatz und 9.200 direkte Arbeitsplätz sichert. Bis 2014 müssen die Sportstätten in Caen auf Niveau gebracht werden, eine Erneuerung der Straßenbahn steht an und so gibt es auch im sechsten Jahrzehnt Themen, bei denen die Partner an Main und Orne voneinander lernen können…

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