Ausgabe Mai / Juni 2020 | Soziales

Schule im Zeichen von Corona

Nicht alles läuft so rosig, wie das Kultusministerium sich das vorstellt. Unterricht zu Hause stellt Lehrer, Eltern und Schüler vor große Herausforderungen.

Text: Ursula Lux | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Videospiele beherrschen sie alle, ob sie mit solchen Gerätschaften auch etwas lernen können, sei dahingestellt.

„Der dynamische Prozeß um COVID-19 hat die Bayerische Staatsregierung zu der Entscheidung bewogen, den Unterrichtsbetrieb an den Schulen bis einschließlich der Osterferien einzustellen.“ Was da so lapidar auf der Internetseite des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus steht, wirft in der Praxis zahlreiche Probleme auf. Und die beginnen schon mit der Arbeitsanweisung des Ministeriums: „Die Lehrkräfte stellen ihren Schülern während der Zeit der Schulschließungen ein altersangemessenes Lernangebote zur Verfügung, vor allem in digitaler Form.“ Die Schulleiterin einer Grundschule im Landkreis Bamberg berichtet, daß bereits am ersten Tag „Mebis“, die Lernplattform des Ministeriums, zusammengebrochen sei. Kurz darauf sei „von ganz oben“ eine Mail gekommen, die Mebiszugänge für die weiterführenden Schulen offenzuhalten. Eine Grundschule aus dem Landkreis Schweinfurt kennt dieses Problem nicht, denn hier wird noch rein analog gearbeitet. Im Gegensatz zur erstgenannten Grundschule, in der Whiteboards verwendet werden und in jedem Klassenzimmer auch Computer für die Schüler zur Verfügung stehen, gibt es dort nichts dergleichen. Die Eltern müssen die Arbeitsblätter für ihre Kinder in der Schulaula abholen. Die Kinder sind im Umgang mit dem Computer nicht geübt, Eltern, die die Bildschirmzeit ihrer Kinder durchaus sinnvoll und gut gemeint begrenzten, haben diesen dadurch jetzt einen Nachteil verschafft.

Aber es geht noch schlimmer! Eine Mittelschullehrerin aus dem Raum Würzburg, die heuer auch noch eine Prüfungsklasse betreut, berichtet: Die Mehrzahl ihrer Schüler besitze keinen Computer. Momentan arbeiteten sie lediglich mit ihrem Handy. Auf drei Wegen schickt sie ihren Schülern das Unterrichtsmaterial, per Mail, in einer extra eingerichteten Cloud und über Mebis. Sie hat auch bereits zwei Tutorials gedreht, die den Umgang mit der Cloud und das Anhängen von Dokumenten über Mail erklären. Inzwischen aber weiß sie, „daß einige meiner Schüler gar kein Internet haben, andere immer noch keine Mails schreiben können – geschweige denn Anhänge hochladen – und wieder andere gänzlich überfordert sind mit der Handhabung eines Computers. Die Cloud können sie nicht öffnen oder ihre Internetverbindung ist zu schwach, um Mebis und andere Lernplattformen wirklich nutzen zu können“.

Eltern sind keine Lehrer

Dieses Problem hat auch der Landkreis Schweinfurt. Stellenweise sind die Internetverbindungen schlecht, Breitbandanschlüsse in einigen Regionen rar. Eine weitere Herausforderung ist mehr psychischer Art. Eltern sind keine Lehrer. Zum Teil können sie den Kindern nicht helfen, einige wollen auch nicht. Eine gutwillige aber gestresste Mutter stöhnt: „Ich kann das Genöhle nicht mehr hören!“ Ihr Erstkläßler sieht gar nicht ein, wieso die Mutter sich plötzlich als Lehrerin „aufspielt“. Aber „reiner Onlineunterricht ohne Erwachsenen ist nicht machbar“, betont die schon zitierte Schulleiterin. Gerade bei den Grundschülern müßten die Eltern „drüberschauen, damit sich die Kinder nichts Falsches angewöhnen“. Wie aber, fragt die Mutter, sie hat noch eine ganz andere Schreibschrift gelernt als ihr Sohn. Während in der Grundschule im Landkreis Schweinfurt der Austausch mit der Lehrerin und deren Kontrolle der Schülerarbeiten gänzlich fehlt, gibt es für die Würzburger Mittelschüler zumindest ein Angebot. Aber, so berichtet die Lehrerin: „Regelmäßig fordere ich Einzelaufgaben per Mail von den Schülern ein, was sich allerdings als sehr schwierig erweist. Manche Schüler melden sich gar nicht, gehen nicht an ihr Handy, andere schreiben immer wieder, daß sie den Lernstoff nicht verstehen, wieder andere versuchen, mir ihre gesamte Wochenarbeit auf einmal zu schicken. Dazu fotografi eren sie ihre Arbeit ab und verschicken jpg-Dateien, die mein Postfach völlig überfordern.“

Auch in den Förderschulen versuchen Lehrer, ihre Schüler zu erreichen. Ein Siebtklaßlehrer berichtet: „Ein Drittel erreiche ich über Email, ein weiteres über Telefon und ein Drittel gar nicht.“ Für Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf sei die momentane Situation erst recht nachteilig, betont er. Viele hätten Eltern, die nicht fähig seien, ihren Kindern zu helfen, und einige wüßten nicht einmal was eine Email ist. Wenn die Kinder dann aber wieder in die Schule zurückkämen, dann hätten einige wenige einen klaren Vorteil, meint der Pädagoge. Die Förderschullehrer hätten einfach mehr Erfahrung damit, die Schüler dort abzuholen, wo sie stehen. Ein unterschiedlicher Wissenstand in derselben Klasse sei normal. Jeder Schüler habe seinen eigenen Förderplan und durch die wesentlich geringere Klassenstärke könne auch viel differenzierter gearbeitet werden.

Sollen oder müssen?

Während das Kultusministerium auf seiner Internetseite schreibt: „Die Einstellung des Unterrichtsbetriebs an den bayerischen Schulen ist nicht mit einer Verlängerung der Osterferien gleichzusetzen“, liegt den Lehrkräften ein Schreiben des Ministeriums vor, in dem sie zwar verpflichtet werden, Unterrichtsmaterial zur Verfügung zu stellen, gleichzeitig heißt es dort aber: „Schüler sollen diese Angebote nutzen.“ Sie müßten also gar nicht, verpflichtend hört sich das nicht an. Weiterhin steht in einem solchen Schreiben: „Der Einsatz digitaler Medien dient dazu, den Kontakt zwischen den Lehrkräften und Schülern aufrechtzuerhalten. Schüler erhalten so Gelegenheit zur Vertiefung und Wiederholung sowie zur Umsetzung von Arbeitsaufträgen.“ Auch das Wort „Gelegenheit“ spricht nicht gerade für eine Verpflichtung. Also sind die unterrichtsfreien Wochen, je nach Gusto, doch eher Ferien? Und wie bitte soll der Lernstoff aufgeholt werden? Die Mittelschullehrerin, die auch mehrere Kinder mit Deutsch als Fremdsprache in der Klasse hat, befürchtet: „Nach der fünfwöchigen Schulpause wird es wahrscheinlich für einige der Schüler fast unmöglich sein, Anschluß an das Niveau der Klasse zu finden.“ Und sie ist nicht allein, wenn sie befürchtet, daß die Bildungsschere weiter auseinandergehen wird, zum Nachteil der Schwachen. Die Schulschließung selbst wird angesichts der Pandemie wohl von niemandem in Frage gestellt. Ob das Kultusministerium die Folgen davon aber richtig einschätzt, fragen sich doch so manche Pädagogen und Eltern.

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