Ausgabe November / Dezember 2022 | Geschichte(n)

Franken, deine Briten!

Die Idee, einmal über fränkisch-britische Beziehungen zu ­räsonieren, ist schon lange vor dem kürzlich die ganze Welt bewegenden Royal Funeral von Queen Elizabeth II. entstanden. Genauer genommen war und ist es der ganze Budenzauber rund um den Brexit, der einen ob des vehement-trotzigen britischen Abrückens von Europa verwundert zurückläßt. Dabei waren die Beziehungen Großbritanniens zum Kontinent und insbesondere zu dessen fränkischen Teil immer wieder auf unterschiedlichste Weise durchaus eng und very special.

Text: Gunda Krüdener-Ackermann
Winifred Wagner
Winifred Wagner

Das Geschehen rund um den „Bayreuther Hügel“ zum Beispiel wurde zwischen 1930 und 1945 von der aus Hastings stammenden Winifred Majorie Williams (1897 bis 1980) wesentlich geprägt. Nach dem frühen Tod der Eltern war sie als Zehnjährige von dem begeisterten Wagner-Anhänger Karl Klindworth und seiner Frau Emily adoptiert worden und kam so nach Berlin. Der enge Kontakt der Klindworths zu Richard Wagner und dessen Familie machte Winifred 1915, gerade mal 18 Jahre alt, zur Ehefrau des einzigen Wagner-Sohnes Siegfried. Nach dessen und Schwiegermutter Cosimas Tod 1930 war sie die „Herrin von Bayreuth“ und damit Gralshüterin des Wagner-Erbes. Unter der Leitung Winifreds wurden die Bayreuther Festspiele seit 1933 quasi zur offiziellen NS-Kultveranstaltung. Parallel dazu avancierte die kleine oberfränkische Stadt durch die alljährliche Anwesenheit des Führers und zahlreicher Wagner-begeisterter ausländischer Politiker zu einem Mittelpunkt europäischer Politik. Winifreds Obsession für Hitler war wohl – so die renommierte Historikerin Brigitte Hamann – auch erotischer Natur. Bereits im September 1923, als die junge Frau den eloquenten Agitator in Bayreuth auf dem sog. Deutschen Tag der NSDAP zum ersten Mal hörte, war sie hin und weg. Der Novemberputsch im selben Jahr, der Hitler seine Festungshaft in Landsberg bescherte, änderte daran nichts. Eifrig versorgte ihn Winifred dort mit Freßpaketen und Stapeln von Schreibpapier für „Seinen Kampf“. Hitler – bald Winifreds Duz-Freund und guter Onkel Wolf der Wagner-Enkel – war in Zukunft allzeit gern gesehener Gast in Villa Wahnfried. Auch nach dem „Untergang“ 1945 blieb Winifred in unverbrüchlicher Nibelungentreue eine fanatische Hitler-Bewunderin. Beredtes Zeugnis davon das 1975 mit ihr geführte Interview des Filmemachers Hans-Jürgen Syberberg. Für viele Zuschauer verstörend, bekannte die alte Dame nach all den Greueln der NS-Diktatur vor laufender Kamera, „fröhlich und glücklich zu sein“, käme Hitler bei ihr jetzt wieder zur Türe herein. Nach der Sichtung neuer historischer Quellen (allerdings ist vieles aus dem Inner Circle der Wagners nach wie vor unter Verschluß) rückt Brigitte Hamann jedoch manches zurecht. Neben dieser dunklen Seite gibt es über Winifred eben auch zu berichten, daß sie wiederholt Bittbriefe und Hilfegesuche zugunsten von Juden und Homosexuellen an Hitler gerichtet hat. Anfangs durchaus mit Erfolg. In summa, so Hamann, war der ganze damalige Wagner-Clan antisemitisch und nationalsozialistisch kontaminiert. Mit ihrer 1975 öffentlich zur Schau getragenen „Unbelehrbarkeit“ eignete sich Winifred (die Engländerin?) lange Zeit jedoch bestens – so die Historikerin – als „Bauernopfer“ der Familie.

Diana und Unity Mitford
Diana und Unity Mitford

Nicht annähernd so breitenwirksam, aber nicht weniger leidenschaftlich sollte sich ein britisches It-Girl der Roaring Twenties zeigen: Unity Valkyrie Mitford (1914 bis 1948). Als unkonventionelles blaublütiges naughty girl (ungezogenes Mädchen), verwandt mit niemand geringerem als Winston Churchill, sprengte sie unter dem Motto „let’s misbehave“ zunächst jede Party. Das Champagnerglas in der Hand, eine Ratte auf der Schulter und eine Ringelnatter um den Arm geschlungen, mischte sie als eine der sechs „verrückten Töchter“ des ehrenwerten Lord Rendesdale jede Fete so richtig auf. Auf die Dauer aber war das der jungen Lady zu fad, simply boring. Sinnsuche war mit einem Mal angesagt. Geradezu fanatisch stürzten sich sie und ihre Schwester Diana (bislang verheiratet mit Englands steinreichem Guiness-Erben) auf die Idee des Faschismus. Unity lernte wie besessen Deutsch, reiste nach München und saß dort – groß, blauäugig und blond, im eleganten hellblauen Pulli und weißen Faltenrock – tagtäglich in Hitlers Lieblingsrestaurant der Osteria Bavaria in München-Schwabing. „Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an“. So beschreibt der Buchtitel ihrer Biographin Michaela Karl die erste minutiös von Unity choreographierte Begegnung mit ihrem Idol. Als Prototyp der nordischen Frau, wenn auch leider geschminkt, konnte sie von Hitler nicht übersehen werden. Ihre Rechnung war aufgegangen. Von da an war sie immer wieder persönlicher Ehrengast Hitlers bei den Bayreuther Wagner-Festspielen und den Nürnberger Reichsparteitagen. By the way, große Teile der britischen Upperclass erwiesen sich als durchaus nazi-affin – und leider, leider sind zwischenzeitlich sogar Videos aufgetaucht, die die spätere Deutschen- bzw. „Hunnen“-Hasserin „Queen-Mum“ mit ihren Töchtern Elizabeth und Margret beim Üben des Hitlergrußes zeigt.

Buchcover Biographie Unity Mitford
Buchcover Biographie Unity Mitford

Aber zurück zu Unity. Nuremberg – she liked it very much! Und dort lernte sie den „reizenden, kolossalen Witzbold“, ihren „liebsten Nazi“ Julius Streicher kennen, Gauleiter Frankens und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“, der sich gerne in sadistischer und pornographischer Greuelpropaganda suhlte. Für Schwester Diana ist „Darling Streicher“, Typ gemütlicher Franke, sogar „ein Kätzchen“. Als eifrige Schreiberin parteikonformer Leserbriefe an den Stürmer und bekennende Judenhasserin wird Unity bald gern gesehener Gast im repräsentativen Nürnberger Cramer-Klett-Palais der Familie Streicher und Ehrengast der Frankentage auf dem Hesselberg nahe Wassertrüdingen. 1935 wird sie dazu von Streicher in schicker Limousine persönlich in München abgeholt und nach einer Sightseeing-Tour durch Würzburg kommt man am „Heiligen Berg“ an. Hier brüllt „das Kätzchen“ auf jener uralten germanischen Kultstätte anläßlich der Sonnenwendfeier in einer Mischung aus Volksfest, politischer Indoktrination und religiösem Erleben rund 100 000 Besuchern seine „antisemitische Berg- bzw- Hetzpredigt“ entgegen.

Aber es gab sie auch – die ganz anderen britisch-fränkischen Beziehungen. Wirtschaftliche zum Beispiel – und zwar sehr erfolgreiche.

William Wilson, Portrait, vermutlich Porzellanmalerei, Künstler unbekannt, um 1840
William Wilson, Portrait, vermutlich Porzellanmalerei, Künstler unbekannt, um 1840

Man denke an den schneidigen Engländer William Wilson (1809 bis 1862), der mit Zylinder und Handschuhen wahrlich eine bella figura in Nürnberg machen sollte. Seines Zeichens war der junge Mann Maschinenbauingenieur und Lokomotivführer und stammte aus der Stahlschmiede Robert Stephenson & Co., der Erfinderwerkstatt der legendären Rocket, einer der weltweit ersten Eisenbahnen. Quasi als Beigabe zur ersten nach Deutschland exportierten Lokomotive, die ihren Dienst zwischen Nürnberg und Fürth aufnehmen sollte, kam Wilson von Newcastle upon Tyne als hochqualifizierte Fachkraft ins Frankenland. Denn wer in Nürnberg kannte sich damals schon mit so einem Dampf spuckenden Hightech-Monster aus? Acht Monate dauerte allein der Transport der Einzelteile der neuen Lokomotive, zuweilen begleitet von übelstem Wetter, und sogar einen Kometen hatte man am Himmel gesichtet. Keine guten Vorzeichen! Das bekümmerte die Männer der Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft und William Wilson herzlich wenig. In den Werkshallen der Maschinenfabrik des Johann Wilhelm Spaeth überwachte Mr. Wilson persönlich den drei Wochen dauernden Zusammenbau des Adlers. Am 7. Dezember 1835 wurde in Nürnberg Mobilitäts-Geschichte geschrieben. Auf dem Führerstand der elegant gekleidete Herr Ingenieur, der das qualmende Ungetüm mit seinen Waggons bei einer Wahnsinnsgeschwindigkeit von nahezu dreißig Stundenkilometern souverän über die Schienen gleiten ließ. Zu ihm faßten die Nürnberger und Fürther schnell Vertrauen. Am sichersten fühlten sie sich, wenn der Wilson die Lokomotive steuerte. Nebenbei unterrichtete der Herr aus England zukünftige fränkische Lokführer im Anfahren, Bremsen und Heizen. Eigentlich hatte er damit seine Schuldigkeit getan. Aber die Nürnberger ließen ihn schlichtweg nicht gehen. Ein ums andere Mal wurde sein Vertrag verlängert. Sein britisches Know-how, das man durch ein fürstliches Gehalt aufwog, schien unverzichtbar zu sein. Schließlich übernahm er auch die Einrichtung und spätere Leitung der ersten Bahnwerkstatt. Gefallen hat dem Herrn Ingenieur aus England sicherlich auch, daß er vor Ort der absolute Star, der Liebling vor allem der Damenwelt war. Bei Wind und Wetter war er mit dunkler Jacke, weißer Weste und Fliege und seinem Markenzeichen, dem Zylinder, unterwegs. Allzeit ohne Wetterschutz oder Überdachung. Auf die Dauer konnte das gesundheitlich nicht gut gehen. Erst im harten Winter 1845/46 stattete man Wilson und seine Kollegen mit Ledermänteln aus. Aber da war er gesundheitlich schon angeschlagen. 1859 mußte er seinen Dienst quittieren. Bereits am 17. April 1862 starb der Ingenieur aus England, nachdem man ihn 1860 anläßlich des 25jährigen Jubiläums der Ludwigeisenbahn noch einmal hatte hochleben lassen. Beerdigt ist William Wilson auf einem der zweifellos schönsten Friedhöfe Deutschlands, dem Nürnberger Johannisfriedhof (Grab IIB / 040-170) und wartet somit in Franken auf den Jüngsten Tag.

Quasi den umgekehrten Weg, also als fränkischer Import nach Großbritannien, nahm Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (1819 bis 1861). Er, über den man als Heiratskandidaten der Queen Victoria zunächst gar nicht amused war (außer Victoria selbst), begegnet einem heute namentlich noch vielerorts: Royal Albert Hall, Albert Memorial (Kensington Garden) in London, Royal Albert Dock in Liverpool oder die Royal Albert Mountains in Kanada … Genau genommen ist somit aus einem Franken ein waschechter Brite geworden.

Prinz Albert auf dem Coburger Marktplatz
Prinz Albert auf dem Coburger Marktplatz

Geboren auf Schloß Rosenau, gelegen in einem Ortsteil des oberfränkischen Rödental, war Albert wenig standesgemäß für eine englische Königin. Seine deutsche Herkunft war allerdings für das britische Herrscherhaus durchaus nicht ungewöhnlich. Die für Normalsterbliche kaum zu entwirrenden und vielfältigen dynastischen Verbindungen englischer Herrscher mit deutschen Adelshäusern wie Sachsen-Coburg etc., Hannover sparen wir aus. Problematischer als ein fränkischer royal Bräutigam war damals der eklatante Imageverlust der britischen Monarchie. Durch ihre Vorgänger ziemlich in Mißkredit gebracht, setzte man auch auf Victoria keine großen Hoffnungen. Zu sehr stand die junge Königin bislang unter der Fuchtel ihrer Mutter und von deren Günstling John Conroy. Auch hatte man Victoria bildungsmäßig ziemlich unbedarft gelassen. Nach dem Motto: Wer nichts weiß, ist leichter formbar! Quasi im Geheimen kämpfte der belgische König Leopold I., ein wohlgesonnener Verwandter, beständig gegen Victorias Wissensdefizite. Er schickte zu allen möglichen Themen Manuskripte und vermittelte schließlich auch die glückliche, doch zu kurze Ehe mit Prinz Albert. Geheiratet wurde 1840.

Die ersten Jahre am Londoner Hof waren für Albert allerdings alles andere als einfach. Fand ihn doch die englische Aristokratie allzu steif und unsportlich – und zu gebildet. Auch seine unbestechlichen Vorstellungen von Moral, Disziplin und Pflichtgefühl kamen nicht gut an. Der fränkische Prinz war also ziemlich isoliert. 

Selbst die Königin hielt ihren universalgebildeten Mann in politischen Angelegenheiten zunächst auf Distanz. Für ihre intellektuelle Unterlegenheit scheint sie sich sehr geschämt zu haben. Damit das nicht so auffiel, hielt sie auch Wissenschaftler und Künstler von ihrem Hof fern. Aber neun Schwangerschaften und Geburten, die die Königin als Qual und Zumutung empfand, änderten alles. Nach und nach lernte sie ihren Mann als loyalen und besonnenen Berater schätzen, lieben tat sie ihn sowieso. Und nebenbei war Albert ein begeisterter, äußerst liebevoller Vater, während die Queen mit ihren kleinen „Brüllaffen“ herzlich wenig anzufangen wußte. Der Prinz blühte auf. Als Consort regierte er endlich an der Seite seiner Frau – und das zum Wohle der bislang angeschlagenen Monarchie. Das Nichtstun war für ihn vorbei. 1851 realisierte er seine Idee einer Weltausstellung in London. Vielseitig begabt und interessiert erarbeitet er u.a. das Ideenkonzept des Crystal Palace. Aber es ging ihm nicht nur um die Glitzerwelt, um die repräsentative Außendarstellung des Britischen Königreichs. Auch das Wohl einfacher Leute lag ihm am Herzen. Um die desolaten Wohnverhältnisse der Unterschicht zu verbessern, machte er erste Entwürfe für Arbeiterwohnungen, ausgestattet mit Wasserleitungen und Wasserklosetts. Und feuersicher sollten die neuen Behausungen sein! Ein Ziel, das man ganz offensichtlich noch nicht einmal in unseren Tagen erreicht hat. Man denke an die 72 Menschen, die 2020 wegen billigster Baumaterialien und miesen Feuerschutzes im Londoner Grenfell Tower verbrannten.

Interessant ist auch, daß mit dem britischen Franken oder fränkischen Briten Albert der deutsche Brauch des Christbaums nach vorausgegangenen zaghaften Anfängen fester Bestandteil des Weihnachtsfestes jenseits des Ärmelkanals wurde. Daß sich die Familie rund um den geschmückten Baum am Abend des 24. Dezember zur Bescherung trifft, ist bis heute ein fester Termin bei den Royals.

Und dann wäre da noch ein fränkisch-britischer Re-Import! Kaum zu glauben, aber den absoluten Silvester-Kult-Sketch „Dinner for one“ verdanken wir ganz offensichtlich niemand anderem als dem Prinzen aus Franken bzw. seinem Privatsekretär George Anson, der diese häufig zum Besten gegebene Episode aufschrieb. Alberts Großmutter, die alte Herzoginwitwe Karoline von Hessen-Kassel, soll alljährlich mangels noch lebender Gäste dieses skurrile Geburtstagsritual veranstaltet haben. Daß der Diener dabei ständig über das vermaledeite Tigerfell stolperte und trotz stetig steigendem Alkoholpegel in unnachahmlicher Akrobatik das Tablett balancierte … all das mag vielleicht doch literarische Fiktion sein. Bei allen Höhen und Tiefen, der kontinal- bzw. fränkisch-englischen Beziehungen sollten die Briten sich das mit dem Brexit vielleicht doch noch einmal überlegen!

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