Ausgabe September / Oktober 2020 | Natur & Umwelt

Das Grüne nach oben

Ein Garten ist ein Ort der Zuversicht. Und nicht selten sind die Menschen, die darin wohnen, mit beneidenswertem Optimismus, mit Gelassenheit und Zufriedenheit gesegnet. So wie Edeltraud und Jürgen Gahn, die rund um den historischen Schafhof von Burg Stein bei Gefrees in Oberfranken ein Gartenparadies geschaffen ­haben. Angetrieben von der eigenen Ahnungslosigkeit hat sich unsere ­Autorin auf den Weg gemacht, um das grüne Geheimnis der beiden Gartenkünstler zu lüften.

Text: Sabine Raithel | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Mein Freund Heinz unterstellt mir „sorglose Niedertracht“. Im Gegenzug werfe ich ihm eine gewisse voyeuristische Schadenfreude vor, die dann zutage tritt, wenn andere (also ich) scheitern. Es geht um die Sache mit dem Garten. Ich bin nämlich ein Grünzeug­legastheniker. Ich schaffe es, dem zähesten Kunststoff-Weihnachtsstern bis Neujahr das letzte Fünkchen Leben auszuhauchen. Und jetzt habe ausgerechnet ich mir ein Haus mit Garten zugelegt. Mehrere Hundert Quadratmeter trockener Rasen, der irgendwie danach lechzt, daß ich ihm den grünen Defibrillator anlege und das Chlorophyll in seinem gelben Moos wieder in Wallung bringe. Ich habe stapelweise Gartenliteratur gekauft. Idealvorlagen für das nie Erreichbare. So hilfreich wie Diätbücher. Heinz klatscht sich vor Lachen auf die Schenkel. Aber ich lasse mich weder von Heinz noch von meiner eigenen Ahnungslosigkeit stoppen. Sie ist mein Treibstoff. Also lege ich das stumpfe Küchenmesser, mit dem ich gegen den Knöterich in den Krieg gezogen war, beiseite und gehe es professionell journalistisch an: recherchiere, rede mit Betroffenen und Experten und habe mich auf die Suche nach echten Garten-profis gemacht. Gefunden habe ich Edeltraud und Jürgen Gahn.

Der Ackermannshof

Gestaltet ist der Garten des Ehepaares Gahn natürlich überall, aber so, als wäre es ganz natürlich so gewachsen.

Das Ehepaar hat sich 1995 in der Nähe von Gefrees in einem historischen Bauernhof aus dem 17. Jahrhundert niedergelassen. Der ehemalige Schafhof gehörte einst zu den Ländereien der Burg Stein, deren bewegte Geschichte bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht. Die ehemalige Hauptschullehrerin und der frühere Seminarleiter und leidenschaftliche Mundart-Autor haben sich hier ihr eigenes kleines (oder besser: gar nicht so kleines) Naturparadies erschaffen. Und alles mit den eigenen Händen. Sie haben den historischen Schaf- oder „Ackermannshof“ komplett entkernt, ihn mit modernen Elementen, aber hauptsächlich im alten Stil aufgebaut und zu einem typisch fränkischen Vierseithof erweitert. „Und weil wir beide von jeher den Traum hatten, uns von dem zu ernähren, was der eigene Garten hergibt, haben wir einige Jahre später noch das 4 000 Quadratmeter große Nachbargrundstück erworben und rekultiviert“, berichtet Edeltraud Gahn. Dann zieht sie mich, die ich jetzt einfach mal ganz still werde, mit in ihr blühendes Dorado. Ein Garten ist ein Ort der Zuversicht. Und das wird im Ackermannshof bei Edeltraud und Jürgen Gahn spürbar. Wurzeln schlagen, Dinge für die Welt von morgen pflanzen und dann mit Geduld zusehen, wie das Grün und die Liebe dazu wachsen, das passiert hier. „Es war so, wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft, der dann Wellen in konzentrischen Kreisen schlägt. Wir haben mit einem Teil begonnen – das war unser erster Gemüsegarten – und von diesem Punkt aus haben wir uns das Land immer mehr erobert und den Garten gestaltet.“

Für diesen Garten gibt es kein schlechtes Wetter – selbst bei bewölkten Himmel und Regen ist der Garten ein Erlebnis.

Im Einklang mit der Natur

Schmale Kieswege mäandern durch unterschiedliche Gartenräume auf terrassenartigen Ebenen. Die Gartenanlage erinnert ein wenig an einen historischen Klostergarten. Nichts wirkt hier erzwungen oder maniriert. Wir durchschreiten in bunter Pracht blühende Bauerngärten, einen Gartenraum im Barockstil mit einem Ornament-Buchs-Knoten, einen schlichten Zen- und mehrere buchsgesäumte Gemüsegärten mit Gurken, Bohnen, Brokkoli, Kartoffeln, Zwiebeln, Artischocken, Salaten, Erdbeeren – also einfach allem, was man sich auf dem Teller wünscht. Eine strake Rangordnung oder strikte Sortierung sucht man hier vergebens. Obst und Gemüse werden bei den Gahns so angepflanzt, daß sie sich gegenseitig nutzen – aber letztlich darf alles auch über den Beetrand hinauswuchern, so wie es mag.

Das Ehepaar ist mittlerweile Selbstversorger – nur die Kartoffeln für die Klöße und ein wenig Fleisch kaufen sie beim benachbarten Bauern zu. Und was nicht vorher verzehrt wird, darf einfach weiter zum Himmel emporschießen und in voller Pracht blühen, wie manche Zwiebel und mancher Salat. Hier kann alles – und muß nichts.

Von den schmalen Wegen abgesehen, wächst, sprießt, grünt, blüht es hier überall.

Ich beobachte, wie die beiden völlig entspannt und immer mit einem freundlichen Lächeln über ihre Pflanzen sprechen. Hier rattern keine benzinbetriebenen Heckenscheren. Hier wird nichts auf ein akkurates Maß getrimmt. Es gibt niemanden, der mit sadistischem Killerinstinkt, Schutzanzug und Gasmaske einem unerwünschten Kraut mittels chemischer Waffen ans zarte Leder will. Hier gibt es auch keine moderne, W-lan-unterstützte Bewässerungstechnik. „Wir lassen einfach alles wachsen. Wir haben unsere Ideen und Vorstellungen – aber letztlich gestaltet die Natur. Viele Pflanzen säen sich mittlerweile selber aus. Und was einfach zuviel wird, das wird herausgezupft“, erklärt Jürgen Gahn. „Mehltau an den Rosen behandeln wir mit verdünnter Rohmilch. Das funktioniert hervorragend.“ Ich nicke ergeben und fange langsam an zu begreifen. Zwischen dem vermeintlich Besten und Nichts liegt der Freiraum, in dem alles gedeiht.

Ein Garten ist wie ein gutes Leben

Edeltraud und Jürgen Gahn

In malerischen Nischen und an sanft plätschernden Springbrunnen entdecke ich kleine, kreative Tonfiguren. In einer Ecke sehe ich eine ganze Reihe von Tonköpfen, die auf Holzstämmen sitzen. „Unser Philosophengarten“, sagt die Schöpferin der witzigen Charaktere, Edeltraud Gahn. Während ich mich nicht sattsehen kann an mehr als 200 Rosen, knorrigen, von Rosenramblern er-klommenen Quittenbäumen, dem romantischen Seerosenteich und vielen gemütlichen, meist versteckt gelegenen Sitzecken, Lauben und Pavillons, nasche ich Blüten von Funkie, Taglilie, Phlox, Nachtkerze und Malve – und staune, welche intensiven Geschmacksexplosionen da in meinem Mund stattfinden. Edeltraud und Jürgen Gahn haben sich einen Lebenstraum erfüllt: ein Leben in absolutem Einklang mit der Natur. Ein Leben, das Sinn macht. „Tagsüber arbeiten wir hier im Garten und abends genießen wir die Früchte dessen, was wir mit unseren eigenen Händen geschaffen haben.“ Ob sie noch einen ultimativen Gartentip für ein „Greenhorn“ wie mich hätten? „Geduld, Liebe – und: Das Grüne muß nach oben.“ Ach ja: Weihnachtssterne habe ich im Garten von Ehepaar Gahn nicht entdeckt. Und neben vielem anderen habe ich die Erkenntnis gewonnen: Ein Garten ist wie ein gutes Leben. Man darf ausprobieren und Fehler machen. Es wird einem verziehen, und man darf weiter experimentieren. Man muß es nur tun. Und so werde ich es jetzt auch in meinem eigenen Garten halten. Ich werde verzweifeln und fluchen. Und dann werde ich an die Zuversicht und die Liebe im üppigen Ackermannshof denken. Ich werde lernen. Und wenn dann doch am Ende eine eßbare Möhre in meinem Gemüsebeet gedeiht, dann werde ich mich einfach nur freuen und in tiefer Demut vor diesem Wunder hineinbeißen.

Gestaltet ist der Garten des Ehepaares Gahn natürlich überall, aber so, als wäre es ganz natürlich so gewachsen.

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