Ausgabe März / April 2019 | Essen & Trinken

Savoir-vivre im Weinhäusle

Lust-und Laune-Essen in Hammelburg

Text: Sabine Haubner

Anderswo nennt sich die Visitenkarte des Restaurants „Speisekarte“ oder minimalistisch „Menü“. Sie präsentiert ihre Gerichteauswahl je nach Image in stilvollem Design, mit effektvoller Typographie oder grellen Fotos, die nichts Gutes ahnen lassen. Im Hammelburger Weinhäusle schlägt der Gast ein unscheinbares, braunes Plastikmäppchen auf, wie er es auch in ländlichen Sportgaststätten finden könnte, und liest leicht überrascht „Lust & Laune-Essen“. Eigentlich das Leitmotiv dieser ­außergewöhnlichen Weinstube. Ihr Besitzer Peter Plewe widmet sich ausnahmslos Gerichten, auf die er selbst Lust hat – und Laune, sie umzusetzen. Die Hausmacherbrotzeiten und kleinen Gerichte „geche‘n Hunger“ stellt der leidenschaftliche Koch seinen Gästen immer zur Verfügung. Da gibt es so leckere Kleinigkeiten wie Knobeline mit Kraut und Brot, eine Art knoblauch­lastige, würzige Bratwurst, Kochkäse oder die liebevoll und appetitlich bunt arrangierte Hausmacher Wurstplatte. Zusätzliche Gerichte – urige, fast ausgestorbene fränkische Spezia­litäten wie etwa Saure Lunge und saisonale Köstlichkeiten, da kann der gebratene Spargel den Gaumen kitzeln, sind „von Woche zu Woche anners“. Wobei, genaugenommen die Wochenenden gemeint sind. Von Montag bis Freitag ist Plewe nämlich in Weinberg und -keller am Schaffen. „Save water, drink wine“ ist denn auch sein Motto, das die Autorin an der Eingangstür des Weinhäusles liest. Dieses duckt sich auf der rechten Seite des lauschigen Weinhofes, inmitten einer ruhigen Gasse von Frankens ältester Weinstadt. Hier betreibt der 65jährige, der einen perlenden Humor mit ironischem Biß pflegt und gerne lacht, seit 1993 ein kleines, öko­logisches Weingut. Hammelburgs Rebgeschichte begann übrigens mit der Schnapszahl, 7. Januar 777 und einem königlichen Geschenk. Damals überschrieb Karl der Große seine Weinberge an der fränkischen Saale dem Kloster Fulda.

Schelmisch und ­knochentrocken

Peter Plewe

Ob Plewe wohl mit dieser alten Winzertradition familiär verflochten ist? „Ich bin ein Schnüdel“, antwortet er mit einem schelmischen Lächeln, und die meisten Unterfranken wissen sofort, daß ihre Kugellagerstadt am Main gemeint ist. Bevor der Weinhäusleherr zum Wein kam, war noch ein Schlenkerer nötig: Studium der Agrarwissenschaften in München und Gießen. Damit war Schluß, als er merkte, daß die Distanz zu seiner Frau, die in Schweinfurt lebte, auf Dauer nicht tragbar war. Die Liebe ging vor und Plewe orientierte sich neu. Er begann eine Winzerausbildung in Randersacker bei Robert Schmidt, der damals „knochentrockene“ Weine ausbaute, als sie noch gar nicht modern waren. Unverfälscht, „so, wie sie gewachsen waren“, formuliert es Plewe, und im Holzfaß ausgebaut. Ein Stil, der den Jungwinzer prägte und seiner Art entgegenkam – das Unverfälschte, das Gewachsene, das selbstverständlich Eigenständige, im Weinhäusle kann man es überall entdecken. Das fängt eigentlich schon mit seiner  Vorgeschichte an, zumindest der, die Plewe miterlebt hat. 1994 kaufte er das Haus gegenüber, in dem er zuvor als Untermieter in Keller, Erdgeschoß und Hof Trauben verarbeitete und vinifizierte. Damals lebte ein altes Ehepaar in dem kleinen Häuschen. Wenn Plewe im Hof kelterte, lehnte sich Frau Schmidt am Nachmittag gerne aus ihrem Fenster zum Hof und bat ihn auf einen Kaffee herein. Als 2003 die beiden verstorben waren, hat Plewe das Nachkriegsgebäude übernommen, erst mal aus praktischen Beweggründen, um die Zufahrt zu seinem Hof zu sichern. „Dann war die Hütte dagestanden“, und der Winzer hat die Gegebenheiten veredelt. „Ich koch‘ halt sehr gerne“, also hat er sich eine Gaststättenkonzession besorgt und begonnen, eine Art erweiterte Heckenwirtschaft zu betreiben, als zweites Standbein, und „ganzjährig geöffnete Werbeveranstaltung“ für seine preisgekrönten Weine, die er nach strengen Bioland-Kriterien an- und ausbaut. Viel eingerichtet hat er nicht, denn er wollte „keine Schickimicki-Bude“ und hat im Prinzip alles so gelassen, wie‘s war. Die Bodendielen sind original, die Küche ist da, wo sie die Schmidts hatten, und wenn man die beiden Gasträume mit den niedrigen Dekken betritt, fühlt man sich wie in einem gemütlichen Wohnzimmer, ein Gefühl, das seine solide Berechtigung hat. Der erste Gastraum, den man betritt, mit massiven Vollholztischen, Kücheneinblick, einem kleinen Tresen und Bullerofen, war das ehemalige Wohnzimmer der Schmidts, die zweite Wirtsstube ihr Schlafzimmer.

Gewachsene Gemütlichkeit

An den Wänden sorgt ein Sammelsurium alter Fotos für nostalgische Gedanken. Neben Hammelburger Ansichten gibt es so erheiternde Exemplare wie eine Bierreklame inklusive  Slogan „Kinder sauft, die Brauerei braucht leere Fässer“ oder ein Sommerfrische­foto von 1950, auf dem das Saalefreibad mit fröhlichen Besuchern in ­züchtig-bedeckender Badebe­kleidung belebt wird und der Vermerk „Die Badesaison hat begonnen“ erklärt. Dieses Ambiente ist gewachsen und keine aufgepfropfte, austauschbare Gastrogemütlichkeit. Hier fühlt man sich wirklich wohl und auch der Sonntagsstammtisch nebenan strahlt das aus: heitere Gesichter, aufblitzendes Gelächter, ausgelassene Neckereien. Bis zu 33 Gäste können diese Geselligkeit im Weinhäusle genießen. Im Sommer gibt’s für 40 Platz, draußen in der Pergola und der Scheune bei weit geöffneten Toren. Kaum zu glauben, daß Peter Plewe am Wochenende das ganz alleine in der Küche stemmt, lediglich eine Servicekraft gesteht er sich zu. Noch unglaublicher, wenn er so nach und nach rausrückt, daß er seine Zutaten regional bezieht, dafür wurde er mit den „3 Silberdisteln“ der Dachmarke Rhön prämiert, und möglichst aus ökologischer Produktion, daß er alles frisch zubereitet und langwierige Vor- und Zubereitungszeiten ganz selbstverständlich auslebt.

Die sehr humanen Preise sind wohl nur durch seine 7-Tage-Woche zu erklären. Der Sauerbraten wird schon am Dienstag  eingelegt und darf Rotwein schmecken. „Im Grunde eine althergebrachte Geschichte, die im Rahmen der Ko­stenkalkulation bei den meisten Gasthäusern den Jordan runtergegangen ist“, erklärt Plewe. Der Einsatz von Sauerbratenpulver ist dann ein fader und fadenscheiniger Vertuschungsversuch. Plewe braucht für die wunderbare Soße seines Rehragouts einen halben Tag Minimum: vom Anrösten der Knochen über das Köcheln der Brühe mit „unedlen Teilen vom Reh“ und Wurzelgemüse bis zum Einreduzieren und Anreichern durch den eigenen Rotwein. Zusammen mit Semmelklößen und Wirsing ein rundes Gericht, die Autorin hat‘s versucht und findet, „da könnt mer sich neilech“.

Vollendet wird das Wohlbehagen, wenn der Wein dazukommt. Silvaner, Müller-Thurgau, Bacchus, Johanniter, Riesling, Spätburgunder, Dornfelder und Domina stehen zur Auswahl. Die Autorin testet den Silvaner und bekommt Lust auf mehr: Er schmeckt angenehm ehrlich und erfreut mit einem lebendigen Spiel von Säure, Fruchtaromen und Würze.    

Kein Dosenfutter

Schnitzel kommen im Weinhäusle nicht auf den Tisch, und in der Küchenausstattung sucht man vergeblich nach einer Fritteuse für dazu passende Pommes. Was man auch nicht finden wird, sind 20-Liter-Eimer mit fertigen Soßen, aus denen in Durchschnittsküchen gerne geschöpft wird. Auch Dosen sind Mangelware. „Die einzigen Büchsen, die Sie bei mir finden können, sind Sauerkrautdosen“, versichert der Winzerwirt. So ganz stimmt das allerdings nicht. Als er merkt, daß die Autorin ihren üppigen, mit Ratatouille und Hackfleisch gefüllten Pfannkuchen nicht bezwingen kann, holt er aus der Küche eine Frischhaltedose. Da gibt er den Rest rein und schickt ihn ihr mit auf den Nachhauseweg. Auf Rückerstattung verzichtet er großzügig. Vermutlich ahnt er, daß weitere Weinhäusleaufenthalte einfach unvermeidlich sind.

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