Ausgabe Juli / August 2022 | Zivilgesellschaft

Nix für den Müll

Der Pulli hat ein Loch? Die elektrische Zahnbürste taugt nur noch für die manuelle Reinigung der Fliesenfugen im Bad? Die Lösung heißt: reparieren statt wegwerfen. Im Mitwitzer Reparatur-Treff zeigen Experten, wie man defekte Alltagsdinge zu neuem Leben erweckt.

Text: Sabine Raithel | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Eine kleine Gruppe von Menschen hat sich in der alten Mitwitzer Schule getroffen und beobachtet ein spannendes Experiment. Im Halbkreis stehen sie um einen Tisch, an dem sich ein Elektronikexperte mit Lötwerkzeug an einem winzigen Bauteil zu schaffen macht. Die Frage, die hier alle umtreibt: Kann man elektrische Zahnbürsten selbst reparieren und somit deren Lebensdauer deutlich verlängern – oder eben nicht? 

Szenenwechsel: In ihrer malerischen Töpferwerkstatt in Burgstall zeigt die Innungsobermeisterin der Töpfer und Keramikerinnen Bayern, Edith Memmel, Interessierten, wie man eine zerbrochene Tasse fachgerecht zusammenfügt und wieder benutzbar macht. Und ein weiterer Schnitt: Der Mitwitzer Arzt und Grünen-Aktivist Dr. Matthias Rudolph hilft im Mitwitzer Reparatur-Treff der verzweifelten Besitzerin eines teuren aber leider plötzlich dienstunfähig gewordenen Kaffeevollautomaten, diesen wiederzubeleben. Die Lösung ist – wie so oft – überraschend einfach. Eine Kaffeebohne hatte sich im Wassertank verirrt, war aufgequollen und hatte so das System außer Betrieb gesetzt.

Reparieren im digitalen Zeitalter
Reparieren im digitalen Zeitalter: Vormittags entwickeln die Studierenden des Lucas Cranach ­Campus im „FabLab“ Dinge, die unsere Zukunft bewegen – nachmittags steht das HighTech-Equipment der Öffentlichkeit zur Verfügung. Foto: Martin Haseney, Laboringenieur FabLab

„Reparieren muß per se wieder ein Wert sein“

Mit Hilfe eines längeren chirurgischen Bestecks kann Dr. Rudolph das Problem schnell beheben. Bohne beseitigt. Patient gesund. Oder schließlich: Im „FabLab“ des Kronacher Lucas Cranach Campus haben sich umweltbewußte Hobbybastler eingefunden und reparieren unter fachkundiger Anleitung Toaster, Handstaubsauger und andere Elektrokleingeräte. Der intelligente Dreh: Fehlende oder defekte Kleinteile werden hier mit dem 3D-Drucker einfach nachproduziert.

Wenn der Mixer nach kürzester Zeit überhitzt den Dienst verweigert, wenn ein Loch im Pullover oder ein Riß in der Hose ist, ein Stuhlbein wackelt, die Waschmaschine knattert oder das Fahrrad einen „Achter“ hat, dann gehören diese Dinge noch lange nicht auf den Müll, so die Überzeugung des Mitwitzer Ortsvereins der Grünen. Unter Federführung von Edith Memmel, Dr. Matthias Rudolph und Sarah Sonanini gründeten sie den Reparatur-Treff. Einmal im Monat kann man hier mit seinen lieb gewonnenen aber ramponierten Alltagsdingen kommen und lernt, sie unter sachkundiger Anleitung wieder zu neuem Leben zu erwecken. Zum Auftakt ihrer Veranstaltungsreihe und quasi als „Paten“ hatten sich die Initiatoren des Reparatur-Treffs einen der prominentesten Vertreter der deutschen Reparaturszene eingeladen: den Elektrikermeister Heinrich Jung aus Ingelheim. Vor 37 Jahren gründete der engagierte „Resteverwerter“ seinen Betrieb „Blitzblume“. Dabei steht „Blitz“ für den Bereich Elektrik und „Blume“ für die Ökologie. Beides bringt der Handwerksmeister gekonnt zusammen. Im Laufe seines Berufslebens hat der überzeugte Umweltschützer mehr als 13.000 Waschmaschinen, 7.400 Geschirrspülmaschinen, 2.000 Wäschetrockner, 1.000 Kühlschränke und knapp 400 Staubsauger vor der Deponie gerettet. Wissenschaftler u. a. des Fraunhofer Instituts nutzen die Erfahrung von „Blitzblume“ für die Nachhaltigkeitsforschung. „Reparieren muß per se wieder ein Wert sein“, so seine Überzeugung. „Wenn ein Elektrogerät schon lange funktioniert hat, dann hat es doch bewiesen, daß es alt werden kann und daß die Konstruktion an sich stimmt. So ein Gerät darf man doch nicht wegwerfen. Reparieren heißt: Ressourcen schonen und Geld sparen. Warum soll man eine ganze Waschmaschine wegwerfen, nur weil ein winziges Bauteil auf einer Platine defekt ist?“ „Wir müssen weg von der Konsum- und Wegwerfgesellschaft hin zu einer Reparaturgesellschaft. Dinge müssen wieder einen Wert bekommen“, unterstreicht Edith Memmel. „Man muß sich nur mal die Berge an Elektronikschrott ansehen, die auf den Wertstoffhöfen landen. Da wird schnell klar, daß wir so nicht weiter wirtschaften können.“ 

Elektroschrott im Kopf?

Weltweit kamen allein im Jahr 2019 insgesamt 53,6 Millionen Tonnen Elektroschrott zusammen. Das ist etwa so viel, wie alle erwachsenen Europäer zusammen wiegen. Oder 350 große Kreuzfahrtschiffe. Oder tausendmal die Titanic. Auf jeden Fall sehr viel. Und leider immer mehr, wie der jährliche „Global E-Waste Monitor 2020“ feststellt: Seit 2014 hat die Masse an Elektroschrott (E-Waste) um mehr als ein Fünftel zugenommen. Damit ist er im Bereich des häuslichen Mülls der am schnellsten wachsende Abfallstrom. Hauptgründe für das Anwachsen des Elektroschrottberges sind laut den Autoren der Studie vor allem der zunehmende Konsum an Elektroprodukten, deren Kurzlebigkeit und die Schwierigkeiten, Elektrogeräte reparieren zu lassen. Und die Autoren fürchten, daß dieser Schrottberg in den kommenden Jahren weiter steil anwachsen wird. Bis zum Jahr 2030 könnte die globale jährliche Elektroschrott-Produktion bei 74 Millionen Tonnen liegen – und hätte sich dann in nur 16 Jahren verdoppelt. Zwar fielen in Deutschland 2019 nur knapp zwei Millionen Tonnen Elektroschrott an (zwölf Millionen Tonnen in ganz Europa), während über 46 Prozent in Asien entstanden (knapp 25 Millionen Tonnen), doch umgerechnet auf den Pro-Kopf-Anteil ragen wir hierzulande hoch aus dem Schrotthaufen heraus.

Mehr als 20 Kilogramm Elektroschrott pro Kopf entstehen in Deutschland, genau wie in den USA. Der weltweite Durchschnitt liegt mit 7,3 Kilogramm E-Waste pro Kopf weit darunter. Menschen in Afrika haben daran den kleinsten Anteil mit gerade einmal 2,5 Kilogramm Elektroschrott pro Person und Jahr. „Jeder einzelne kann dazu beitragen, die Menge an Elektroschrott zu verringern, indem man den Konsum von Elektrogeräten nachhaltiger gestaltet. Es muß ja nicht immer gleich die neueste Version eines Gerätes angeschafft werden. Und indem wir alte Geräte nicht einfach über den Hausmüll entsorgen, sondern reparieren. Das ist unser Ansatz. In unserem Reparatur-Treff gibt es, jeweils am letzten Freitag im Monat, Hilfe zur Selbsthilfe und jeweils ein anderes -Reparatur-Schwerpunktthema“, berichtet Sarah Sonanini. Heinrich Jung vom Reparaturservice „Blitzblume“ appelliert indes an die Industrie, Alltagsprodukte wieder reparierfähig zu machen und so zu konstruieren, daß sie eben kein „eingebautes Verfallsdatum“ mehr haben. Und er kennt positive Vorbilder: Unternehmen, die reparierfähige Smartphones herstellen oder sogar defekte Akkus wiederbeleben.

In der Keramikwerkstatt von Edith Memmel (Mitte) in Burgstall kann man lernen, wie sich selbst zerbrochene Teller und Tassen wieder reparieren lassen.
In der Keramikwerkstatt von Edith Memmel (Mitte) in Burgstall kann man lernen, wie sich selbst zerbrochene Teller und Tassen wieder reparieren lassen. Die Innungsobermeisterin der Töpfer- und Keramikerinnung Bayern und Grünen-Politikerin gibt ihr profundes Wissen gerne weiter.

Man kann sogar eine elektrische Zahnbürste reparieren!

Laut Statistik würden 80 Prozent der Deutschen ihre Alltagsgegenstände gerne reparieren, wenn sie nur wüßten wie. Deshalb entstehen allerorten sogenannte Repair Cafés oder Reparatur-Treffs. Über 800 gibt es davon bundesweit. In Franken entstehen sie allerorten. Der Ökomode-Hersteller Bleed in Helmbrechts zeigt in seinem Reparatur Café beispielsweise, wie man lädierte Kleidung wieder in Schuß bringt, Löcher stopft oder Reißverschlüsse einnäht. Und für Sarah Sonanini ist der Reparatur-Treff weit mehr als reiner Selbstzweck: „Unser Reparatur-Treff ist tatsächlich auch ein beliebter Treffpunkt, ein Ort für ungezwungenes, geselliges Beisammensein und Informationsaustausch.“ Elektrogeräte enthalten wertvolle Rohstoffe, etwa Kupfer, Aluminium, Gold, Eisen, Glas, Keramik und weitere Metalle oder Seltene Erden. Sie werden oft mühsam, unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen und auf umweltschädliche Weise geschürft. Elektrogeräte können zudem gesundheitsgefährdende oder umweltschädliche Substanzen enthalten. Doch gerade mal 17,4 Prozent des weltweiten Elektroschrottes werden recycelt. 82,6 Prozent landen auf Müllhalden oder werden verbrannt. Und mit ihnen die in den Elektrogeräten enthaltenen Materialien – wertvolle oder auch giftige. Ähnlich sieht es bei Kunststoffen aus. Die Auswirkungen unserer Einweg-Kunststoff-Wegwerfkultur sind sowohl an den Küsten und Stränden als auch in den Ozeanen zu sehen. Plastikmüll verschmutzt die Meere zunehmend. Einer Schätzung zufolge könnten sich, am Gewicht gemessen, bis zum Jahr 2050 mehr Plastikartikel als Fische im Meer befinden. Die Elektrozahnbürste vereint beides: Kunststoff und elektrische Komponenten. Sie ist ein Massenartikel, der in fast jedem Haushalt in Gebrauch ist – und sie ist ein schnellebiges Wegwerfprodukt. Übrigens: Die Mitwitzer Umweltschützer haben herausgefunden, daß man defekte elektrische Zahnbürsten – mit Lötkolben und etwas Fingerspitzengefühl – tatsächlich reparieren kann. Die Alternative: Das eigene Konsumverhalten überdenken. Und vielleicht tut es die ökologisch unbedenkliche Holzzahnbürste ja auch?

Reparieren statt wegwerfen und neu kaufen spart Geld
Reparieren statt wegwerfen und neu kaufen spart Geld, wertvolle Ressourcen und macht gemeinsam richtig Spaß. Für Hannes Sonanini, Peter Tyat, Dr. Matthias Rudolph und
Sarah Sonanini (v.l.) ist das Werkeln jedenfalls eine rundum schöne Freizeitbeschäftigung.

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