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Maquetten des Weltuntergangs I

Text: Wolf-Dietrich Weissbach

Sollte unsere Welt wirklich demnächst untergehen – und zwar nicht einmal, weil ein gekränkter Präsident seinen Erstschlag getwittert hat, sondern gewissermaßen systemimmanent an sich selbst –, dann wird auch dies vermutlich niemand mehr richtig merken. Zugedröhnt mit glücklich machenden Drogen werden dehydrierte Smartphoniker einfach beim Party-Machen offline gehen; das Licht erlischt und die Musik geht aus. Italo Calvinos Qfwfq (Cosmicomics. München Wien 1989 / 2015) hat sich längst in die Galaxie M22 verzogen; Jeff Bezos, Bowen Zhoun, Eric Schmidt, Mark Zuckerberg, Ray Kurzweil, Peter Thiel und andere betuchte Transhumanisten verprassen restlos von Sinnen ihr Geld in einer Mondlounge. Auf der Erde herrschen ungesunde Aerosole über Müllhalden, Betonwüsten, Kloakentümpel.

Die digitalen Clouds jagen sich gegenseitig die Accounts von ohnehin längst Verstorbenen ab.

Haben die sich so die Singularität vorgestellt? Immerhin: Peter Thiel (PayPal-Mitbegründer) hatte in einer Schrift aus dem Jahre 2009 „The Education of Libertarian“ verkündet: „Zwischen Politik und Technologie wird ein Kampf auf Leben und Tod ausgetragen … Das Schicksal unserer Welt liegt vielleicht in den Händen eines einzelnen Menschen (vermutlich meinte er sich), der den Mechanismus erschafft oder verbreitet, den wir brauchen, um die Welt zu einem sicheren Ort für den Kapitalismus zu machen.“ Und er ist bestimmt nach wie vor überzeugt, daß im bald – voraussichtlich ab 2050 – ausbrechenden postbiologischen Weltzeitalter alles – zumindest für seinesgleichen – paradiesisch wird. Rendite ohne Ende, Allmacht, Unsterblichkeit und die Toten werden auferstehen (Frank Tipler: Die Physik der Unsterblichkeit. München 2007). Ray Kurzweil (Google Chefingenieur) ergänzt: „Im Verlauf des Jahrhunderts werde es gelingen, das Sonnensystem mit selbstreplizierender, nicht biologischer Intelligenz zu erfüllen … Wenn wir die gesamte Materie und Energie des Weltalls mit unserer Intelligenz gesättigt haben, wird das Universum erwachen, bewußt werden – und über phantastischen Intelligenz verfügen. Das kommt, denke ich, Gott schon ziemlich nahe.“ (Kurzweil: Menschheit 2.0 Die Singularität naht. Berlin 2013)

Je klüger die Software, desto dümmer der Nutzer

Singularität meint also – nach Ansicht der Transhumanisten – den historischen Moment, in dem die Entwicklung künstlicher Intelligenz so weit fortgeschritten ist, daß ultraintelligente Maschinen die menschliche Intelligenz ins Unvorstellbare übertreffen und schließlich sogar über Selbstbewußtsein verfügen. Jenseits von dem kann die Zivilisation, wie wir sie kennen, nicht mehr fortbestehen. Damit wäre das Ende menschlichen Lebens auf dem Planeten Erde als Kollateralschaden der Intelligenzexplosion billigend in Kauf genommen. Wobei natürlich klar ist, daß diese Gestalten vorher ihr Gehirn in die virtuelle Realtität uploaden, schließlich kann nicht gewährleistet werden, daß die superintelligenten Maschinen es mit der Biomasse auf der Erde gut meinen werden.

Transhumanisten wie etwa der Oxforder Professor Nick Bostrom zeigen sich diesbezüglich echt besorgt. Allerdings sollte sich „die KI … ihrer Unbesiegbarkeit sicher“ sein, „dann würde sie uns vielleicht nicht direkt angreifen“. In diesem Fall, so Bostrom, „erwartet uns eine wunderbare Zukunft, die unsere wildesten Träume übertrifft“.

Der Weg dorthin – versteht sich – ist jedoch nicht einfach und dürfte uns noch so manche Überraschung bescheren. Mehr und mehr ergreifen schon jetzt Cyborgs oder sogar einfacher gestrickte Mischwesen aus Mensch und Maschine die Macht, schaffen beispielsweise die letzten verbliebenen Demokratien ab. Entlang der menschlichen Geschichte hat es in verschiedenen Gradationen Hybriden zwar schon immer gegeben, sobald Werkzeuge benutzt wurden oder Prothesen zum Einsatz kamen.

Nur die jungen Soldaten, die 1916 mit abgerissenen Gliedmaßen aus den Schützengräben gezogen wurden und denen im König-Ludwig-Haus eine hölzerne Gehhilfe angepaßt wurde, konnten damit tatsächlich gewisse Defizite ausgleichen.

Die Prothesen, die gegenwärtig in Form von Smartphones unters Volk kommen, sind von anderer Qualität. Betrachten wir sie als Werkzeuge, dann erweitern sie tatsächlich unsere Fähigkeiten; wir finden selbst in Großbardorf auf Anhieb die Pizzeria, die geöffnet hat, können an jedem Ort „King of Dead“ spielen, wo immer wir gerade sind, das Wetter abfragen, haben stets unsere Lieblingssongs dabei; wissen punktgenau, wo sich unser Ehepartner gerade befindet. Zugleich werden wir jedoch auch zu einer Erweiterung unseres Smartphones, werden – manchmal nur in einem winzigen Umfang, manchmal geradezu umfassend durch regelmäßige Updates z.B. von Microsoft – programmgerecht formatiert. Der Philosoph Marshall McLuhan hatte bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts behauptet (Die magischen Kanäle), daß unsere Werkzeuge jedes Körperteil am Ende betäubten, das sie verstärkten.

Im Zusammenhang mit Smartphones und ähnlichen Gadgets ist dies inzwischen vielfach bewiesen. Durch Taschenrechner verlernen wir das Rechnen, durchs Navi verlieren wir die Orientierungsfähigkeit, Schreiben, Denken, Erinnern usw.. Bei manchem mag das alles nicht weiter tragisch sein, solange die entsprechenden Prothesen funktionieren. Dramatisch wird es erst, wenn es zutreffen sollte, daß das Smartphone eben nicht nur ein Werkzeug ist, die Digitalisierung eben keine Technik, die wir einfach als Mittel nutzen können, das uns in der Bemächtigung der Welt voran bringt, sondern eine Weltanschauung, die uns selbst verändert. Bewußt wird einem das jedoch nur, wenn „die Technik“ nicht funktioniert und uns plötzlich damit konfrontiert, daß wir eine Fähigkeit nicht mehr haben, die wir einmal hatten und meinten nicht mehr zu brauchen. Es ist dieses Mißverständnis, das uns glauben macht, es gebe eine digitale Kompetenz im Sinne von Selbstbehauptung gegenüber den Programmen, die wir benutzen. Die Programme benutzen vor allem uns und seien wir noch so schlau.

Nur noch Nullen

So banal es nun klingt, so mathematisch kompliziert die Algorithmen der digitalen Welt auch immer sein mögen, es sind nichts als formale Regeln. Es ist jeweils eine Syntax aus Nullen und Einsen. Und die zugrundeliegende Behauptung ist, daß alles irgendwie materiell ist bzw. auf Materielles reduziert, zurückgeführt werden kann oder eben muß, sonst ließe es sich ja nicht digitalisieren, in Nullen und Einsen umschreiben. Und schließlich muß das einmal Digitalisierte, will es seinen Auftritt in der analogen Welt haben, wieder auf die materielle Welt angewendet werden. Letztlich als elektrische Impulse für Maschinen, die etwas erstellen, produzieren, in Gang setzen, stoppen, zeigen, verschwinden lassen. Auch das mag auf den ersten Blick nicht sonderlich bedenklich sein. Natürlich insofern als es Arbeitsplätze für Menschen beseitigt, vielleicht auch die Menschen selbst. Dramatisch (und politisch kaum einholbar) ist jedoch, daß alles, was, überspitzt könnte man sogar sagen: jemals, digitalisiert wurde bzw. wird unwiderbringlich seine Bedeutung verliert. Die Reduktion, die absolute Formalisierung auf Nullen und Einsen macht den Verweis auf einen Wissenszusammenhang völlig beliebig. D.h. nicht, daß man dem, das mittels Digitalisierung erstellt, dargestellt oder sonstwie wieder in der analogen Welt auftritt, nicht Bedeutung (wieder) zuschreiben könnte. In vielen Zusammenhängen mag das auch völlig unerheblich sein (genaugenommen ist es das doch nicht, sei’s drum). Klarmachen kann man sich so aber, daß der 3D-Druck des Fabelwesens „Le Stryge“ (halb Frau, halb Hündin), aus dem pulverisierten Stein, was beim Brand von Notre Dame davon übrigblieb, mit dem Original nichts gemein hat. Nur gilt das Entsprechende auch von jedem Selfie, das über Whatsapp in die Welt gejagt wird.

Was immer wir digitalisieren und damit der Beliebigkeit anheimgeben, berauben wir genau dessen, wofür wir es wertschätzen – und wenn nicht wir, dann unser Nächster. Wie gesagt: Wir können dem Digitalisierten womöglich wieder Bedeutung verleihen, allerdings funktionierte dies allenfalls, wenn wir es alle, sagen wir: demokratisch vereinbart, täten. Anderenfalls produzierten wir lediglich alternative Wahrheiten. Es mag religiös klingen und vielleicht ist es das auch, moralisch ist es allemal – allerdings im Sinne einer universalistischen Moral. Dementsprechend kann man behaupten, daß wir in dem Maße, in dem wir unsere Welt digitalisieren, dazu beitragen, sie unwiederbringlich zu zerstören. Insofern wir letztendlich kein Argument, keine Möglichkeit haben, das, dem wir selbst seine Bedeutung genommen haben, verbindlich vor dem Zugriff anderer zu schützen, selbst wenn wir dem wieder Bedeutung zuerkannt haben.

Es fehlt die verbindliche, moralische Instanz, die von allen bzw. wenigsten fast allen anerkannt wird. Die ist mit Notre Dame verbrannt, die ertrinkt beinahe täglich im Mittelmeer, die zerstören wir unseren Kindern, indem wir ihnen digitale Kompetenz vermitteln, die zerstören letztlich sogar die Kirchen, wenn sie ihre Gottesdienste als 360-Grad-Video auf Youtube stellen.

Dabei ist sicher richtig, daß es ein Wahrheitskriterium, eine verbindliche Instanz, sieht man von Gott ab, an dem man eben glauben muß, nicht gibt und vermutlich noch nie gab. Vielleicht war da nur die Zuversicht in eine, von menschlicher Willkür weitgehend unabhängige Instanz – rund 150 Jahre schien das die analoge Fotografie zu sein. Mit der Digitalisierung wird alles beliebig. Vor allem das Denken der Menschen. ¶

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