Ausgabe März / April 2023 | Politik & Gesellschaft

Im Prinzip: Hoffnung

Im Gespräch mit der Sozialdemokratin ­Gesine Schwan über ihr Buch „Politik trotz Globalisierung“

Text: Gunda Krüdener-Ackermann | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Gesine Schwan
Gesine Schwan

In diesen diabolischen Zeiten brauchen wir Hoffnung! Zeiten, in denen alles durchein­ander geraten zu sein scheint: unsere Sicherheit, unsere Werte, unsere Gewissheiten … Putins Krieg, die Corona-Krise und die Erkenntnis, daß die Menschheit und ihre Umwelt in beängstigender Geschwindigkeit immer mehr an ihre Grenzen kommen … Gesine Schwan, streitbare SPD-Politikerin und Vorsitzende der Grundwertekommission ihrer Partei, hätte für ihr 2021, erschienenes Buch durchaus einen Titel, in dem „Hoffnung“ direkt angesprochen wird, verwenden können. Sie hat sich für das nüchterne „Politik trotz Globalisierung“ entschieden. Dabei deutet das „trotz“ an, daß weltweit zunehmend unüberschaubare politisch-ökonomische Entwicklungen herkömmlich repräsentative Demokratien wie die unsere offenbar an ihre Grenzen kommen lassen.

Aber es ist gerade die Hoffnung, die das gesamte Buch durchzieht. Denn die hat sich Gesine Schwan trotz langer, zuweilen desillusionierender politischer Arbeit in einer beeindruckenden Weise erhalten. Mit Inhalt füllen aber kann man die nur, wenn sie auf positives, engagiertes Handeln vieler trifft. „Es gibt“, so äußert Schwan in einem mit ihr persönlich geführten Gespräch, „hoffentlich in den nicht allzu üppig gesäten Demokratien dieser Welt noch genügend Menschen mit klarem Kopf, die vernünftig an die Bewältigung der anstehenden Probleme herangehen“. Und: „Menschen müssen in ihrem Vertrauen bestärkt werden, daß es sich lohnt, für eine bessere Welt zu kämpfen.“ Deshalb geht sie in ihrem Buch der Frage nach, wie politische Teilhabe der einzelnen Bürger – unabdingbare Voraussetzung für Demokratien – heute noch oder wieder funktionieren kann. Denn festzustellen ist eine allerorten beängstigende Zunahme von Resignation, von Politikverdrossenheit und in deren Folge die Radikalisierung politischer Kräfte. Dem beklemmenden Gefühl der Ohnmacht des einzelnen in einer aus den Fugen geratenen Welt muß also in unser aller Interesse dringend entgegengewirkt werden. Das Mittel eines Plebiszits, also einer Volksabstimmung, so Gesine Schwan, sei allerdings dafür in der Regel kein Mittel der Wahl. Man denke an das wohl gerade scheiternde Experiment des Brexits. Gerade hier habe sich doch gezeigt, wie es einer un- bzw. desinformierten Öffentlichkeit einfach „aus dem Bauch heraus“ nicht gelingen könne, ein derart komplexes Problem, wie das Verlassen der EU, zu überreißen oder gar zu entscheiden. Die repräsentative Demokratie müsse also durch neue Formen der Teilhabe ergänzt, ja aufgewertet werden.

Gefordert ist eine bürgernahe Zukunftsgestaltung

Unverzichtbar sei dabei ein Miteinander von Zivilgesellschaften, Regierungen und Unternehmen. Ja, auch Lobbyismus habe hier einen legitimen Platz. Denn transparente für alle zugängliche dargestellte Partikularinteressen auch von Industrie oder NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) seien zentral für einen Dialog bzw. Trialog auf Augenhöhe. Dabei bezieht sich Gesine Schwan besonders auf die Philosophin Hannah Arendt. Die meint nämlich, daß es, um mit dem „Gegner“ ins Gespräch zu kommen, geistiger Beweglichkeit, jeder Menge Phantasie und der Kraft, aufeinander zuzugehen, bedarf. Unverzichtbar ist dabei, sich in den anderen und seine Position hineinzuversetzen, gegebenenfalls Selbstkritik zu üben, die eigene Position neu zu justieren. Interessenkonflikte müssen unbedingt offen auf den Tisch kommen. Nur so besteht die Chance, transparente Lösungsperspektiven zu entwickeln. Etwa als Antworten auf die Herausforderungen der Klimakrise, der globalen Migration und des beschleunigten Strukturwandels. Soweit die Theorie. Aber in ihrem Buch wie auch im direkten Gespräch nimmt Gesine Schwan immer wieder Bezug auf die Praxis. Beredtes Beispiel ist dafür ihr eigenes Engagement bei der Zukunftsgestaltung der ostdeutschen Region Lausitz. Dort gilt es einen Strukturwandelprozess zu bewältigen, der dem politisch beschlossenen Ausstieg aus der Braunkohle geschuldet ist. Nichts weniger als eine bürgernahe Zukunftsgestaltung ist hier zu realisieren unter Einbezug alter und neuer „Player“ vor Ort.

Auch in Franken stehen solche Transformationen ins Haus. Man denke an den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen bei den Zulieferern der Automobilindustrie in Oberfranken. Der Wandel hin zur Elektromobilität wird dieser Re­gion gewaltige Veränderungen abverlangen, die gemeinsam anzupacken sind. (s. hierzu: Franken-Magazin Jan/Feb 2021 – Es darf in diesem Zusammenhang erwähnt werden, daß das Franken-Magazin mit seinen Sonderheften Dorfleben die politische Dimension, die Wichtigkeit von Gemeinden erkannt hat und darüber immer wieder ausführlich berichtet.)

Für Gesine Schwan sind es gerade die Städte und Gemeinden und deren nationale wie auch internatio­nale Vernetzungen, die Garanten politischer Teilhabe der einzelnen Bürger sind, ja wieder stärker in den Fokus geraten müssen. Hier begegnen sich Menschen auf Augenhöhe, können ihre Probleme gemeinsam anpacken.

Mit der Schubkraft des Wir-Gefühls …

Gesine Schwan, "Politik trotz Globalisierung"Es sei daran erinnert, wie engagiert etwa manche Gemeinde ihre Energieversorgung oder den Hochwasserschutz selbst in die Hand genommen hat. So entstand, um ein Beispiel von vielen zu nennen, etwa mit „Streu & Saale“ in der Rhön ein Windpark, der die Anwohner nicht untereinander entzweit hat. Denn es ist gemeinsam beschlossene Sache, daß Risiko und Gewinn untereinander gerecht zu verteilen sind. Mit der Schubkraft des Wir-Gefühls werden aber auch alte fränkische Dorfkerne wiederbelebt. Neue Ideen werden entwickelt, um den Lebensraum Land wieder attraktiver zu machen. Man denke auch an das Bürgerengagement in vielen fränkischen Gemeinden, die genossenschaftlich die Grundversorgung ihrer Bewohner vor Ort organisieren, die das Kulturgut Dorfwirtshaus als Begegnungsstätte für jung und alt wiederbeleben. Nicht zu vergessen die vielen Helferkreise, die sich stundenlang für die Integration von Flüchtlingen in ihren Ortschaften engagieren. Manch einer investiert seine gesamte Freizeit, um bürokratische Hürden mit den zugewanderten Neubürgern zu überwinden. Das schweißt zusammen. Aber nicht nur. Zuviel Idealismus kann auf die Dauer auch erschöpfen, desillusionieren, ja zuweilen auch verbittern. Hier fordert Gesine Schwan von der großen Politik „Demokratie darf nicht umsonst sein!“ Es braucht eben auch in den einzelnen Kommunen Personen und Institutionen, kommunale Entwicklungsräte, die die Arbeit der Bürger professionell unterstützen. Und dafür ist eben auch Geld notwendig, manchmal sogar viel Geld.

Aber wie soll man auf kommunaler Ebene große weltpolitische Probleme in den Griff bekommen? Die globale Klimakrise, die wirtschaftlich-sozialen Verwerfungen, ausgelöst durch den entfesselten Kapitalismus etwa in Ländern der Dritten Welt? Ein wahrhaft gemeinsames Europa wäre in einem ersten Schritt schon schön. So verweist fast jede fränkische Gemeinde mit Stolz auf einem Schild am Ortseingang auf ihre internationalen Beziehungen, sprich kommunalen Partnerschaften. Mancher Bürgermeister allerdings beklagt, daß da außer einem gegenseitigen Besuch auf der Verwaltungsebene nicht mehr viel übrig ist. Hier gilt es, vertrocknete Institutionen, die vielleicht einmal ihren Ursprung in Veteranentreffen oder Sprachaustausch hatten, mit neuen Inhalten zu füllen. Junge Leute sollten motiviert werden, an Bestehendes anzuknüpfen und gemäß ihren Interessen neue Netzwerke zu schaffen. Auch in Polen oder Spanien gibt es junge Klimaaktivisten, um ein Beispiel zu nennen.

Ohne das Prinzip Hoffnung müßte man am Zustand der Welt verzweifeln

Mit Blick auf die Dritte Welt stellt Gesine Schwan fest, daß man es leider immer noch vor allem mit den alten kolonialen Strukturen zu tun hat. Dort Rohstoffe, hier Technologie. Die klimatischen Verwerfungen tun ein Übriges, daß immer mehr junge, vor allem Männer, oft als letzte Hoffnung ihrer Familien, nach Europa, Deutschland, Franken abwandern. Mit den bekannten Folgen. Es bedarf der Phantasie und auch des Mutes, um hier neue Wege zu beschreiten. Deutschland etwa müßte viel flexibler in seiner Zuwanderungspolitik werden, merkt die Politikerin an. Warum bietet man diesen Menschen nicht saisonale oder begrenzte Einwanderungsmodelle an? Mit der Gewißheit „die bleiben nicht für immer“, könnte man so den Einheimischen ein Stück weit die Angst vor Überfremdung nehmen. Mit Blick auf Franken könnte gerade hier der Gemüse- und Obstanbau davon profitieren. Man denke daran, wie händeringend oft die Spargelbauern im Nürnberger Knoblauchsland nach Erntehelfern suchen. Ausbeutung wie das in riesigen Plantagen anderenorts zu beobachten ist, ist hier von vornherein arbeitsrechtlich zu unterbinden. Aber auch ganz allgemein kann eine solche Strategie dem Arbeitsmarkt mit seinem Fachkräftemangel von Nutzen sein. Denn indem man hier junge, zugewanderte Menschen ausbildet, die nach einer gewissen Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren, wäre allen geholfen. Niemand verläßt nämlich gerne für immer seine Familie, seine Heimat. Damit hätte man, modern gesprochen, eine Win-Win-Situation. Keine Vorstellung macht man sich davon, so Gesine Schwan, wieviel Geld die hier Arbeitenden nach Hause schicken. Das wird in die dortige Existenz, in ein kleines Gewerbe, in die Bildung der Kinder investiert … Das bringt die Länder voran, lädt die Menschen ein, dort zu bleiben. Durch diese privaten Kanäle kommt ein Vielfaches von dem Geld an, das internationale Geberorganisationen leider noch immer allzu oft in korrupte Regierungen fließen lassen.

All das hier so optimistisch Angesprochene, Vorgezeichnete hat jedoch ein großes Manko: Alles braucht Zeit, mitunter sogar viel Zeit. In manchen Bereichen mag das akzeptabel sein, aber was die globale Klimakrise betrifft, stellt sich die große Frage: Haben wir die überhaupt noch?

Ohne „Das Prinzip Hoffnung“ könnte man am Ist-Zustand der Welt durchaus verzweifeln. Gesine Schwan hat diese Zuversicht jedoch, die Gewißheit, daß wir die Welt gemeinsam im Kleinen wie im Großen doch noch zum Besseren verändern können.

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