Ausgabe März / April 2019 | Wissen & Können

Familien-Bande

Ein schnelles Auto war einst der Traum eines jeden Buben. Heute begeistern sich junge Leute mehr für schnelles WLAN. Und immer weniger von ihnen drehen sich nach einer eleganten Limousine um. Eher bestaunen sie ein wohlgestyltes Smartphone. Es sieht also nicht gut aus für die Zukunft der Automobilität. Solchen Pessimismus quittiert Dieter Süßenguth mit einem breiten Lachen. Der Kfz-Meister setzt auf solides Handwerk – und auf seine drei Söhne. Eine Besichtigung der „H & S Kraftfahrzeug GmbH“ in Würzburg.

Text: Markus Mauritz

Der Chef liebt Autos. So wie jeder, der hier in der Werkstatt arbeitet. Das lassen schon die bunten Modelle in der Vitrine erahnen, das demonstrieren eindrucksvoll die beiden prächtigen Oldtimer im Empfangsraum. Ein Mercedes-Benz W 108 Baujahr 1972 und ein Mercedes W 116 Baujahr 1973 stehen chromfunkelnd und lackglänzend nebeneinander. Schöner haben die beiden Limousinen wohl noch nie ausgesehen, vielleicht damals, als sie vom Band rollten. Der W 108 war einst ein Oberklasse-Modell mit Stahlfederung und wurde von 1965 bis Ende 1972 gebaut. Seine Nachfolger waren die S-Klasse-Modelle der Baureihe W 116.

Dieter Süßenguth lacht wie einer, der mit sich und der Welt zufrieden ist. Nicht nur, weil ihm eines der beiden Autos im Empfangsraum gehört. In Süßenguths Leben ist alles so gelaufen, wie er es sich gewünscht hat. Zumindest die meiste Zeit. Vor bald fünfundzwanzig Jahren hat er sich selbständig gemacht. Damals übernahm er den kleinen Betrieb, für den er bis dahin als Werkstattmeister gearbeitet hatte. Mit diesem Unternehmen im Würzburger Stadtteil Sanderau war er eigentlich zufrieden: „Mir war das groß genug!“ sagt der 55jährige, dem man mit seinem dunklen Lockenkopf das Alter nicht ansieht.

Werkstattbesuch

Aber vor zwei Jahren gab er dann doch noch einmal so richtig Vollgas, übernahm das 3 000 Quadratmeter große Gelände eines früheren Autohändlers im Gewerbegebiet Heidingsfeld und zog mit seiner „H & S Kraftfahrzeug GmbH“ an den Stadtrand, an das Ende der Winterhäuser Straße, wo schon die ersten Äcker und Felder in Sicht kommen.

Die ebenerdige Garage mit ihren 1000 Quadratmetern versteckt sich ein wenig inmitten anderer Zweckbauten. Ein Getränkemarkt, eine Papierverwertung und ein Reha-Zentrum befinden sich in der Nachbarschaft. Es gibt nichts Spektakuläres zu sehen. Einige Autos parken auf dem gepflasterten Hof. In einer Ecke stapeln sich alte Reifen. Einziger Schmuck der „H & S Kraftfahrzeug GmbH“ ist ein blaues Reklameband unter dem gewellten Eternitdach, das die Leistungen der Garage auflistet: Inspektionen, Öl-Service, Reifen, Bremsen, Unfall-Instandsetzung, Lackiererei, Oldtimer-Service, HU- und AU-Abnahme, heißt es da.

Drinnen blitzt es gelegentlich blau auf. Es wird geschweißt. Dann hört man Hämmern und Klopfen. Die Garage der „H & S Kraftfahrzeug GmbH“ ist ein Blick zurück in jene Tage, als Autos noch etwas mit Freiheit und Romantik zu tun hatten, und niemand von Fahrverboten und Abgaswerten sprach. Die „H & S Kraftfahrzeug GmbH“ ist eine Werkstatt, wie man sie entlang der „Route 66“ vermuten könnte.

Speziell für Liebhaberstücke

Zu Beginn des Jahrtausends gab es noch weit über 23 000 Freie Werkstätten in der Bundesrepublik. ­Heute sind es immer noch mehr als 21 000. Aber trotz dieser enormen Konkurrenz kommen Süßenguths Kunden aus ganz Nordbayern zu ihm. Sogar in Regensburg wohnt einer seiner Auftraggeber. Rund zweihundert Kilometer Anfahrt, nur um ein Auto reparieren zu lassen? Natürlich handelt es sich nicht um ein x-beliebiges Auto. Der Oberpfälzer vertraut der „H & S Kraftfahrzeug GmbH“ einen edlen Porsche an, ein echtes Liebhaberstück.

Nach Süßenguths Ansicht sind alte Fahrzeuge aber nicht nur etwas fürs Herz, sondern auch eine hervorragende Geldanlage. Er hatte mal einen Original-Pagoden zur Generalsanierung in seiner Werkstatt, einen Mercedes SL, cremefarben, rote Ledersitze, das Armaturenbrett aus feinstem Holz, 1964er Baujahr. Ursprünglich betrug der Neupreis für den Wagen 19 900 D-Mark. Schon damals eine schöne Stange Geld. Aber heute zahlten Liebhaber bis zu 125 000 Euro dafür, erklärt der Kfz-Meister. Solche Fahrzeuge seien so begehrt, „weil sie gut gebaut sind, weil sie praktisch sind, weil man leicht an Ersatzteile rankommt – und weil es so viel Spaß macht, sie zu fahren“, weiß Süßenguth auch aus eigener Erfahrung. Dieter Süßenguth leitet seinen Betrieb nicht alleine. Der 55jährige betreibt die Werkstatt gemeinsam mit seinen drei Söhnen und einem Cousin. Alle haben sie Benzin im Blut und jede Menge Leidenschaft im Leib, wenn es um Motoren geht. „Ich war schon in Griechenland und in Portugal, und in Spanien war ich auch schon. Alles mit dem Auto!“ erzählt der Kfz-Meister. Auch mal mit einem Flieger im Urlaub gewesen? „Nee, noch nie, da sieht man doch nichts von der Landschaft!“ winkt Süßenguth mit entwaffnender Logik ab.

Für Motoren und Maschinen konnte sich Dieter Süßenguth seit jeher begeistern. Eine Leidenschaft, die er ganz offensichtlich seinen Jungs in die Wiege gelegt hat, denn alle drei haben sie „was Vernünftiges gelernt“ – der älteste Sohn ist Lackierer, der zweite Mechatroniker-Meister, und der dritte beendet gerade seine Lehre als Kfz-Mechatroniker. Dieser Ausbildungsgang entstand 2003 aus den Berufen Kfz-Mechaniker, Kfz-Elektriker und Automobilmechaniker und spiegelt die heutigen Anforderungen im Kfz-Bereich wider. Ohne Elektronik und insbesondere ohne IT-Technik ginge es nämlich im heutigen Werkstattalltag nicht mehr.

Trotzdem zählt noch immer die Erfahrung des Senior-Chefs. Einer seiner Söhne steckt den Kopf zur Tür ein und holt ihn, um eine Rechnung zu unterschreiben. Süßenguth läßt seinen Zigarillo im Aschenbecher kokeln und kommt schnell zurück. Dann muß er nochmals in den Empfangsraum, um kurz mit einem Kunden zu sprechen. Chef-Sachen sind eben Chef-Sachen und haben nichts mit moderner Technik zu tun. Chef-Sachen bleiben auch in Zukunft das, was sie schon immer waren!

Alle „der Chef“

Die Chefs: Dieter Süßenguth, Pascal Süßenguth, Sven Scherpf (von links).

Süßenguths Cousin, der das H & S-Quintett komplett macht, hat ebenfalls einen Meisterbrief in der Tasche. „Wir sind alle Chefs“, erklärt Dieter Süßenguth und grinst so selbstbewußt, daß man am liebsten schmunzeln möchte. Als er vor zwei Jahren das Angebot bekam, das Areal im Heidingsfelder Industriegebiet zu übernehmen, gab er seinen Söhnen genau eine Woche Bedenkzeit. Keine leichte Entscheidung. Denn neben den vielen Freien Werkstätten gibt es in der Bundesrepublik auch noch 16 280 sogenannte Markenwerkstätten, die mit Glasfassaden und Wänden aus Edelstahl und unübersehbaren Firmenlogos Käufer und Kunden anlocken. Das ist aus Sicht der Freien Werkstätten so, als sollten sie mit einem Puppentheater gegen Hollywood-Glamour anrennen. Zumindest optisch!

Die Wirklichkeit sieht allerdings ein wenig anders aus. „Zum Glück!“ meint Süßenguth. Die Freien Werkstätten befinden sich nämlich schon seit langem auf der Überholspur. 2015 hatten sie bei den Reparaturen bereits einen Marktanteil von 47 Prozent. Gründe für diesen Erfolgskurs gibt es viele, nicht zuletzt den, daß das Durchschnittsalter der deutschen Fahrzeugflotte seit Jahren nach oben klettert. Je älter das Auto, desto eher fährt man damit zu einer Freien Werkstätte, beweist die Statistik. Wie das Marktforschungsinstitut „Ipsos SA“ in einer Studie herausgefunden hat, vertrauen in den ersten drei Jahren 83 Prozent der Fahrzeughalter ihre Autos den Vertragswerkstätten an. Bei älteren Fahrzeugen ist es genau umgekehrt. 79 Prozent der Autos, die älter als 13 Jahre sind, werden in einer Freien Werkstätte repariert oder instandgesetzt. Die Markenwerkstätten haben mit 21 Prozent klar das Nachsehen.

Und wer einen Oldtimer oder zumindest einen angehenden Oldtimer sein eigen nennt, der sucht sich ohnehin eine Werkstätte, in der es noch nach Schmieröl und Benzin riecht, in der die echten Schrauber das Sagen haben – und in der vielleicht ein Pirelli-Kalender von einem Schrank halb verborgen an der Wand hängt. Die Kfz-Branche ist eben immer noch eine Männerdomäne. Mehr als 97 Prozent der Mechatroniker-Azubis in Deutschland sind Jungs.

Allerdings ist Dieter Süßenguth bei seinen Lehrlingen oder gelegentlichen Praktikanten schon oft aufgefallen: „Die jungen Leute haben keinen Darm im Leib!“ – denen fehle das Herzblut, die Leidenschaft für Maschinen und Motoren. „Die sitzen lieber am Computer!“ Was das angeht, braucht sich Süßenguth bei seinen Jungs keinen Kopf machen. Noch ehe die Woche Bedenkzeit rum war, stand fest, daß die „H & S Kraftfahrzeuge GmbH“ den alten Standort in der Sanderau aufgibt, nach Heidingsfeld umzieht und die drei Söhne mit ins Boot kommen.

Und für die nächste Generation ist auch bereits gesorgt. Der älteste Enkel kenne sich mit seinen vier Jahren schon perfekt aus, erzählt Dieter Süßenguth. Der fahre sogar schon ein Bike mit richtigem Benzinmotor – natürlich ohne Stützräder! Das muß dann wohl an den Genen liegen. Ob der Opa allerdings seinen 1972er Mercedes eines Tages aus dem Empfangsraum holt und an den Sprößling abtritt, steht noch nicht fest. So ein Auto ist ja eine Herzenssache.

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