Ausgabe Juli / August 2023 | Natur & Umwelt

„Es ist wie Ebola“

Der aggressive Amphibien-Hautpilz Bsal bedroht seit einigen Jahren die Feuersalamander in Deutschland und löscht ganze Populationen aus. 2020 wurde er erstmals im Steigerwald nachgewiesen. Der Biologe Jürgen Thein hat seitdem die Befallsentwicklung im Blick. Hoffnung und Fatalismus – ein Monitoring-Termin bei Ebrach.

Text: Sabine Haubner | Fotos: Lothar Mayer
Der Feuersalamander – jeder kennt ihn, jeder mag ihn, Experten bangen nun um sein Überleben.
Der Feuersalamander – jeder kennt ihn, jeder mag ihn, Experten bangen nun um sein Überleben.

Ausweglose Situationen sind gewissermaßen seine Spezialität. Lurchi, Deutschlands langlebigster Comic-Held, findet immer einen Dreh, wenn’s ganz knapp wird für ihn und seine Freunde, etwa in den Pranken eines Braunbären oder im Kochkessel hungriger Kannibalen. Der Feuersalamander vertreibt mit seinen wilden Abenteuern Kindern während des Schuhkaufs die Zeit. Keck, mutig, sympathisch – und immer rettet er seine Haut. Seinem zoologischen Vorbild „Salaman­dra salamandra“ gelingt solches seit wenigen Jahren zunehmend nicht mehr. Auch er ein Sympathieträger unter den heimischen Schwanzlurchen. Er fällt auf durch seine Größe, er wird bis zu 20 Zentimeter lang, und Körperzeichnung: ein signalgelb-schwarzes Muster auf dem wie lackiert glänzenden Leib. Man sagt ihm auch eine gewisse Zähigkeit nach. Feuersalamander können sehr alt werden und verfügen über die Spezialfähigkeit, einzelne Gliedmaßen bei Verlust wieder nachwachsen zu lassen. Beeindruckend auch des Lurchs effektive Feindabwehr durch Verspritzen eines Nervengiftes – wer ihn frißt, riskiert den Tod.

Gegen einen Feind jedoch ist er machtlos: den Hautpilz Bsal, Kurzform für Batrachochytrium salamandrivorans. Die deutsche Bezeichnung „Salamanderfresser“ gibt einen Eindruck von dessen verheerender Wirkung. Infizierte Tiere leiden an einer Mykose, kreisförmig in die Haut gefressene Löcher und kraterförmige Hautgeschwüre sind sichtbare Symptome. Der Biologe Jürgen Thein aus dem unterfränkischen Haßfurt vergleicht die Erkrankung mit Ebola. „Einmal befallen, stirbt der Feuersalamander mit hoher Wahrscheinlichkeit daran.“

Salamander-Monitoring im Ebracher Forst: aufwendiges Suchen und Stochern im Totholz an mäanderndem Bach.
Salamander-Monitoring im Ebracher Forst: aufwendiges Suchen und Stochern im Totholz an mäanderndem Bach.

Verheerende Seuche

Er beobachtet seit 2020 im Auftrag des Landesamtes für Umwelt (LfU), Augsburg, den Streifzug des virulenten Chytridpilzes im Steigerwald. Dort wurde vor drei Jahren nördlich von Ebrach (Lkr. Bamberg) ein toter Feuersalamander mit auffälligen Läsionen gefunden. Der Verdacht auf Bsal-Befall bestätigte sich, der erste Nachweis in Bayern. Für heimische Fachleute eine Katastrophe. Irgendwie hatte man gehofft, der todbringende Erreger käme nicht so schnell in den Süden. Inzwischen weiß man: Die Übertragung ist fatal einfach.

„Bsal stammt wohl ursprünglich aus Asien und wurde wahrscheinlich über den Tierhandel eingeschleppt“, so Thein. In Europa schlug der Pilz zuerst in den Beneluxstaaten zu. 2010 brechen ganze Feuersalamander-Populationen in den Niederlanden zusammen, 2013 folgt das Massensterben in Belgien. 2015 dann der Sprung nach Deutschland mit Verheerungen in der Eifel und im Ruhrgebiet.

Bislang sind die attraktiven Schwanzlurche in Deutschland in den Mittelgebirgswäldern noch verbreitet, mit abnehmendem Trend, wie vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) zu erfahren ist. In Bayern steht die Art schon auf der Roten Liste. Der Status quo könnte erheblich prekärer sein, denn Deutschland ist inzwischen europaweiter Bsal-Hotspot.

Ob die schlimmsten Befürchtungen für den Steigerwald eingetroffen sind? Nach zwei Jahren Bsal-Screenings kann Thein eine Zwischenbilanz ziehen: „Von 440 untersuchten erwachsenen Feuersalamandern waren 10 bis 11 Prozent infiziert.“ Das ist eine Rate wie in den anderen Gebieten. „Der einzige Unterschied ist, daß sie hier nicht massenhaft sterben.“

Und die aktuelle Lage? Einen Eindruck wird das nächste Frühlings-Monitoring bringen. Eigentlich war schon der April anvisiert, aber Nachtfröste machten eine Wanderung der Weibchen zu den Wasserstellen, an denen sie ihre Larven absetzen, eher unwahrscheinlich. Optimale Bedingungen, die den Feuersalamander zum Verlassen seiner feuchten Unterschlüpfe bringen, sind Temperaturen von mindestens 2 Grad, Nachtstunden und am besten Regenwetter.

Ein Hautabstrich an der Bauchseite soll Gewissheit bringen: Ist der Lurch mit dem tödlichen Hautpilz Bsal infiziert?
Ein Hautabstrich an der Bauchseite soll Gewissheit bringen: Ist der Lurch mit dem tödlichen Hautpilz Bsal infiziert?

Anfang Mai ist es warm genug, die von Thein angefragte wissenschaftliche Verstärkung aus Berlin ist eingetroffen – auf Niederschlag wird nun nicht mehr gewartet. Wir treffen uns um 19 Uhr an einem waldnahen Ortsteil von Ebrach. Hier sammelt sich Theins Team. Er stellt die Artenschützer Robert Atzmüller, Andreas Kiraly, beide vom BUND Haßberge, und Liliane Irle, Naturpark-Rangerin im Steigerwald, als „freiwillige Naturenthusiasten“ vor. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zum Monitoring. Die Suche ist aufwendig. Der Biologe Marvin Schäfer, der mit seiner Berliner Arbeitsgruppe mitläuft, umschreibt ihren Anteil so: „Möglichst viele salamandergeschulte Augen im Wald, um den Fangerfolg zu maximieren.“ Er und seine beiden Studienkollegen Guillaume Demare aus Frankreich und Dr. Agustin Elias-Costa, Argentinien, forschen über Amphibien am Berliner Naturkundemuseum, Schäfer über die Kommunikation einer westafrikanischen Froschfamilie. Ihnen angeschlossen haben sich aus Interesse der kanadische Computerwissenschaftler Kyle Krüger und die Medizinstudentin Anna-Catharina Rossaert aus Belgien, die über Mykosen bei Koalabären promoviert.

Die fünf ziehen aus einer Kühlbox ihre Ausbeute des vorhergehenden Screeningabends: drei tote, tiefgefrostete Feuersalamander. Todesursache Bsal? Die genetische Untersuchung im Labor der Uni Trier, eine Art PCR-Test, wird es erweisen, wenn die drei zusammen mit den Hautabstrichen der Frühlingsaktion dort gelandet sind.

Allem voran: Hygiene!

Wir steigen in zwei geländetaugliche Autos, die zugleich mobile Hygienestationen sind, um ein Bachsystem im Koppenwinder Forst in der Nähe des Bsal-Erstfundes abzusuchen. Erste Handlung nach dem Ausstieg. Thein packt zwei Pumpspritzen aus. „Wir als Menschen sind eine der wichtigsten Ausbreitungsquellen“, betont er. „Das Entscheidende bei diesem Pilz ist die Desinfektion.“ Er benetzt die Schuhe der Teilnehmer großzügig mit Alkohollösung, vom gesäuberten Profil bis zum Schaft.

Marvin Schäfer erklärt, warum diese Chytridpilze so problematisch sind: „Sie bilden Sporen, die sehr widerstandsfähig sind und auch im Boden länger überleben können.“ Dieser kann leicht im Profil von Wanderschuhen oder Forstla­stern von einem Gebiet ins andere geschleppt werden. Das ist nur einer von den vielfältigen Übertragungswegen. Bsal wird direkt von Tier zu Tier übertragen, aber auch über das Wasser oder über Molche als Zwischenwirte. Thein: „Das große Problem ist, wie kriegt man die Eindämmung hin.“ Einmal im System, ist der virulente Hautpilz so gut wie nicht mehr zu eliminieren.

„On y va!“ der Projektleiter gibt das Startzeichen. In Dreiergruppen geht’s nach unten, am mäandernden und sich verzweigenden Bachsystem entlang. Alles andere als ein Spaziergang. Der naturnah bewirtschaftete Ebracher Forst gleicht einem Urwald. Abgebrochene Äste unterm Laub des Vorjahres verborgen, lassen bisweilen stolpern. Der mächtige Wurzelteller einer umgestürzten Fichte versperrt den Weg am rechten Bachufer, die Autorin macht einen beherzten Sprung ans andere Ufer. „Sehr sportliche Aktivität“, kommentiert Anna-Catharina Rossaert ein paar Meter weiter, meint aber damit, daß sie jeden abgestorbenen Baumstamm in Ufernähe auf der ­Salamandersuche umdreht. „Totholz ist ein wichtiges Refugium“, erklärt Schäfer. Es dient dem Amphibium als feuchtes Versteck in Wassernähe. Lebenswichtig, denn es atmet über seine Haut, eine Funktion, die nur in feuchtem Zustand gewährleistet ist. Greift Bsal die Haut an, ist dieser Gasaustausch nicht mehr möglich. Thein macht auf eine Larve im Gewässer aufmerksam, gleich darauf etliche in einem Kolk. „Wir zählen im Kerngebiet auf einer Strecke von 200 Metern die Larven aus. Sie lassen Rückschlüsse zu auf die Anzahl der Weibchen und die Bestandsentwicklung.“

Der Haßfurter Biologe Jürgen Thein und sein Team
Der Haßfurter Biologe Jürgen Thein und sein Team: Trotz vieler salamandergeschulter Augen war die Ausbeute des Frühjahrsmonitorings im Steigerwald mager.
Von links nach rechts: Jürgen Thein, Liliane Irle, Kyle Krüger, Robert Atzmüller, Andreas Kiraly, Guillaume Demare, Marvin Schäfer, Anna-Catharina Rossaert, Dr. Augustin Alias-Costa.

Magere Ausbeute

Raschelndes Laub, das Abendlied der Vögel und die letzten Sonnenstrahlen – die fast meditative Stimmung wird durch ein begei­stertes „Yeah“ aufgebrochen. Kyle Krüger hat den ersten Feuersalamander gefunden. Thein hält ihn in blaubehandschuhten Händen und macht per Wattestäbchen einen Hautabstrich: „Der kriegt jetzt seine Massage, fünf Mal am Bauch rauf- und runterstreichen.“ Die Probe wird in einem sterilen Röhrchen verschlossen und in ein Kästchen gesteckt.

Fundort und Geschlecht des Tieres werden dokumentiert, bevor der Biologe es wieder zurück an seinen Platz setzt. So könnte es weitergehen. Steine werden umgedreht, morsche Baumstämme aufgeklappt, Moos an den Erdwänden des Bachufers durchkämmt. Fehlanzeige. Inzwischen werden die möglichen Unterschlupfe mit Taschenlampen ausgeleuchtet und die hellen Punkte der Stirnlampen tanzen durch die Nacht. Man muß höllisch aufpassen, um nicht über Äste zu stolpern oder ins Bachbett zu rutschen. Stundenlang nichts. Schließlich gegen Mitternacht noch drei Funde in tiefen Verstecken.

Ende Mai ist die Monitoringsaison abgeschlossen. „Im ganzen Frühjahr nicht mehr als zehn Feuersalamander an sieben Abenden gefunden.“ Eine miese Saison, resümiert Thein. Im vorigen Frühjahr konnten er und sein Team immerhin 43 Tiere beproben. „Der Erfolg ist extrem witterungsabhängig, ich hoffe, daß es nicht mit dem Feuersalamander zu tun hat. Larven sind ja überall drinnen.“ Es wirkt, als wolle er ein positives Bild manife­stieren, um das schlimmste Szenario zu bannen.

Drohendes Szenario

Denn es könnte sich ähnlich verhalten wie bei einem verwandten Chythridpilz, dem Batrachochytrium dendrobatidis (Bd). Der hat binnen weniger Jahre zu einem rasanten Verschwinden vieler Amphibienarten rund um den Globus geführt. „Da hat man auch erst gedacht, er käme aus heiterem Himmel, hat aber festgestellt, daß er schon deutlich länger da war.“ Es haben sich wohl die Lebensbedingungen der Amphibien so verschlechtert, daß sie dem Pilz nichts mehr entgegensetzen können. „Noch ganz, ganz viel ist nicht aufgeklärt über die Mechanismen. Das Schlimme ist: Der Pilz ist schneller, als die Forschung arbeiten kann.“ Thein hofft auf die Evolution und daß irgendwann die Tiere mit dem Pilz klarkommen – und auf das Naheliegende: den Herbst mit einer besseren Fundrate. Was können wir Menschen, die den Amphibien durch Klimawandel, Globalisierung und zerstörte Lebensräume den Untergang bringen, zu ihrer Rettung beitragen? Auf den Heilungsansatz Wärmekammer, durch den die Pilze abgetötet werden, und Erhaltungszuchtprogramm würde er nicht setzen. „Wir müssen durch konsequente Hygie­nemaßnahmen verhindern, daß der Pilz verschleppt wird, und wir müssen dem Feuersalamander das Leben so schön wie möglich machen.“ Die Strukturen im Wald salamanderfreundlich gestalten, dazu läuft ein bayerisches Artenhilfsprogramm Feuersalamander, für das die Naturschutzverbände LBV, BN und LARS ihre Kräfte bündeln. Sie kümmern sich um die Renaturierung von Bachläufen, gefaßten Quellen, legen neue Salamandergumpen an, verbessern Winterquartiere, führen Bsal-Monitorings durch und leisten Öffentlichkeitsarbeit zur Infektionseindämmung. Hier setzt auch das Landesamt für Umwelt (LfU) an und fördert die Einhaltung strenger Hygienemaßnahmen unter Einbeziehung der Öffentlichkeit in den Befallsgebieten. Erfahrungsgemäß sind Empfehlungen Maßnahmen, die leicht verpuffen. Ein Lurchi-Happy-End wird es wohl nicht ­geben.

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