Ausgabe Juli / August 2022 | Geschichte(n)

Kaspar Hauser. Prinz oder Betrüger?

Der Mythos um Kaspar Hauser, der vor beinahe 200 Jahren im ­Ansbacher Hofgarten ermordet wurde, lebt. Im Stadtmuseum können sich die Besucher von der Geschichte um das Findelkind selbst in Bann ziehen lassen.

Text: Wolfgang F. Reddig | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Mit einem Strich an der Wand kann man im Markgrafenmuseum in Ansbach das Rätsel um den berühmten Findling selbst lösen. Eine Abstimmungstafel in der Kaspar-Hauser-Abteilung des Museums lädt am Ende des Rundgangs dazu ein, eine Wertung abzugeben. Wo wissenschaftliche Forschungen und Gen-Analysen kein Ergebnis erzielten, versucht es das Ansbacher Museum nun mit Schwarmintelligenz. Der Mythos um Kaspar Hauser, der im Dezember 1833 im Ansbacher Hofgarten auf geheimnisvolle Weise ums Leben kam, hält weiterhin an. Zuletzt erschien 2020 von einem flämischen Duo der Comic „Kaspar Hauser – Im Auge des Sturms“ und schuf 2018 der Ingolstädter Komponist Walter Kiesbauer eine symphonische Dichtung für gemischten Chor und Orchester. Imposant erfolgte die Aufführung von „Kaspar Hauser – Aenigma eternum“ in Ansbachs Onoldiasaal. Und ein ewiges Rätsel umweht die historische Figur bis heute.

Kaspar-Hauser-Denkmal in Ansbach
Kaspar-Hauser-Denkmal in Ansbach

… wenn da nicht die Attentate gewesen wären …

Bereits zu Lebzeiten war Hauser ein Faszinosum, viele Zeitgenossen befaßten sich mit dem angeblichen Erbprinzen von Baden, der jahrelang in einem Kerker saß – oder eben nicht. Auch Kritiker wandten sich frühzeitig gegen ihn, sahen in ihm nur einen Betrüger. Literarisch diente er Jakob Wassermann, Georg Trakl oder Peter Handke als Vorlage, Werner Herzog verfilmte ihn, Reinhard Mey besang ihn – Kaspar Hauser. Fest steht, am 26. Mai 1828 tauchte der wohl 16jährige Hauser in Nürnberg auf, genauer auf dem Unschlittplatz, wo heute noch eine Tafel an ihn erinnert. Ein mitgeführter Brief, der sogenannte Mägdleinbrief, informierte über seinen Namen und daß er ein Reiter werden wollte, wie sein Vater. Doch sollte es anders kommen. Zunächst inhaftierte man den Jüngling im Nürnberger Luginsland. Der Nürnberger Bürgermeister sorgte sich um ihn, so daß er zu einer Familie in die Pflege kam. Damit wäre die Geschichte um das Findelkind fast zu Ende, wenn da nicht die Attentate wären, die Unbekannte auf ihn verübten. Zuletzt sogar tödlich, so daß der Mythos um den ermordeten Prinzen seinen Anfang nehmen konnte. Aus Sicherheitsgründen verbrachte man Hauser von Nürnberg ins nahe gelegene Ansbach, wo sich der dortige Appellationsgerichtspräsident Paul Johann Anselm von Feuerbach seiner Person annahm. Der bayerische Justizreformer sah in Hauser eine geknechtete Kreatur. 1832 schrieb Feuerbach seine Abhandlung „Kaspar Hauser oder Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben eines Menschen“. 

In der mittelfränkischen Beamtenstadt ein gern gesehener Gast

Die Abstimmungsidee im Markgrafen­museum in Ansbach ist gut
Die Abstimmungsidee im Markgrafen­museum in Ansbach ist gut – vielleicht sollte man auch über den einen oder anderen Zeitgenossen abstimmen.

An einer Hörstation in der Ansbacher Kaspar-Hauser-Abteilung gibt der Findling selbst Auskunft darüber, wie er schreiben, lesen und laufen lernte. In den Vitrinen finden sich originale Fundstücke zu Hausers Leben, der lila Beutel, den er bei seiner Ermordung bei sich trug. Ein paar Haare. Einige Zeichnungen, die Hauser in einer Art Airbrush-Technik selbst angefertigt hatte. Damals freilich als kunstvolle Aquarelle, die als Geschenke in der Biedermeierzeit an manche Ansbacher Familie weitergereicht wurden. Denn Hauser war in der mittelfränkischen Beamtenstadt ein gern gesehener Gast. Eine zweite Hörstation läßt Bekannte und Gegner Hausers zu Wort kommen. Aus Nürnberg warnte man die Gastfamilie an der Rezat vor Hausers Verschlagenheit. Dagegen bescheinigten andere, wie Lehrer Meyer, in der Zeit der romantischen Medizin dem Findling erstaunliche mentale Fähigkeiten. Nahtlos knüpften hieran anthroposophe Darstellungen im 20. Jahrhundert an. Allen voran das umfangreiche Werk „Kaspar Hauser. Das Kind von Europa“ von Johannes Mayer und Peter Tradowsky, das 1984 erschien. Im Jahr 1988 ließ Mayer den Titel „Philip Henry Lord Stanhope. Der Gegenspieler Kaspar Hausers“ folgen. Die schillernde Gestalt eines englischen Gentlemans, der als Weltenbummler Kuriositäten sammelte. Ein geheimnisvolles Findelkind paßte da gut dazu. Aus dem Plan Stanhopes, Kaspar Hauser nach England zu holen, wurde nichts. 

Jedoch hat sich die Korrespondenz zwischen dem Lord und seinem Protegé erhalten. Wahrscheinlich übersandte Stanhope Zeichenmaterial an Hauser in Ansbach, der als Schreiber am Appellationsgericht tätig war. Gleich gegenüber wird heute das Wohnhaus Hausers zu einem Ausbildungszentrum umgebaut. Das „Kaspar-Hauser-Zentrum für heilende Pädagogik“ richtet sich im Geist Kaspar Hausers vornehmlich an Jugendliche.

Ein Heimatschatz

Was Kaspar Hauser am Mordtag trug, wird hinter Glasscheiben ebenfalls im Markgrafenmuseum verwahrt. Denn die bayerische Justiz verfolgte die tödliche Messerattacke vom 17. Dezember 1833 als Delikt, die Kleidung Hausers kam in die Asservatenkammer. Von dort übernahm der 1830 auf königliche Initiative gegründete Historische Verein für Mittelfranken die Objekte in seine Sammlungen. Zeitweise war das Bayerische Nationalmuseums als Präsentationsort im Spiel. Als Anfang der 1930er Jahre städtische Sammlungen mit den Sammlungen des Vereins vereinigt wurden, entstand die heutige Grundlage für das Markgrafenmuseum. Zu den Glanzstücken zählen die Originale des Findelkinds. Mit gutem Grund, denn 2019 gewann das Markgrafenmuseum hierfür den Titel „Heimatschätze“. 100 Mal wurde der Titel vom bayerischen Finanz- und Heimatministerium an bayerische Museen vergeben, darunter die Textilien des geheimnisumgebenden Biedermeier-Stars.

Die Kleidung hatte 1996 und 2002 die Grundlage für zwei Genanalysen gebildet. Mit moderner Technik rückten Wissenschaftler im Auftrag eines großen deutschen Nachrichtenmagazins der Kleidung und Haaren Kaspar Hausers zu Leibe, um das Rätsel seiner Herkunft zu lösen. Allerdings erzeugte der naturwissenschaftliche Ansatz nur ein Patt zwischen Prinz und Betrüger. Damit bleibt Ansbach mit mehreren Denkmälern zu Kaspar Hauser, einem Gedenkstein im Hofgarten und seinem Markgrafenmuseum die ideale Kulisse für die dortigen Kaspar-Hauser-Festspiele. Seit 1998 veranstaltet die Stadt im zweijährigen Turnus ein geschichtsmetaphysisch-anthroposophisch ausgerichtetes Programm unter der Leitung des Referenten und Regisseurs Eckart Böhmer. Auch in diesem Jahr zieht das berühmte Findelkind wieder Interessierte in seinen Bann. Der Mythos lebt.

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