Ausgabe November / Dezember 2021 | Stadt-Land-Fluß

Gegen den Trend

Lange galten die ehemaligen Grenzregionen in Oberfranken als abgehängt. Doch so ganz stimmt das nicht mehr. Beispiele zeigen, wie sich hier Städte und Dörfer mit Kreativität und bürgerschaftlichem Engagement gegen den demographischen Wandel und seine Folgen stemmen. Mit Erfolg.

Text: Sabine Raithel | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Schauen Sie sich mal diese fantastische Aussicht an.“ Von ihrem weitläufigen Büro aus genießt die Unternehmerin Halgard Stolte einen umwerfenden Panoramablick über den Frankenwald. Die unverfälschte Mittelgebirgslandschaft zeigt sich hier von ihrer schönsten Seite. Wald und Grün soweit das Auge reicht. Stolte, die als Marketingmanagerin für BMW u.a. in München und Toronto tätig war und erfolgreich eigene Unternehmen in Tallinn und Prag aufgebaut hat, hat sich in der 1 600-Seelen-Gemeinde Nordhalben, im nördlichen Landkreis Kronach, den Traum vom Leben und Arbeiten auf dem Land erfüllt.

Unternehmerin und Nordhalben Village Geschäftsführerin Halgard Stolte
Unternehmerin und Nordhalben Village Geschäftsführerin Halgard Stolte

Wurde Oberfranken noch vor Jahren unter großem medialen Krawumm für abgehängt und wenig zukunftstauglich erklärt, scheint sich nun etwas zu verändern. Zwar sagen die statistischen Prognosen immer noch einen Rückgang der Bevölkerungszahl von 4,2 Prozent bis 2039 voraus – aber der fällt deutlich moderater aus, als noch vor Jahren angenommen. Stadt und Landkreis Bamberg sowie der Landkreis Forchheim können sogar mit einer konstanten Bevölkerungszahl rechnen. Stärkere Bevölkerungsrückgänge werden in erster Linie in den grenznahen Landkreisen erwartet. Zum Beispiel in Kronach, wo der demographische Wandel am stärksten an den Festungsmauern nagt: Mit einem Bevölkerungsrückgang von 11,5 Prozent, und mit rund 70 Seniorinnen und Senioren, die 100 Personen im erwerbsfähigen Alter gegenüberstehen, wird Kronach in rund 20 Jahren den landesweit höchsten Altersdurchschnitt haben.

Architekturbeleuchtung am Güterbahnhof Kronach
Architekturbeleuchtung am Güterbahnhof in strahlendem Blau: Licht als Verwandlungskünstler macht aus grauer Industriebrache ein einladendes Baudenkmal. Künstler: Lichtplanung+, Markus Stirn & Klaus Metzler

Anziehungspunkt für Menschen aus nah und fern

Kronach Creativ Vorsitzender Rainer Kober
Kronach Creativ Vorsitzender Rainer Kober

Was die Statistik nicht mißt, ist die psychologische Stimmung. Glich diese noch vor 30 Jahren wie die Vorlage des Spielfilmdramas „Die Wand“, in der ein Paar in einer phantastischen aber menschenleeren Landschaft ständig gegen eine unsichtbare Barriere läuft, so hat sich dieses Bild grundlegend geändert. Warum? Wie immer hängt das an Menschen. In Oberfranken und speziell in Kronach gibt es nicht wenige, die etwas ändern wollen. Menschen wie der Unternehmer Rainer Kober, der mit seinem augenzwinkernden Schlachtruf „Attacke“ die Bevölkerung im Landkreis Kronach dazu aufrief, mit bürgerschaftlichem Engagement neue Perspektiven zu schaffen, die er dann im Rahmen der im Jahr 1990 gegründeten Regionalmarketinginitiative „Kronach Creativ“ in konkrete Projekte goß. Entstanden ist dabei u. a. das Lichtfestival „Kronach leuchtet“. Seit 15 Jahren zieht das Licht-Kunst-Spektakel mehr als 100 000 Gäste in die Festungsstadt. „Licht bedeutet Zuversicht“, so das Mantra von Rainer Kober.

Eine mutige Aktivistin gegen den demographischen Wandel, gegen Leerstand und Abwanderung ist die ehemalige Bürgermeisterin der kleinen Frankenwald-Stadt Teuschnitz, Gabriele Weber. Ihre Misere: typisch für viele Grenzregionen. Als nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die großen Arbeitgeber in ihrer Stadt die Fabrikhallen zusperrten, junge Familien abwanderten, die Kinder für die Schule fehlten, und die Kasse der Kommune gähnend leer war, schien die Lage aussichtslos. Gabriele Weber besann sich dann auf das, was ihre Stadt im Überfluß zu bieten hat: das in ganz Europa größte zusammenhängende natürliche Vorkommen der Heilpflanze Arnika sowie zahlreicher weiterer seltener Heilpflanzen – und: engagierte Bürger. Weber nutzte u. a. die leerstehende Schule und etablierte die erste deutsche Arnikaakademie, an der seither erfolgreich Kurse rund um Wellness und Gesundheit angeboten und sogenannte TEH-Praktiker in Traditioneller Europäischer Heilkunde ausgebildet werden. Mit Hilfe von Fördermitteln entstaubte sie ihre Stadt, unterzog sie einem gründlichen Sanierungs- und Erneuerungsprogramm. Ihr Ziel: einen lebens- und liebenswerten Wohnort für alle Generationen zu schaffen – mit modernen Kindertagesstätten und zukunftsweisenden Wohnkonzepten für Senioren. Heute ist die Arnikastadt Teuschnitz mit der Akademie und dem großen Kräutergarten im „New German Style“, dem Abenteuerspielplatz mit Jugendtreff und Festwiese, hübschen Fassaden, malerischen Plätzen und einem Wanderwegenetz durch die Arnikaaue ein Anziehungspunkt für Menschen aus nah und fern. Mehr noch. Es wurden neue Arbeitsplätze geschaffen. Und die Nachfrage nach Bauplätzen – bezahlbar und mit unverbaubarem Blick ins Naturschutzgebiet – boomt. Junge Familien, aber auch Menschen im gesetzteren Alter zieht es aus Ballungsräumen nach Teuschnitz; Selbständige und Start-ups siedeln sich wieder an.

Teuschnitz: Natur als nachhaltiger Wirtschaftsfaktor
Teuschnitz: Natur als nachhaltiger Wirtschaftsfaktor

Bald ein prosperierender Standort für Hochtechnologie

IZK-Geschäftsführer Hendrik Montag-Schwappacher
Stärken identifzieren und bündeln: IZK-Geschäftsführer Hendrik Montag-Schwappacher und sein Team

Impulsgeber für zukunftsweisende Themen und Projekte, Netzwerker für Unternehmen und Brückenbauer zwischen Forschung, Lehre und Industrie in der Region ist das IZK, das Innovations-Zentrum Region Kronach e.V. Zu den Hauptaufgaben des IZK, sprich von Geschäftsführer Hendrik Montag-Schwappacher und seinem Team, gehören die Organisation von Vorträgen, Veranstaltungen und Workshops; die Anbahnung von Projekten mit der dazugehörigen Förderkulisse sowie das Erarbeiten von Projektskizzen und der Aufbau tragfähiger Netzwerke. Seit 2012 gibt es das IZK. Die Vordenker der Idee: der Vorsitzende des Industrie- und Handelsgremiums Kronach, Hans Rebhan, sowie der vormalige Präsident der Hochschule Coburg, Professor Michael Pötzl. Sie waren es auch, die das Konzept für einen innovativen Hochschulstandort Kronach vorausgedacht und auf den Weg gebracht haben. 

Der Kronacher Lucas Cranach Campus (LCC) ist aktuell mit den Studiengängen Innovative Gesundheitsversorgung, Zukunftsdesign und Autonomes Fahren an den Start gegangen – letzterer ein Musterbeispiel für die Vernetzung von Hochschulen und Universitäten (Hof, Coburg, Bayreuth), Forschungseinrichtungen (Fraunhofer Institut) und Unternehmen (Valeo) in Zusammenarbeit mit dem IZK.

IHK-Vizepräsident Hans Rebhan
Wegbereiter und Impulsgeber für den LCC: IHK-Vizepräsident Hans Rebhan

„Kronach ist dabei, sich zu einem prosperierenden Standort für Hochtechnologie zu entwickeln“, so die Überzeugung von IZK-Geschäftsführer Hendrik Montag-Schwappacher. „Das bedeutet hochqualifizierte Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum und neue Perspektiven für die gesamte Region. Einer Region, die mit einem enormen Freizeitwert, mit bezahlbarem Wohnraum, einer erstklassigen Infrastruktur und einer insgesamt tollen Lebensqualität punktet.“

Gemeinsam arbeiten und leben im Nordhalben Village

So sieht das auch Halgard Stolte. Sie teilt ihre Begeisterung für den Lebens- und Wirtschaftsstandort Nordhalben künftig mit anderen. Aus dem schmucken, aber leerstehenden Schulhaus in Nordhalben hat sie unter dem Namen „Nordhalben Village“ einen hochmodernen „Co-Working- und Co-Living-Space“ geschaffen. Stolte hat ein klares Ziel vor Augen: „In Nordhalben Village soll künftig eine innovationsfreudige Gemeinschaft von Unternehmern und Gründern unter anderem aus den Bereichen Medizin, Gesundheit und IT gemeinsam arbeiten und leben können. Hier kann Forschung und Entwicklung stattfinden – nicht zuletzt im Schulterschluß mit den ansässigen Hochschulen und Instituten, dem Kronacher Lucas Cranach Campus und den zahlreichen innovativen Unternehmen aus der Region. So kann Neues entstehen, neue Netzwerke, neue Kooperationen, neue Arbeitsplätze. Hier können aber auch Kreative und Künstler neue Ideen entwickeln.“ 

Die Unternehmerin schafft mit schicken Appartements, moderner Konferenztechnik, schnellem Internet und einem kulturellen Rahmenprogramm die idealen Voraussetzungen für zeitgemäßes Leben und Arbeiten auf dem Land. Die Natur gibt es kostenfrei dazu. Das soll vor allem Menschen aus den teuren und engen Ballungsräumen anziehen. „Und wer weiß, vielleicht wird aus dem ein oder anderen ‚Besucher auf Zeit‘ jemand, der hier seine Zukunft sieht und sich ansiedelt.“

Die Beispiele zeigen: Die Oberfranken sind erfinderisch, wenn es um Problemlösungen geht. Über die Jahre haben sie darin Erfahrungen und viel Wissen angesammelt. Eines Tages könne dieses Wissen im Umgang mit den demographischen Herausforderungen nicht nur gesammelt, sondern auch weiter vermittelt werden, so die Überlegung von Rainer Kober. Er hält es für denkbar, daß die Oberfranken auch andere Regionen in Bayern oder Deutschland, die vom demographischen Wandel gebeutelt sind, von ihrem Wissen profitieren lassen. Vielleicht in Form einer „Oberfränkischen Akademie“. Das könnte dann ein neues Projekt sein.

Zukunftsdesign
Wegweisende Studiengänge wie Zukunftsdesign, Autonomes Fahren oder Innovatives Gesundheitsmanagement gehören zum Portfolio des Lucas-Cranach-Campus.

Zukunftsdesign

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