Ausgabe März / April 2024 | Natur & Umwelt

Ganz schön salzig

Die Salzwiesen bei Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) sind die einzigen ihrer Art in Bayern. Ein herausragender und wertvoller Lebensraum von enormer Wichtigkeit für seltene Pflanzenspezialisten und wasserliebende Vögel.

Text: Sabine Haubner
Salzwiese bei Bad Neustadt
Salzwiese bei Bad Neustadt. Foto: Weissbach

Auen sind Ausnahmelandschaften und entziehen sich dem totalen Zugriff des Menschen. Zumindest war das in früheren Zeiten so. Seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts werden auch diese saisonal überfluteten Lebensräume der Rundum-Ökonomisierung des Landes geopfert. Die Saalewiesen bei Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) haben glücklicherweise ihren Charakter bewahrt, obwohl auch sie deutlich verändert wurden. Nicht nur im Frühling und Sommer, wenn das Gras saftig grün und das dunkle Baumband entlang des sich windenden Flusses markant aufragt, entfalten die weiten Auen ihren Reiz – auch Ende Januar bei strahlendem Sonnenschein. Das intensive Himmelsblau spiegelt sich auf den Restflächen der Seenplatte, die wenige Tage zuvor das Hochwasser geformt hatte. Dazu das faszinierende Farbspiel des durch Nässe und Winter ausgelaugten Graslandes: eine Melange aus Braun, Grün und Ocker, in die sich eine strohfarbene Schilfzunge schiebt. Der Blick schweift weit, erfaßt Kirchturm und Stadtbefe­stigung der Kreisstadt, den Bergkamm, der von den Rhön-Klinken und der romantischen Salzburg bekrönt wird. Rechter Hand begrenzt jenseits des Flusses die Silhouette des Dorfes Salz mit spitz behelmtem Kirchturm das Gebiet. Vielfalt, Eigenart, Schönheit und ökologischer Wert dieses malerischen Talraumes werden seit 1999 gesichert im 155 Hektar großen Naturschutzgebiet „Saalewiesen zwischen Bad Neustadt und Salz“. Dessen Renommierstück ist den meisten Spaziergängern und Anwohnerinnen unbekannt. Insider hingegen begeistert es völlig, wie Martina Faber, wenn sie am Rande der Salzwiesen steht. Die Rangerin im Naturpark und Biosphärenreservat Rhön betreut das Naturschutzgebiet und kennt seine Raritäten. Wenn sie von Stranddreizack, Salzschuppenmiere, Boddenbinse und Salzwiesen-Breit-Wegerich schwärmt, weht ein Hauch Küstenatmosphäre über die unterfränkische Flußlandschaft. Exotische Pflanzen für Bayern und – ja, sie kommen normalerweise an Nord- und Ostsee vor. Wir haben den Lebensraum Binnensalzwiese vor uns, auch wenn man die einzelnen salzbeeinflußten Stellen zur Winterzeit kaum erkennen kann. „Dieser Lebensraum ist in Bayern einzigartig“, betont Faber. Am Superlativstatus kratzen etwas die vor wenigen Jahren neu entdeckten, aber viel kleineren Salzstellen bei Coburg in Oberfranken.

Rangerin Martina Faber hat die ­Saalewiesen im Blick – und einen ­frühen Zugvogel entdeckt: „Die ­Wiesenpieper sind schon da!“ Foto: Sabine Haubner
Rangerin Martina Faber hat die ­Saalewiesen im Blick – und einen ­frühen Zugvogel entdeckt: „Die ­Wiesenpieper sind schon da!“ Foto: Sabine Haubner

Stranddreizack und ­Boddenbinse

Ihr Ursprung liegt erdgeschichtlich weit zurück. „Da, wo wir jetzt stehen, war vor 260 Millionen Jahren das Zechsteinmeer.“ Das mitteleuropäische Binnenmeer verdunstete im Laufe der Jahrmillionen und hinterließ mächtige Schichten von Steinsalzen. Diese lagern noch heute in einer Tiefe von mehr als 600 Metern. In Grundwasser gelöst, steigen sie über feinere Gesteinsspalten durch hydrostatischen Druck wieder an die Oberfläche. Viele reicher schüttende Austrittsstellen sind die seit alters bekannten, heilkräftigen Mineralquellen zwischen Bad Neustadt und Bad Kissingen, die mindestens seit der Karolingerzeit genutzt werden. Der Ortsname Salz oder die Bezeichnung Salzburg verweisen auf die Salzgewinnung dieser Zeit. Die Sole quillt punktuell auch in den Saalewiesen hervor und bietet halophilen, also salzliebenden Pflanzen günstige Lebensbedingungen. „Sie sind darauf angewiesen. Andere Pflanzen kommen damit nicht zurecht“, erklärt Martina Faber.

„Alles optisch unattraktive Pflanzen für den Durchschnittsbetrachter“, weiß Dieter Weisenburger, Fachreferent für Naturschutz am Landratsamt Rhön-Grabfeld. „Es ist ihre Seltenheit, die mich fasziniert, alle Arten stehen auf den Roten Li­ste 1 und 2.“

Vor über 20 Jahren streifte eine internationale Expertengruppe um den Musikwissenschaftler und Botaniker Prof. Lenz Meierott durch die Saalewiesen. „Alle waren hellauf begeistert, daß hier die Sumpflöwenzähne in so vielen Arten und Exemplaren wuchsen.“ Meierott hat daraufhin die Ausweisung eines Naturschutzgebietes betrieben. Mit im Team war der Botaniker Otto Elsner aus Rottenstein (Lkr. Haßberge). „Das ist ein Supersonder­standort. Gott sei Dank hat man’s geschafft, daß er unter Naturschutz gestellt wurde, sonst wäre er intensiv bearbeitet worden und längst wieder weg.“ Seine Lieblingspflanze in dem Verbund, der Schmalblatt-Hornklee, bietet mehr fürs Auge als etwa der „lange, dünne Stengel“ des Stranddreizacks. „Diese Kleeart kommt extrem selten vor, aber bei Bad Neustadt zu Hunderttausenden. Wenn er im Juni blüht, ist die Wiese ganz gelb.“ Für Farbe sorgt auch sein Verwandter, der Erdbeer-Klee, mit aparten rosa Blüten, die sich bei der Fruchtentwicklung aufblasen und Erdbeeren ähneln.

Der Erdbeer-Klee mag‘s salzig. Seine Blüten blasen sich beim Verblühen auf.
Der Erdbeer-Klee mag‘s salzig. Seine Blüten blasen sich beim Verblühen auf. Foto: Otto Elsner

Bunt blühender Vogelrastplatz

Im Naturschutzgebiet Saalewiesen überlappen sich verschiedene Schutzkategorien. Es ist in ein EU-geschütztes FFH-Gebiet (Fauna-Flora-Habitatsgebiet) eingebettet und befindet sich im Biosphärenreservat und Naturpark Rhön. Dementsprechend greifen hier verschiedene Arten- und Biotopschutzprogramme. Die inein­ander verzahnten Lebensräume Salzwiesen, Flachland-Mähwiesen, Feuchte Hochstaudenflur und Fluß mit Vegetation sorgen für enorme Artenvielfalt und Schönheit. Im Frühsommer fasziniert die bunt blühende Wiesenlandschaft mit gelbem Hornklee, rosa Lichtnelken, blauem Wiesenstorchschnabel, lila Blutweiderich und weißem Mädesüß. Floraler Artenreichtum, der mit tierischem einhergeht: Der große Wiesenknopf etwa ist die einzige Futterpflanze des seltenen Wiesenknopf-Ameisenbläulings. Die Tagfalterart profitiert vom bayerischen Vertragsnaturschutzprogramm, das in den Saalewiesen greift. Die konkreten Maßnahmen erläutert Manoel Fick vom Umweltamt Rhön-Grabfeld. „Verzicht auf jegliche Düngung und chemische Pflanzenschutzmittel und Mahd bis zum 14. Juni. Danach darf bis Ende August nichts mehr gemacht werden, um die Eiablage nicht zu gefährden.“ Für Aufwand und Ausfälle bekommen die Landwirte Ausgleichszahlungen. Weitere Schutzmaßnahmen sehen an anderer Stelle eine späte Mahd vor oder das Stehenlassen breiterer Altgrasstreifen entlang der vorhandenen Entwässerungsgräben. Das Düngeverbot fördert auch die nährstoffsensible Salzvegetation, sie würde auch von der für mehr Wasserrückhalt empfohlenen Schließung der Entwässerungsgräben profitieren. Für Martina Faber eine Gratwanderung, denn „die Bewirtschaftung muß sich lohnen und weitergehen, damit das Land offenbleibt“.

Auch Zugvögel nutzen die Aue als Rastplatz, einige von ihnen richten sich bisweilen zum Brüten ein. Darunter finden sich elegante Watvögel wie der streng geschützte Rotschenkel, gelegentlich auch Grünschenkel und Kiebitz. „Sie werden vom Flachwasser magisch angezogen und suchen nach Würmern“, sagt Joachim Jenrich, Fachreferent für Naturschutz am Landratsamt Rhön-Grabfeld. Seine Erfahrungen decken sich mit denen seiner Naturschutzkollegin Martina Faber, die weiß, daß bis vor 30 Jahren viele der Zugvögel noch in den Saalewiesen gebrütet haben, etwa die Bekassine oder der Wachtelkönig. „Von dem gibt es immer wieder mal einzelne Rufer in den Saalewiesen mit ihrem charakteristischen Crrrex, Crrrex, die werden von uns regelmäßig nachts verhört“, so Jenrich. Bei der Bekassine ist die Population noch ausgedünnter. „Sie ist sehr störanfällig. Der große Freizeittourismus, der geht ihr auf den Keks.“ Doch es gebe auch Erfolge bei seltenen Watvögeln wie Silberreiher und Weißstorch. Seit 2020 fühlt sich ein Weißstorchpaar in Bad Neustadt wohl und hat seinen Horst auf dem Dach des Landratsamtes eingerichtet – mit Blick auf die Jagdgründe in den Saalewiesen.

Der vom Aussterben bedrohte Wiesenpieper fühlt sich in feuchten Wiesen mit höherer Krautschicht wohl.
Der vom Aussterben bedrohte Wiesenpieper fühlt sich in feuchten Wiesen mit höherer Krautschicht wohl. Foto: Markus Glässel

Limitierender Egoismus

Um den Vögeln im Naturschutzgebiet mehr Ruhe zu verschaffen, weisen neue Schilder auf die Leinenpflicht hin, und Martina Faber tritt in Aktion, als eine Hundebesitzerin mit zwei freilaufenden Hunden das Gebiet betritt. Die Rangerin klärt sie freundlich auf, für die Hunde geht’s an der Leine weiter. „Ab Mitte März, wenn die Brutzeit beginnt, ist das meist am Morgen meine Aufgabe. In gewisser Weise eine Sisyphosarbeit.“ Außerdem stehen gerade auf ihrem Tagesplan Schutzmaßnahmen für das vom Aussterben bedrohte Braunkehlchen. Der hübsche Singvogel ist auf mäßig feuchte Wiesen mit vielen Sitzwarten angewiesen. „Gelegentlich beobachten wir zwei bis drei brütende Paare in den Saalewiesen“, so Jenrich. Damit es mehr werden könnten, werden aktuell Stäbe entlang der Gräben installiert, die ihnen als Ansitzwarten dienen können. In den Saalewiesen ist der Einsatz von Naturschützern und die Bereitschaft der Landwirte groß, damit seltene Pflanzen und Tiere eine Chance haben. Bei der Salzvegetation funktioniere das ganz gut. Weisenburger beobachtet eine positive Entwicklung. „Die Anzahl der Exemplare hat definitiv zugenommen.“

Bei Braunkehlchen und Co. sieht das anders aus. Da wird der menschliche Einsatz zum Teil durch menschlichen Egoismus untergraben „Beim Braunkehlchen ist der Aderlaß ganz woanders“, weiß Jenrich. Sie werden immer noch Opfer von Vogelfängern in Italien und Nordafrika. „Und auch den Tourismus können wir nur bedingt beeinflussen.“ Naturschutz braucht einen langen Atem – und viel mehr Menschen, die mitmachen.

Diesmal Glück gehabt. Für das hübsche Braunkehlchen wird das Leben zunehmend schwieriger: dramatischer Insektenschwund, schwindende Lebensräume und kaum Ruhe vor dem Menschen.
Diesmal Glück gehabt. Für das hübsche Braunkehlchen wird das Leben zunehmend schwieriger: dramatischer Insektenschwund, schwindende Lebensräume und kaum Ruhe vor dem Menschen. Foto: Markus Glässel

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