Ausgabe Januar / Februar 2023 | Theater

Fürths gute Stube!

Neue Serie: Theater in Franken! Er ist immer ein bißchen gegen den „Mainstream“ geschwommen und hat damit eine beachtliche Erfolgsstory in der deutschen Theaterlandschaft geschrieben. Nach 33 Jahren beendet Werner Müller seine Zeit als Intendant am Stadttheater Fürth.

Text: Sabine Raithel | Fotos: Thomas Langer, Günter Meier, Evangelos Rodoulis
Zuschauerhaus Stadttheater Fürth
Zuschauerhaus Stadttheater Fürth

Das dreiblättrige Kleeblatt ist in Fürth allgegenwärtig. Als zentrales Motiv des Stadtwappens ziert es Häuserfassaden, Laternen und sogar Gullideckel. Warum das so ist? Dazu gibt es drei Theorien. Er­stens: eine historisch nicht belegte Dreiherrschaft im 16. Jahrhundert. Zweitens: die über einen langen Zeitraum friedliche Koexistenz von Menschen dreier unterschiedlicher Religionen – Protestanten, Katholiken und Juden. Oder drittens: die drei Flüsse Rednitz, Pegnitz und Regnitz, an deren Auen das grüne Fürth liegt. Niemand weiß es so genau. Aber wahrscheinlich sollte die Stadt den Kanon der Theorien auch nochmal erweitern. Denn ein kreativ gedachtes, dreistufiges Konzept hat dem Kulturstandort Glück gebracht. Im liebsten Wohnzimmer der Fürther, dem Fürther Stadtthea­ter, sorgt dieses Konzept nicht nur für volle Ränge. Mehr noch: Das Stadttheater Fürth ist ein Musterbeispiel für erfolgreiches Theatermanagement; ein Leuchtturm mit internationaler Strahlkraft. Die
130 000-Einwohner-Stadt, die sich eher durch den „Schiffbruch“ von Großbetrieben wie Grundig oder Quelle ins kollektive Gedächtnis gegraben und sich dank eines ­mäßig erfolgreich kickenden Fußballclubs den hämischen Slogan „Lieber Fümfdä wie Färddä“ eingehandelt hat (unter Fans des 1. FC Nürnberg eine geläufige Sentenz), hat sich in der ersten Liga der deutschen Theaterkultur einen glanzvollen Spitzenplatz gesichert. 

Das Stadttheater Fürth ist allein architektonisch eine gelungene Inszenierung
Das Stadttheater Fürth ist allein architektonisch eine gelungene Inszenierung

In Fürth und Czernowitz zwei nahezu identische Theatergebäude

Zu verdanken hat sie das zum einen seinen bemerkenswert engagierten und kunstaffinen Bürgern und zum anderen Werner Müller. Seit 1990 ist er Intendant des Fürther Stadttheaters. Müller, Jahrgang 1957, ist Theatermann durch und durch. Er studierte Theaterwissenschaften, Germanistik und Kommunikationswissenschaften in München, war anschließend als Regie- und Dramaturgieassistent am Staatstheater am Gärtnerplatz und für das Bayerische Staatsschauspiel tätig. Später fiel er als Regisseur am Fränkischen Theater Schloß Maßbach auf, wechselte 1988 zur Konzertdirektion Landgraf als Dramaturg und Disponent und machte sich daneben als Gastregisseur einen Namen. Als der gebürtige Schweinfurter 1990 zum Stadtthea­ter Fürth wechselte, übernahm er ein reines Gastspieltheater mit zehn Mitarbeitern. „Ich fand, daß dieses wundervolle Haus viel zu schade war, um nur für Gastspiele genutzt zu werden. Da war viel mehr Potential“, erinnert sich der Intendant.

Und in der Tat ist das pittoreske Stadttheater nicht nur baulich eine Besonderheit. Entstanden ist es in den Jahren 1901/1902, einer Zeit, in der das Bürgertum dank der Industrialisierung reich geworden war. Und zu einer wohlhabenden Stadt – so befanden die selbstbewußten Fürther – gehört allemal ein repräsentatives Theater. Deshalb suchten sie sich entsprechend renommierte Architekten. Die Wahl fiel auf die Wiener Bühnenbaumeister Ferdinand Fellner und Hermann Helmer, die am Bau von 48 Theatergebäuden in ganz Europa beteiligt waren. Die beiden Stararchitekten hatten praktischerweise bereits einen geeigneten Entwurf fertig in der Tasche, eigentlich erarbeitet für die seinerzeit österreichisch-ungarische Stadt Czernowitz (heute in der Westukraine). Aber weil die dortigen Stadtväter finanziell wohl etwas klamm waren und zögerten, verkauften sie ihre Pläne kurzerhand an Fürth. Nach einem Spendenaufruf gingen 283 873 Reichsmark aus der Fürther Bevölkerung für die Realisierung des Bauvorhabens ein. Eine seinerzeit immense Summe, die einem Viertel der Baukosten entsprach. Knapp 60 Prozent davon, und damit den Hauptanteil, brachten die jüdischen Mitbürger der Stadt auf. In nur 14 Monaten Bauzeit entstand – zwischen Frauenkirche und Rathaus – ein Theaterneubau im Stil des Neurokoko; Nachfolger eines in die Jahre gekommenen, schmucklos klassizistischen Zweckbaus. Als sich Czernowitz vier Jahre später dann doch noch zum Bau entschloß, wurde in Fürth bereits seit zwei Jahren Theater gespielt. Heute stehen – bislang noch unbeschadet jeglicher Zerstörungswut – in Fürth und in Czernowitz zwei nahezu identische Theatergebäude.

Szene aus „Swing Street“ (Uraufführung 2020), Musical von Thilo Wolf und Ewald Arenz
Szene aus „Swing Street“ (Uraufführung 2020), Musical von Thilo Wolf und Ewald Arenz

Szene aus „Mayim Mayim“ (Uraufführung 2007), Tanzproduktion zur Erinnerung an die 33 Kinder des jüdischen Waisenhauses
Szene aus „Mayim Mayim“ (Uraufführung 2007), Tanzproduktion zur Erinnerung an die 33 Kinder des jüdischen Waisenhauses

Das Drei-Säulen-Konzept

Im glanzvollen Ambiente dieses prächtigen, denkmalgeschützten Theaters etablierte Intendant Müller ein eigenständiges, innovatives Kontrastprogramm. Grundlage ist das Drei-Säulen-Konzept bestehend aus Eigenproduktionen, Co-Produktionen und Gastspielen nationaler und internationaler Ensembles. Die Eigenproduktion „Die wahre Liebe oder das ist der Mond über Soho“ mit Jutta Czurda wurde mit dem Bayerischen Theaterpreis ausgezeichnet. Uraufführungen wie das gefeierte Musical „Next to Normal“ begannen von Fürth aus ihren Siegeszug über deutsche Bühnen. Müller setzt auf eine gelungene Mischung großer Namen und kreativer Inszenierungen, von Boulevard bis zu anspruchsvollem Tanz-Theater, von Bernd Regenauers erster fränkischer Bieroper „Zum Goldenen Giger“ bis zu Pina Bauschs Tanzproduktion „Orpheus und Eurydike“. Schon eine kleine Auswahl aus dem Programm der ersten drei Monate 2023 macht neugierig: Im Januar 2023 gastiert das Residenztheater München mit „Lulu“ in Fürth; im Februar feiert die Eigenproduktion „Perplex“, eine Komödie von Marius von Mayenburg, Premiere; im März gibt das TNT Theatre Britain mit Shakespeares „Hamlet“ ein Gastspiel; das weltberühmte Nederlands Dans Theater aus Den Haag wird ebenso zu Gast sein wie die Limón Dance Company aus New York; die Thilo Wolf Big Band und der Pianist Martin Stadtfeld gehören zu den Protagonisten des vielfältigen Konzertprogramms; die Leipziger Pfeffermühle und die Berliner Distel sorgen für anspruchsvolles Kabarett; für ein jüngeres Publikum (ab 12 Jahre) wird im März das Musiktheaterstück „Blasse Tinte, Blauer Tag“ uraufgeführt.

Treppenhaus zum ersten Rang, Stadttheater Fürth
Treppenhaus zum ersten Rang, Stadttheater Fürth

Theater für die Menschen

Das Stadttheater Fürth bespielt nicht nur sein „großes Haus“ mit 730 Plätzen mit Musiktheater, Schauspiel, Ballett und Tanztheater, Kinder- und Jugendthea­ter sowie Konzerten, sondern auch das 200 Zuschauer fassende Kulturforum am Ufer der Rednitz, hier vor allem mit modernem Tanztheater, neuer Musik und innovativen Formen des Sprechtheaters. Kleinere Veranstaltungen finden im „Nachtschwärmer-Foyer“ im obersten Geschoß des Stadttheaters statt. „Für unser junges Publikum spielen wir auch in Schulen und in Jugendtreffs“, so Müller. Das Angebot wird ergänzt u. a. durch Workshops, Einführungen, Lesungen, Ausstellungen, Theatergottesdienste und theaterpädagogische Projekte. Auf dem ehemaligen Grundig-Gelände gibt es eine 300 Quadratmeter große Probebühne, Werkstätten und Fundus. Das Stadttheater beschäftigt rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter, seit 2014, ein eigenes Ensemble mit vier Schauspielern. Pro Jahr realisiert das Theater ca. 250 Vorstellungen für rund 120.000 Zuschauer – darunter zehn bis zwölf Premieren und mindestens ein Musical pro Spielzeit. Es gibt wohl keine Theater-Zielgruppe, für die der Intendant und sein Team nicht ein passendes Angebot im Ärmel haben.

Szene aus „next to normal“ (Deutschsprachige Erstaufführung 2013) – Musical von Tom Kitt und Brian Yorkey.
Szene aus „next to normal“ (Deutschsprachige Erstaufführung 2013) – Musical von Tom Kitt und Brian Yorkey.

Szene aus „Orpheus und Eurydice“ (2022) – Tanzoper von Pina Bausch
Szene aus „Orpheus und Eurydice“ (2022) – Tanzoper von Pina Bausch

Seit 2009 lädt das Stadttheater Fürth mit seinem Community-Projekt „Brückenbau“ zudem Laien ein, Theater in seinen verschiedenen Genres und Teilbereichen aktiv zu erfahren und selbst Teil davon zu werden. Mehr als 100 Menschen treffen sich immer montags zum Community-Dance, um ihre Körper in elementare Bewegung zu bringen. In eigenen Werkstätten lernen sie, unter professioneller Anleitung der Mitarbeiter des Thea­ters, zu tanzen, zu spielen, zu singen und zu performen. Und in der Sparte Bürgerbühne bringen begeisterte Laien Theater-, Tanztheater- oder Performance-Stücke unter professioneller Leitung zur Aufführung. „Diese Öffnung des Theaters in die Stadt, in die breite Gesellschaft hinein, das ist aus meiner Sicht die vierte Säule unseres Konzepts, die nicht nur Impulse vom Theater in die Gesellschaft, sondern auch in die andere Richtung, von dort in unsere Arbeit trägt“, so Müller.

Bis in die Details eine Augenweide – Zuschauerraum im Stadttheater Fürth
Bis in die Details eine Augenweide – Zuschauerraum im Stadttheater Fürth

Ja, für die Fürther (aber auch für Gäste aus Nürnberg, Erlangen und dem weiteren Umkreis) hat ihr „zweites Wohnzimmer“ hohen Stellenwert. 5 500 Abonnenten sprechen für sich. Und so manches Thea­terabo wird auch in der Familie weitervererbt. Das außergewöhnliche bürgerschaftliche Engagement der Fürther drückt sich nicht zuletzt in dem rund 2 000 Mitglieder zählenden Theaterverein Fürth aus. Ein ­wesentlicher Erfolgsfaktor, der den Spielbetrieb, den Erhalt des historischen Theatergebäudes und die Ausstattung durch Mitgliedsbeiträge und Spendenaktionen nicht unerheblich fördert.

„Unsere Wurzeln und das, was uns bis heute trägt, ist das Engagement der Fürther BürgerInnen und deren große Liebe zu ihrem Theater“, unterstreicht Werner Müller. „Deshalb bieten wir Theater für alle Altersgruppen und für jeden Geschmack.“  

Mit diesem Konzept hat es Müller geschafft, sein Haus vor „Long Covid“ zu schützen. Bereits heute sind die Zuschauerzahlen nahezu wieder auf Vor-Corona-Niveau. Doch was will das Publikum sehen, in Zeiten von Krieg, Umweltkatastrophen und Pandemien? Müller hält es da ganz mit Bertolt Brecht, der einst postulierte, daß Theater zwar über die politischen Möglichkeiten aufklären, aber zugleich doch auch unterhalten solle. „Ich bin davon überzeugt“, so Müller, „daß auch in schwierigen Zeiten anspruchsvolles Theater gefragt ist.“

Werner Müller, Intendant Stadttheater Fürth
Werner Müller, Intendant Stadttheater Fürth

Werner Müllers letzte Spielzeit

Ende 2023 fällt der Vorhang für die Ära Werner Müller. Nach 33 Jahren verläßt der mit Abstand dienstälteste Leiter eines deutschsprachigen kommunalen Theaterbetriebs die Bühne – zumindest in Fürth. Dem Theatermann kann man nicht ernsthaft abnehmen, daß er so ganz ohne die berühmten Bretter, die die Welt bedeuten, auskommen mag. Seine Nach­folge wird die bisherige Intendantin und Geschäfts­führerin des Stadeum Kultur- und Tagungszentrum im niedersächsischen Stade, Silvia Stolz, antreten. 

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