Ausgabe Januar / Februar 2024 | Essen & Trinken

Ein Haus mit Geschichte

Der Landgasthof Detsch in Haig feiert ­sein 300jähriges ­Jubiläum, eine ­bewegte ­Geschichte und viele Wandlungen. Unter Leitung seiner ­ersten weiblichen ­Patronin hat sich die ­einstige Bierschänke zu ­einem der schmuckesten Landgasthäuser in ­Oberfranken entwickelt.

Text: Sabine Raithel | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Freundlicher Empfang: Das Ehepaar Barbara Detsch und Manfred Schagar
Freundlicher Empfang: Das Ehepaar Barbara Detsch und Manfred Schagar

Barbara Detsch steht in ihrer Küche und schichtet gekonnt ein Pattie aus Angus-Rind, Kürbiskernmayonnaise, Bamberger Rettich, hausgemachtem Zwiebelrelish, einem Apfel aus eigenem Anbau und Coburger Käse zu einem Burger. Nein, das ist kein profaner Allerweltsburger, sondern ausgewiesenermaßen „Frankens bester Burger“. Kein Wunder: Die Komposition ist kreativ, schmeckt einfach wunderbar und zudem stammen alle Zutaten aus der Region – vieles davon aus eigener Zucht (wie das Fleisch vom Angus-Rind) beziehungsweise eigenem Anbau. Regionalität, die genaue Kenntnis darüber, woher die Produkte stammen, Frische und Qualität sind Kernkriterien in der Küche des Landgasthofes. „Keine Fertigprodukte, keine Fertigmischungen – bei uns wird alles hausgemacht und mit frischen Kräutern und Gewürzen abgeschmeckt“, sagt Barbara Detsch, die seit 22 Jahren, gemeinsam mit ihrem Ehemann Manfred Schagar, den Landgasthof Detsch führt. Mit ihrer Art des Kochens ist sie nicht nur stilprägend in der Geschichte des Hauses, sie ist damit auch eine Vorreiterin in der Region. Es ist eine saubere, gesunde Art der Zubereitung, die auch mit großer Offenheit neue Eßgewohnheiten wie den zunehmenden Trend zur vegetarischen oder veganen Küche aufgreift. Deshalb gibt es den Burger auch als fleischlose Variante auf Basis eines Dinkelrisottos mit fermentierten Pilzen und schwarzem Knoblauch. Klingt nicht nur köstlich – ist es auch.

Das gastronomische ­Patriarchat geknackt

Bilder von einst.
Bilder von einst.

Die Patronin trägt eine weiße Kochjacke mit einer eingestickten Signatur: ein Mühlrad, das von zwei Löwen gehalten wird, darunter die Zahl 1723. „Das Wappen begleitet unsere Familie schon seit Generationen. Es findet sich auch auf den Grundmauern des Hauses im Keller. Es weist das verbriefte Schankrecht aus, das unsere Fa­milie im Jahr 1723, also vor 300 Jahren, erhalten hat“, erzählt Barbara Detsch. Von jeher war der Betrieb Gastwirtschaft und Zimmerei. In einem alten Familiendokument hat ein Verwandter die „Gastwirte und Sippenträger des Zimmerer- und Mühlenbauhandwerks“ aufgelistet. Als Gründer der Dynastie wird Johannes Detsch genannt, der den Gasthof von 1723 bis 1775 leitete. Es folgen Johann, Veit, Georg, Adam, Georg Josef, Johann, Baptist und Helmut Detsch. Barbara Detsch hat in der zehnten Generation das gastronomische Patriarchat aufgeknackt und ist die erste weibliche Patronin, die den Familienbetrieb führt. Sie betont: „Man muß aber ganz klar sagen, daß es den Betrieb ohne die Frauen, die in der Familienchronik nicht benannt werden, heute nicht mehr geben würde.“

Bilder von einst.
Bilder von einst.

Dann erzählt sie von den starken, mutigen Gastwirtsfrauen, die oft gegen den Widerstand tradierter Rollenbilder in der Familie, aber auch in der Gesellschaft, angekämpft haben. Barbara Detsch besitzt die Gabe zu erzählen. Das Kopfkino springt an, und man hat ein Filmsujet vor Augen, das einem Joseph Vilsmaier getaugt hätte. Sie erinnert sich an ihre Großmutter, deren Namen sie geerbt hat. „Der Betrieb hatte durch den ersten Weltkrieg stark gelitten. Die Männer waren im Krieg. Die Frauen waren völlig auf sich gestellt. Mit großem Engagement hat meine Großmutter das marode Anwesen wieder auf Vordermann gebracht. Und auch während des zweiten Weltkriegs, der der Familie und dem Betrieb stark zugesetzt hat und große Not und Armut in der Gegend herrschte, hat sie alles zusammengehalten und über die Zeit gerettet.“

Die schwere Zeit

Helmut Detsch, der mittlerweile 84jährige Vater von Barbara Detsch und nach wie vor guter Geist des Hauses, gesellt sich zum Gespräch. Er erinnert sich: „Zwischen 1948 und 1950 herrschte Hunger in Haig. Es war eine ganz schwere Zeit – auch für die Wirtshäuser. Drei davon gab es, bei gerade mal 300 Einwohnern. Es war mühsam.“ Damals sei das Gasthaus noch eine reine Bierschänke gewesen. „Meine Mutter hat 1950 nochmal alles auf eine Karte gesetzt und das Haus von Grund auf modernisiert und ausgebaut“, so Helmut Detsch. Eine richtige Entscheidung. Denn wenige Jahre später, mit der Wirtschaftswunderzeit, blüht auch der Haiger Betrieb auf. Helmut Detsch kramt aus einer Kiste ein altes Foto von seinem Vater heraus. Es zeigt einen stolzen Wirt, der am Zapfhahn eine Maß abfüllt. „Im Jahr 1968 hat mein Vater Baptist Detsch ganze 400 Hektoliter Bier an seine Gäste ausgeschenkt. Er war damit Nummer eins unter den Schankwirten der Weissenbrunner Schult­heiss Bräu.“

Barbara Detsch und Manfred Schagar in der Küche.
Barbara Detsch und Manfred Schagar in der Küche.

1970 übernimmt Helmut Detsch gemeinsam mit seiner Frau Veronika den Familienbetrieb. Jetzt gibt es alle paar Wochen Tanzveranstaltungen und Veronika beginnt damit, bei festlichen Anlässen für die Gäste zu kochen. Das neue Konzept kommt bei den Gästen hervorragend an. Parallel baut Helmut Detsch die von jeher zum Betrieb gehörende Landwirtschaft aus: 20 Milchkühe stehen im Stall und ca. 20 Hektar Land werden bewirtschaftet. Seine Kartoffeln liefert er bis Coburg aus.

Die Abendstunden des 8. Mai 1983 bringen eine tiefe Zäsur für den Betrieb. Bei einem verheerenden Brand fallen Stallungen, Scheune und ein Großteil der Tiere den Flammen zum Opfer. Wenige Tiere können gerettet und bei befreundeten Nachbarn untergebracht werden. Ein schmerzhafter Einschnitt in der Geschichte des Gasthauses. „Zum Glück ist das Stammhaus verschont geblieben. Wir hatten an dem Abend viele junge Leute zu Gast, die alle beim Löschen geholfen haben. So konnte Schlimmeres verhindert werden.“

Im Bild „Frankens bester Burger“.
Im Bild „Frankens bester Burger“.

Oberfranken und Österreich

Dann ist es Zeit für die näch­ste Generation, für die Kinder von Helmut und Veronika Detsch: Barbara und Uli. Nachdem sich ihr Bruder Uli für eine Karriere als Journalist beim Bayerischen Fernsehen in München entschieden hat, beschließt Barbara Detsch die Welt des Kochens zu erobern. Sie absolviert eine Ausbildung zur Köchin in der angesehenen „Post“ in Wirsberg („Als einzige weibliche Kraft in der Küche habe ich dort früh gelernt, mich durchzusetzen“), geht anschließend nach München, dann nach Nürnberg und besucht die Hotelfachschule in Altötting. In München lernt sie ihren späteren Mann Manfred, einen gebürtigen Österreicher und ebenfalls Koch, kennen. Im Rahmen der Aufbruchstimmung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs beschließen sie gemeinsam und nach gründlicher Überlegung, nach Oberfranken zurückzukehren und den Betrieb von den Eltern zu übernehmen.

„Ohne meinen Mann hätte ich das hier nicht gewagt“, sagt Barbara Detsch heute. „Er ist der ruhende Pol und meine wichtigste Stütze.“ Die Familie nimmt viel Geld in die Hand, renoviert den Küchenbereich. In den späten 1990er Jahren wird der Betrieb durch einen Hoteltrakt erweitert. In der Küche entwickelt Barbara Detsch den Stil, der für den Landgasthof heute prägend ist: modern interpretierte fränkische Klassiker und – eine Reminiszenz an die Heimat von Manfred Schagar – auch österreichische Anklänge wie Backhendl, Tafelspitz oder Frittatensuppe. Damit kocht sich das Gastronomenpaar in die Herzen der Oberfranken. Da ihnen faire Beziehungen, biologische Vielfalt, das Klima, Tierschutz, regionale Kreisläufe und die Gesundheit ihrer Gäste sowie gutes, sauberes und faires Essen wichtig sind, schließen sie sich der Slow Food Initiative Deutschland an. Sie züchten Angusrinder und auch Obst und Gemüse aus eigenem Anbau findet sich auf den Tellern wieder – demnächst sogar bio-zertifiziert.

Auf der Speisekarte stehen aktuell Gerichte auf Basis der fränkischen Zwetschge. Barbara Detsch zaubert daraus eine Zwetschgenterrine und auch Zwetschgenrö­ster – eine Liebeserklärung an ihren Manfred und eine gelungene Verbindung von beidem: Franken und Österreich.

Die Gaststube einst ...
Die Gaststube einst …

... und heute
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