Ausgabe September / Oktober 2021 | Natur & Umwelt

„Das Gute schwimmt so nah“

„Gib einem Hungernden einen Fisch, und er wird einmal satt, lehre ihn Fischen, und er wird nie wieder hungern.“ Dieses Sprichwort des chinesischen Philosophen Laotse ist mehr als 2.600 Jahre alt. Aber stimmt das auch heute noch? Michael Kolahsa, Fischereifachberater beim Bezirk Unterfranken, meint prinzipiell ja, wenn bei uns auch keiner mehr hungern müsse. Früher sei es beim Angeln ja tatsächlich ums Überleben gegangen, heute eher um Muse. Viele Anglerinnen und Angler schätzten den Bezug zur Natur. Sie bekämen so ein Gefühl für das empfindliche Ökosystem, und entwickelten ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit. So gesehen ist für Michael Kolahsa Fischen immer noch überlebensnotwendig, sagt er in unserem Interview.

Text: Florian Hiller | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Die Überfischung der Meere ist nicht mehr zu übersehen. Aber wie relevant ist denn die Binnenfischerei? Binnenfischerei und Süßwasser-Aquakultur machen nach Angaben der Welternährungsorganisation rund 40 Prozent der globalen Fischproduktion aus. Ist das eine Lösung des Welternährungsproblems?

Kolahsa: Sagen wir so: es kann ein Teil der Lösung des Welternährungsproblems sein. Ein bekannter Spruch heißt: „das Gute schwimmt so nah“. Das kann ich nur unterstreichen. 40 Prozent ist ja schon wirklich ein beachtlicher Anteil. Aber er könnte und sollte noch höher sein. Jeden Prozentpunkt, den wir von der Meeresfischerei hin zur Binnenfischerei ziehen können, entlastet die Meere. Um den Marktanteil der Binnenfischerei signifikant erhöhen zu können, wären mehr Berufsfischer sicher von Vorteil. In Unterfranken ist die Berufsfischerei leider – wie auch in vielen anderen Regionen – fast gänzlich ausgestorben. Es gibt nur noch zwei Berufsfischer. Durch die Süßwasser-Aquakultur haben wir da schon einen besseren Hebel, um an der Marktsituation etwas zu ändern. Denn um beispielsweise den Handel mit Fisch zu bedienen, muss eine gewisse Planbarkeit gegeben sein. Und das geht mit der Teichwirtschaft natürlich besser, als einfach nur mit dem Boot auf ein Gewässer zu fahren und zu sehen, was dann im Netz ist. 

Unterfrankens Fischereifachberater Michael Kolahsa
Unterfrankens Fischereifachberater Michael Kolahsa mit typisch fränkischen Raub­fischen: Waller und Hecht an der Wand und einem kleinen Tigerhai in der Hand. ­Letzeren in fränkischen Bächen wieder anzusiedeln, wird vermutlich nicht gelingen.

Wäre denn genügend Potenzial vorhanden, um den Marktanteil von Süßwasser-Fisch aus der Region zu erhöhen? 

Kolahsa: Definitiv ja. Wir haben eine gute Infrastruktur in Unterfranken. Wenn die Nachfrage entsprechend dauerhaft steigt, würden die Teichwirte sicherlich ihre Produktion – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – hochfahren können. 

Lassen Sie uns mal über die so genannten Freizeit-Angler sprechen. Für sie dürften die selbstgefangenen Süßwasserfische einen wichtigen Beitrag zur Selbstversorgung mit tierischen Proteinen leisten. Das heißt, der größte Anteil des Fangfischereiertrags aus dem Süßwasser basiert auf kleinskaliger, wenig motorisierter Binnenfischerei.

Kolahsa: Richtig. Freizeit-Angler dürfen bei uns ohnehin nicht vom Boot aus angeln. Sie machen einen riesigen Anteil der gefangenen Fische aus. Teilweise holen Sie bei uns genauso viel Fisch aus den Gewässern, wie Berufsfischer und Fischerzünfte. Deshalb kann ich Ihre Aussage bestätigen, dass die selbstgefangenen Süßwasserfische einen wichtigen Beitrag zur Versorgung mit tierischen Proteinen leisten. Und das ist auch gut so. Vergleicht man die Öko-Bilanz von einem Kilo selbstgefangenem Süßwasserfisch beispielsweise mit einem Kilo Rindfleisch, fällt schnell auf, dass der Fisch aus verschiedenen Gründen viel besser abschneidet. 

Zum Beispiel?

Kolahsa: Für ein Kilo Rindfleisch werden über 15 000 Liter Wasser benötigt – eigentlich Wahnsinn! Von den Transport-Emissionen eines Kilos Rindfleisch aus Argentinien wollen wir gar nicht erst anfangen. Ein Karpfen verbraucht letztlich so gut wie gar kein Wasser – er schwimmt halt drin. Fisch aus der Region ist also immer eine hervorragende Alternative zu Fleisch. 

Slow Food hat vor wenigen Jahren darauf hingewiesen, dass unsere Binnengewässer den Lebensraum einer Vielzahl von Binnenfischarten darstellen, die bislang völlig zu Unrecht als kulinarische Delikatessen verkannt werden. Haben Sie dafür ein paar Beispiele?

Kolahsa: Da gibt es ungezählte Beispiele, bei uns etwa die „Meefischli“. Sie zählen zu den so genannten Weißfischen – dabei handelt es sich um Rotauge, Rotfeder oder Laube. Und hier zeigt sich schon ein Problem beim Ansehen der Fische. In Norddeutschland zum Beispiel sind die Kieler sehr stolz auf ihre „Kieler Sprotten“. Die Franzosen schätzen das Rotauge schon lange als Delikatesse – aber bei uns sind sie immer noch eher als „arme Leute-Fisch“ verpönt. Aber auch Brachse, Döbel, Nase oder Barbe. Alles Fische, die hervorragend schmecken. Viele Leute stoßen sicher noch die vielen Gräten ab. Dabei gibt es ganz einfache Tricks, um die Fische genießbar zu machen. 

Nämlich?

Kolahsa: Man kann das Fleisch einfach durch den Fleischwolf drehen und tolle Fischküchle machen. Viel gesünder als ein normales Fleischküchle – und mindestens genauso lecker, wenn Sie mich fragen. 

Wer lieber ein Fisch-Filet isst, der kann den Fisch mit einem Grätenschneider bearbeiten. Dabei wird das Filet alle 2 Millimeter eingeschnitten und man merkt die Gräten beim Verzehr gar nicht mehr. Ein anderer Geheimtipp ist die Rutte. Sie ist bei uns der einzige „dorschartige“ Süßwasservertreter und schmeckt hervorragend – nur zu empfehlen! 

Wie sieht es denn nun aus mit den Rahmenbedingungen für die Binnenfischerei bei uns – dabei denke ich auch an die Schadstoffbelastungen, Flussverbauungen, Wassertemperaturen oder auch das Austrocknen ganzer Flussläufe. 

Kolahsa: Verglichen mit den Verhältnissen in den 70er Jahren, haben sich die Bedingungen deutlich verbessert. Damals bedeckten vor allem die großen Flüsse meist ein Teppich aus braunem Schaum – sehr unappetitlich. Das hat sich deutlich verbessert. Zu verdanken ist das in erster Linie den mittlerweile sehr leistungsstarken Kläranlagen mit bis zu fünf Reinigungsstufen. Freilich lassen sich damit nicht alle Schadstoffe aus dem Wasser ziehen. Ich denke hier vor allem an die Hormonbelastung. Wir stellen fest, dass es schon zu einer Verweiblichung kommt – das heißt, es schlüpfen überproportional viele weibliche Fische. Die Ursache sehen wir hauptsächlich in Medikamenten, wie beispielsweise die Pille oder auch Schmerzmittel aus Krankenhäusern, die über die Abflüsse in die Gewässer kommen. Man wird sehen, wie hier die Entwicklung weitergeht. 

Tatsächlich ist der Main im -eigentlichen Sinne gar kein fließendes Gewässer. Von Bamberg bis zur Mündung bei Mainz wird der Main von 36 Staustufen unterbrochen. Für Wanderfische ist das ein großes Problem. Der Aal beispielsweise muss also von Bamberg aus 36-mal durch Turbinen schwimmen – man kann hier schon von „Aal-Roulette“ sprechen. Aber Spaß beiseite: man kann froh sein, dass Fische nicht schreien können und das ganze unter Wasser passiert. Stellen Sie sich mal vor, es gäbe irgendwo im Wald so etwas wie eine Turbine und unzählige Rehe fielen dieser täglich zum Opfer. Was das für einen Aufschrei gäbe. Aber Fische haben eben keine große Lobby – zudem haben sie kein kuschliges Fell – wahrscheinlich sind sie einfach nicht süß genug, um auf das Problem aufmerksam zu machen. 

Andererseits sind unsere Binnengewässer nicht nur ein bedeutender Teil der Kulturlandschaft, sie sind immer noch bezüglich Qualität unverzichtbarer Bestandteil einer wertvollen Nahrungsgrundlage?

Kolahsa: Unbedingt! Es gibt wohl kaum ein tierisches Produkt, das so nachhaltig ist wie beispielsweise ein Karpfen. Die Österreicher sprechen bei Karpfenteichen von Juwelen in der Landschaft – und sie haben recht. Ein Karpfenteich ist ein regelrechter Hotspot der Artenvielfalt. Frösche, Reptilien, Insekten und viele verschiedene Vogelarten finden hier einen Lebensraum. Für viele Tiere ist so ein Gewässer eine der wenigen Rückzugsmöglichkeiten in unserer Landschaft. Fische in fließenden Gewässern und viele in Teichen werden überhaupt nicht behandelt – was sich natürlich positiv auf die Qualität auswirkt. Fischteiche leisten bei uns aber noch einen ganz anderen, wichtigen Beitrag für die Natur. Sie sind gerade in unserer trockenen Region wichtig, weil sie Wasser in der Landschaft halten. Regnet es zu viel, dienen die Teiche als Rücklaufbecken. So ein Teich ist ein in sich geschlossenes System. 

Wir verfügen gerade in Franken auch noch über einen beachtlichen Anteil einer handwerklichen Fischerei, die mit ihrer nachhaltigen Ressourcenbewirtschaftung hochwertige Lebensmittel aus nachhaltiger Teich-Bewirtschaftung liefern. Wie sehen Sie das?

Kolahsa: Absolut richtig. Kurz gesagt – die Ressourcen sind Wasser, Schlamm und der Fisch. Der Fisch zieht die Nährstoffe – vor allem Stickstoff und Phosphor – aus dem Wasser. Durch das Abfischen kommen diese Stoffe dann aus dem Teich, was wichtig ist, um den Kreislauf intakt zu halten. Teichwirte leisten einen hervorragenden Beitrag für unsere Umwelt und für eine ausgewogene Ernährung. 

Sollte man nicht mehr an das Bewusstsein der Verbraucher appellieren, auf dieses hochwertige und vor allem auch regionale Lebensmittel gezielt zurückzugreifen?

Kolahsa: Wir sehen es auch als unseren Auftrag an, den Verbrauchern unsere regionalen Fische mehr ins Bewusstsein zu rufen. Neben verschiedenen Messen und dem „Tag der offenen Tür“, sind unsere Kurse sehr wichtig. Nehmen Sie zum Beispiel unseren Kurs zum Verwerten von Weißfischen. Damit wollen wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Scheu vor diesen Fischen nehmen und zeigen, wie einfach es ist, ein schmackhaftes Gericht zu kochen. Wenn das Wissen um die heimischen Fische in der breiten Masse ankommt, bin ich davon überzeugt, dass man den Verbrauch an regionalen Fischprodukten steigern – und auf der anderen Seite den Meeresfisch-Konsum senken kann. Als kleiner Vergleich: derzeit verzehren wir nur etwa 3,5 Kilo Binnenfisch je Einwohner – beim Meeresfisch sind es fast elf Kilo pro Jahr – Sie sehen also, da ist noch Potenzial nach oben. 

Die Binnenfischerei ist eine extensive und naturverträgliche Nutzungsform. Neben dem Aspekt der „Kochtopffischerei“ kommen vor dem Hintergrund der vielfältigen Beeinträchtigungen der Gewässer durch Ausbau und weiterer, die Gewässerstruktur und -güte beeinflussender Nutzungen heute der Binnenfischerei die wichtigen Funktionen der gesetzlich festgeschriebenen Verpflichtung zur Hege der Fischbestände und die der Erholung und des Naturerlebens zu. Was tut der Bezirk Unterfranken, diese Funktion zu fördern?

Kolahsa: Schonzeiten einhalten und den Fischen die Möglichkeit geben, mindestens einmal in ihrem Leben abzulaichen. Wichtig ist auch, Angler aufzuklären und zu beraten, wie ein gesunder Bestand aussieht. Welche Arten dürfen wann mit welcher Größe gefischt werden. Um einen Überblick zu bekommen, führen wir Bestandsaufnahmen durch. Eine unserer zentralen Aufgaben ist es, durch die Nachzucht und den späteren Besatz von Fischen – die auf der roten Liste stehen – deren Fortbestehen zu sichern. Diese Arten sind schließlich für konventionelle Angler und Teichwirte uninteressant. Bei Wasserbaulichen Maßnahmen werden wir gehört. Dabei setzen wir uns immer für Lebensraumverbessernde Maßnahmen ein. Geht es beispielsweise um Wasserkraftanlagen, setzen wir uns dafür ein, dass möglichst schonende Turbinen eingebaut werden, wovon in erster Linie Wanderfische profitieren. Beim Thema Gewässer-Renaturierung sind wir ebenfalls eingebunden und beraten, welche Bauweisen den Fischen entgegenkommen. 

Gerade in Zeiten von Corona haben sich viele Menschen mit Blick auf geschlossene Schwimmbäder und andere Freizeiteinrichtungen nach Alternativen umgesehen. Die hiesigen Binnengewässer haben sich dabei großer Beliebtheit erfreut. Überall war zu beobachten, dass die Leute an Flüssen und Seen Abkühlung und Ablenkung suchten. Was bedeutet dies für die Arbeit der Fischereifachberatung und die Fisch-Fauna?

Kolahsa: Tatsächlich stellt die steigende Zahl der Wassersportler zunehmend ein Problem dar. Durch die ständigen Störungen werden die Fische aufgescheucht – was besonders im Bereich von Laichplätzen problematisch ist. Für die Fische sind zwei Möglichkeiten denkbar: sie gewöhnen sich an die Störungen und stufen sie nicht als Gefahr ein, oder sie tun eben genau das, und ziehen sich eher auf die gefährlichere Bundeswasserstraße zurück. Aufklärung und Dialog sind hier wichtig. Wir müssen die Menschen unbedingt mitnehmen, sonst schwindet die Akzeptanz für einschränkende Maßnahmen. Wir entwickeln hier Konzepte, um eine gute Lösung für beide Seiten zu finden. Das können Ruhe- oder Tabuzonen sein. Besonders in Gebieten, in denen die Fische ablaichen. Infotafeln und Beschilderungen können hier schon hilfreich sein. Das sollte aber eher die „Ultima Ratio“ sein. Wir setzen darauf, dass wir mit transparenter Aufklärungsarbeit ein Verständnis bei den Schwimmern und Paddlern erreichen.

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