Ausgabe September / Oktober 2020 | Natur & Umwelt

Regionaler ­Austausch mal anders

Die Europäische Sumpfschildkröte ist die einzige Schildkrötenart, die auch in Deutschland heimisch ist. Doch ihr Bestand ist bedroht. Deshalb arbeitet der Nürnberger Tiergarten mit einem Verein aus Hessen zusammen. Nun wachsen fünf „hessische“ Sumpfschildkröten in Franken auf, bis sie ausgewildert werden.

Text: Juliane Pröll | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Die jungen Ziesel recken ihre pelzigen Köpfchen, um das Geschehen im Mediterraneum zu überblicken. In dem offenem Gehege leben Tierarten des Mittelmeerraumes. Hinten in einer kleinen Höhle unter der Wärmelampe drängeln sich die Griechischen Landschildkröten zusammen, obwohl es draußen gar nicht kalt ist, und zwei Perleidechsen sonnen sich auf den Steinen des Areals. Doch noch eine andere, ganz besondere Tierart, treibt sich im grün bewachsenen Gewässer am Rand des Geheges herum: die Europäischen Sumpfschildkröten. Zwei erwachsene Exemplare warten auf die Sonne am wolkenverhangenen Junihimmel und recken ihre Köpfchen in die Höhe. Die Europäische Sumpfschildkröte ist die einzige Schildkrötenart Mitteleuropas und damit auch die einzige deutsche Art der gepanzerten Wasserbewohner.

Die Sumpfschildkröte sieht zwar gekonnt exotisch aus, ist aber in diesem Fall sogar eine Biodeutsche.

Mit 100 Gramm gegen ­Freßfeinde

Die fünf handtellergroßen Jungtiere, die sich derzeit für das gemeinsame Artenschutzprojekt des Tiergartens mit der Arbeitsgemeinschaft (AG) Sumpfschildkröte aus Hessen im Mediterraneum befinden, lassen sich leider nicht blicken. Die AG ist ein Zusammenschluß verschiedener Privatzüchter, die in Kooperation mit Zoos und dem Hessischen Umweltministerium die Tiere wieder ansiedeln. Die kleinen Schildkröten, die der Nürnberger Zoo vom Verein erhielt, wachsen nun im Tiergarten auf und werden ausgewildert, sobald sie um die 100 Gramm wiegen. Mit diesem Gewicht haben sie größere Überlebenschancen gegen Freßfeinde wie Reiher, Waschbären oder große Raubfische. Die Schildkröten werden zusätzlich mit Chips für das Monitoring versehen, bevor sie in die Natur entlassen werden. Wenn der Lebensraum paßt, werden sie ausgewildert.

Ziesel und Sumpfschildkröte im Nürnberger Tiergarten. Sie vertragen sich übrigens bestens; womöglich auch, weil sie wissen, daß sie vom Aussterben bedroht sind.

„Urlaubsmitbringsel“ schaden der Population

„Erst wird sichergestellt, daß es in den Gebieten dort keine anderen Schildkröten gibt“, führt Jörg Beckmann, biologischer Leiter des Tiergartens, aus. „Ausgesetzte Haustiere gibt es leider immer wieder.“ Diese Haustiere sind teilweise „Mitbringsel“, zum Beispiel aus dem Italien-urlaub, die ihre Besitzer dann in Deutschland aussetzen, wenn sie zu groß werden. „Das ist eine riesige Gefahr, da diese Schildkröten genetisch nicht hierher passen und dann bastardisieren“, sagt der Biologe.

Die fränkisch-hessischen Schildkröten werden voraussichtlich nächstes Jahr im Frühjahr ausgewildert. Mittlerweile wurden dank des Projekts über 500 Tiere in Hessen ausgewildert. In einigen Projektgebieten haben sich die Schildkröten bereits in freier Wildbahn fortgepflanzt. Das bedeutet wiederum, daß dort die Lebensbedingungen gut sind. Denn das Gewässer muß laut Beckmann biologisch intakt sein, damit die Schildkröten überleben können.

So nah kommt man als Tiergartenbesucher natürlich nicht an die Sumpfschildkröte heran.

Als Fastenspeise über die ­Alpen gekarrt

Wie viele Sumpfschildkröten in Europa derzeit in freier Wildbahn leben, ist nicht bekannt. „Sie sind draußen sehr scheu“, erklärt der biologische Leiter. „Genaue Bestandszahlen sind nicht vorhanden. In vielen Bereichen sind sie ausgerottet, das weiß man.“ Wie viele Schildkröten es früher gab, ist ebenfalls unbekannt. Was die Forscher wissen, ist, daß im Mittelalter die Sumpfschildkröten in Massen auch in Deutschland gefangen wurden, um als Fastenspeise verzehrt zu werden. „Man hat die Tiere wohl damals fuhrwerkeweise zusätzlich noch über die Alpen gebracht“, so Beckmann. Die Sumpfschildkröten sind heute noch bis hinauf ins Baltikum in Europa verbreitet. Der Klimawandel auf dem alten Kontinent dürfte die Schildkröten eher freuen. „Wenn es wärmer wird, kann die Sumpfschildkröte als wechselwarmes Tier davon profitieren“, erklärt der Experte. „Die Eier werden von der Sonne ausgebrütet. Das kommt ihr natürlich entgegen.“ Die Tiere leben in stehenden oder langsam fließenden Gewässern wie Seen. Für die Eiablage benötigen sie sandige, sonnige Bereiche an ungestörten Plätzen.

Kleine und größere Sumpfschildkröten im Tiergarten.

Auswilderung: Eine Sisyphusarbeit?

Früher gingen die Lebensräume der Schildkröten unter anderem durch Gewässertrockenlegung und Flußbegradigungen zurück. Heute gefährden die durch den Klimawandel bedingte Trockenheit die Grundwasserspiegel und damit die Lebensräume der Tiere. Könnte das Züchten und Aussetzen also nicht eine reine Sisyphusarbeit werden, wenn der Lebensraum schrumpft? Jörg Beckmann glaubt an die Sinnhaftigkeit des Projekts: „Gegen den Lebensraumrückgang arbeitet man mit Biotopschutz. Von daher verbessern sich die Lebensbedingungen eigentlich wieder. Zumindest sind die Chancen realistisch, daß das Wiederansiedlungsprojekt erfolgreich ist.“ Die in Bayern großgezogenen Schildkröten werden anschließend an der Bundeslandgrenze auf hessischer Seite wieder angesiedelt. Das Artenschutzprojekt „importierte“ Beckmann von seiner alten Arbeitsstelle dem Opel-Zoo in Hessen. Dort arbeitete er mit der AG Sumpfschildkröte bereits an dem Projekt. Nun führt er die Zusammenarbeit im Nürnberger Zoo fort. Bisher werden noch keine Sumpfschildkröten im Tiergarten Nürnberg gezüchtet. Geschlechtsreife Zuchttiere sind zwar vorhanden, sie haben aber ­bisher keine Eier gelegt. Ob es einst eine eigene bayerische Unterart ­der Sumpfschildkröten gab, darüber streitet sich die Wissenschaft. Doch in Zukunft sollen auch in Franken Nachkommen der einzigen deutschen Schildkrötenart schlüpfen, damit sie ausgewildert werden ­können.

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