Ausgabe September / Oktober 2025 | Kultur

Vom Unort zum Kulturraum

Das Nürnberger Opernhaus muss saniert und erweitert werden. Die Wahl der NS-Hinterlassenschaft Kongresshalle am ­Dutzendteich als Ausweichort ist durchaus brisant.

Text: Gunda Krüdener-Ackermann
Blick in die Zukunft: Im Innenhof der Kongresshalle entsteht derzeit der Theaterbau mit Bühne und Zuschauerraum der Spiel­stätte des Staatstheaters Nürnberg.
Blick in die Zukunft: Im Innenhof der Kongresshalle entsteht derzeit der Theaterbau mit Bühne und Zuschauerraum der Spiel­stätte des Staatstheaters Nürnberg. Foto: Georg Reisch GmbH & Co. KG

„Mauern tragen keine Schuld!“ Ob man diesen Satz des ehemaligen Direktors des Münchner Hauses der Kunst Christoph Vitali mit Blick auf die NS-Architektur so stehen lassen kann? Denn selbst Hitler nannte seine Bauten „Worte aus Stein“. Mauern haben also durchaus etwas zu sagen, zu bedeuten. Manche jener Monumentalbauten, die im Dienste der NS-Propaganda und Machtdemonstration vor allem einschüchtern und beeindrucken sollten, sind zwischenzeitlich zu Erinnerungsorten geworden, andere wiederum nutzt man völlig pragmatisch. Man denke eben an jenes ehemalige „Haus der Deutschen Kunst“ in der Münchner Prinzregentenstraße, das heute allerdings ohne das Adjektiv „deutsch“ zu hochkarätigen internationalen Ausstellungen einlädt.

Nürnbergs Hinterlassenschaften

Da hat Nürnberg mit seinen baulichen Hinterlassenschaften der NS-Zeit eine weit größere Bürde zu tragen. Abgesehen von der Gigantomanie des Reichsparteitagsgeländes, u. a. mit Märzfeld, Großer Straße, Zeppelintribüne und der für 50 000 Besucher geplanten Kongresshalle, ist Nürnberg als Stadt der Reichsparteitage und der Nürnberger Rassegesetze ideologisch stark belastet. Seit dem 20. Juli 2022 steht jedoch mit Stadtratsbeschluss fest, dass die Kongresshalle im Rahmen der mehrjährigen Erweiterung und Sanierung des Nürnberger Opernhauses als Interimslösung eine wichtige Rolle spielen wird.

Der Kongresshallen-Rundbau und seine künftige Nutzung: Die sogenannten Ermöglichungsräume bieten Arbeits- und ­Präsentationsräume (rot) für Künstlerinnen und Künstler, das Staatstheater Nürnberg erhält eine neue Spielstätte (türkis).
Der Kongresshallen-Rundbau und seine künftige Nutzung: Die sogenannten Ermöglichungsräume bieten Arbeits- und ­Präsentationsräume (rot) für Künstlerinnen und Künstler, das Staatstheater Nürnberg erhält eine neue Spielstätte (türkis). Foto: Stadt Nürnberg

Endlich eine akzeptable Nutzung? Denn schon bald nach 1945 hatte man sich immer wieder den Herausforderungen dieser ungeliebten NS-Hinterlassenschaft stellen müssen. Nur geringfügig durch Bombentreffer beschädigt, bot das Kolosseum, so der an das antike Vorbild erinnernde Name, in der unmittelbaren Nachkriegszeit wie nur ganz wenige andere Gebäude eine weitgehend intakte Bausubstanz des unvollendeten Rohbaus. Darauf wollte man nach der fast völligen Zerstörung Nürnbergs nicht verzichten. So war recht schnell ein pragmatischer Umgang mit dem steinernen NS-Erbe angesagt. Vielleicht nahm man sich dabei die amerikanische Besatzungsmacht zum Vorbild, die hier bereits 1945 ein „food warehouse“, ein großes Lebensmitteldepot, errichtet hatte. Schon bald sollten Teile des Gebäudes als Ausstellungs- und Messehalle Verwendung finden. 1949 dann die Deutsche Bauausstellung. Nach der Kriegszerstörung richtete man den Blick wieder nach vorne und wollte hier Möglichkeiten und Perspektiven des Wiederaufbaus aufzeigen. Auch Gerätschaften zur Beseitigung und Wiederverwendung der gigantischen Schuttmassen wurden dem interessierten Messepublikum vorgestellt. Befremdend ist ein Foto aus jener Zeit, als das Café Königshof die Messegäste mit Kaffee und Kuchen vor weiß geschlemmten meterhohen Ziegelsteinwänden in einem Segment der Kongresshalle bewirtet.

Entlang der Rückwand des Zuschauerraums läuft ein Verbindungsgang: Hier kann man auf kurzem Weg die Seiten des Saals wechseln und blickt dabei auf die Fassade des Kongresshallen-Rundbaus.
Entlang der Rückwand des Zuschauerraums läuft ein Verbindungsgang: Hier kann man auf kurzem Weg die Seiten des Saals wechseln und blickt dabei auf die Fassade des Kongresshallen-Rundbaus. Foto: Georg Reisch GmbH & Co. KG

900-Jahr-Feier Nürnbergs 1950

Die Karriere dieses Rundbaus als Messeort hatte nach der 900-Jahr-Feier Nürnbergs im Jahre 1950 allerdings ein Ende. Es stellte die Stadtverwaltung in Zukunft vor das Problem, diese riesige Liegenschaft irgendwie sinnvoll zu nutzen. Sollte man daraus ein Fußballstadion errichten? Mit oder ohne Dach – beides war zu teuer. Auch eine Sprengung hätte immense Kosten verursacht. Vielleicht sollte man lieber nur einen Teil abtragen und die Ruinen bewachsen lassen, quasi eine Renaturierung der unsäglichen Immobilie? 1987 dann die nächste Idee: Wie wäre es, die NS-Altlast in ein erinnerungsloses Multifunktionscenter umzuwandeln? Mit Luxus-Shoppingmall, hängenden Gärten und Swimmingpool? Ganz sicher hätte dieser fast schon frivole Umgang mit der NS-Hinterlassenschaft einen internationalen Imageschaden für Nürnberg bedeutet. So dümpelte die ungeliebte Immobilie in den kommenden Jahrzehnten die meiste Zeit als Lagerstätte vor sich hin: u.a. für das Großversandhaus Quelle, für Altfahrzeuge der Nürnberger Feuerwehr oder für die Marktbuden des Christkindlesmarktes. Auch andere bleibende Gäste haben sich hier eingefunden. Abgesehen von den vielen idealen Nistplätzen für Fledermäuse und Falken, gewährt der südliche Kopfbau seit 1962 den Nürnberger Symphonikern und dem Plattenlabel Colosseum Unterkunft. 2001 wurde im nördlichen Kopfbau das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände eröffnet, und der als Eventlocation vom Publikum gut angenommene Serenadenhof bietet immer wieder hochkarätige Kulturveranstaltungen. Zwischenzeitlich verteilen sich 64 Mietverträge auf verschiedene Gebäudeteile.

Das Opernhaus am Richard-Wagner-Platz wurde 1905 eröffnet. Nach über 120 Jahren Lebenszeit weist das Gebäude bauliche und technische Mängel auf und muss saniert und erweitert werden.
Das Opernhaus am Richard-Wagner-Platz wurde 1905 eröffnet. Nach über 120 Jahren Lebenszeit weist das Gebäude bauliche und technische Mängel auf und muss saniert und erweitert werden.

Spielstätte für das Staatstheater Nürnberg

Zukünftiger Blick in den Innenhof: Erst auf den zweiten Blick wird der Theaterbau in seiner Gesamtheit sichtbar.
Zukünftiger Blick in den Innenhof: Erst auf den zweiten Blick wird der Theaterbau in seiner Gesamtheit sichtbar. Foto: Georg Reisch GmbH & Co. KG

Jetzt aber wird diesem Bau eine weitere Bestimmung zugedacht. Das 1905 errichtete denkmalgeschützte Opernhaus in der Nürnberger Innenstadt ist dringend sanierungsbedürftig. Diese Baumaßnahmen werden mindestens zehn Jahre dauern. Für einen solch langen Zeitraum braucht es eine temporäre Spielstätte, denn die Erweiterung und Sanierung des Opernhauses können nicht während des laufenden Spielbetriebs erfolgen. Nach langem Hin und Her konnte sich der Stadtrat auf die jetzt Gestalt annehmende Lösung einigen. Diskutabel wurde jener (für viele) Unort Kongresshalle bereits ab 2020. Denn damals dachte Nürnberg im Zuge der Kulturhauptstadtbewerbung dort sog. Ermöglichungsräume für Kunst und Kultur zu errichten. So sollte das Raumangebot für Künstlerinnen und Künstler der freien Szenen erweitert werden. Dieses Konzept wird nun bei den Kulturbauprojekten in der Kongresshalle verwirklicht: Vier Segmente des Rundbaus sind für Ateliers, Werkstätten, Probe- und Ausstellungsräume für Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Sparten vorgesehen. Sechs Segmente werden die erforderlichen Räume für den Theaterbetrieb beherbergen: Garderoben, Gastronomie, Foyer, Fahrstühle etc. Die Renovierung des Kolosseums beschränkt man hierbei auf das Nötigste: In der Zwischenzeit geht es bei dem denkmalgeschützten Altbau vor allem um den Substanzerhalt. Es braucht in jedem Fall eine Sanierung des Hauptdachs und die Säuberung der Wände, wobei der Rohbaucharakter der Ziegelmauern erhalten bleibt.

Die Computergrafik zeigt den Blick von der Bühne in den Zuschauerraum mit 800 Plätzen.
Die Computergrafik zeigt den Blick von der Bühne in den Zuschauerraum mit 800 Plätzen. Foto: Georg Reisch GmbH & Co. KG

Der Kongresshallen-Rundbau bietet ausreichend Platz für Foyers und die Backstage-Bereiche des Staatstheaters, aber nicht für die Bühne, den Orchestergraben und den Zuschauersaal. Dafür muss der sogenannte Ergänzungsbau errichtet werden. Für dessen Standort gab es unterschiedliche Vorschläge. Im Juli 2022 hat der Nürnberger Stadtrat beschlossen, dass dieser Theaterbau im nordwestlichen Bereich des Innenhofs verortet sein wird. Der Entwurf des Stuttgarter Architekturbüros LRO mit seiner Idee einer „Nicht-Architektur“ hat im Juli 2024 den Zuschlag dafür bekommen. Das Konzept erinnert in gewisser Weise an die wieder vom Dschungel verschluckten Maya-Tempel in Mexiko. Der Ergänzungsbau soll nämlich im Laufe der Jahre von allen Seiten und vom Dach her als von Pflanzen überwucherter Kubus enden. Denn in den 30erJahren des letzten Jahrhunderts hatten die Nazis mit dem Bau der Kongresshalle und überhaupt mit dem gesamten NS-Areal den Waldbestand des Naherholungsgebietes rund um den Dutzendteich erheblich reduziert. Im Innenhof der Kongresshalle selbst jedoch kann kaum etwas gepflanzt werden, hatte man doch das ehemalige Sumpfgebiet mit gewaltigen Beton-Fundamenten für das monströse Gebäude bebaubar machen müssen. So ist es der Kubus, der mit seiner zuwuchernden Begrünung für ein bisschen „Renaturierung“ dem damaligen Umweltfrevel entgegenwirken soll.

Aber nicht nur das soll der Ergänzungsbau umsetzen, vielmehr „… bedarf es eines äußerst sensiblen Umgangs …, der der herausragenden denkmalpflegerischen und erinnerungskulturellen Bedeutung gerecht wird“, informiert die Stadt Nürnberg. Was dieser Bau alles leisten soll, das erinnert beinahe an die sprichwörtliche „eierlegende Wollmilchsau“. Denn das Ganze soll funktional, ästhetisch ansprechend, überzeugend angebunden an den schon bestehenden Rundbau und vor allem eben historisch-interpretatorisch nicht verfänglich sein. So darf etwa die Dominanz des sog. Domenig’schen Pfahls“ des Dokuzentrums im nördlichen Kopfbau nicht relativiert werden.

Kritikpunkte am Standort des Neubaus

Der Eingangsbereich des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände im nördlichen Kopfbau der Kongresshalle. Der gläserne „Domenig’schen Pfahl“ durchtrennt die massige Bausubstanz und stört die rechtwinklige Geometrie des NS-Baus nachhaltig.
Der Eingangsbereich des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände im nördlichen Kopfbau
der Kongresshalle. Der gläserne „Domenig’schen Pfahl“ durchtrennt die massige Bausubstanz und stört die
rechtwinklige Geometrie des NS-Baus nachhaltig.

Im Vorfeld galt es Kritik an dem Neubau zu entkräften. Wichtiges Argument etwa gegen den Standort war, dass der öde, unfertige Innenhof der Kongresshalle, der einmal überdacht Tausenden von Zuhörern und einer Sprechertribüne für den Führer Raum bieten sollte, letztendlich als Mahnmal für das Scheitern des NS-Regimes steht. Nicht nur der ganz spezielle Ort, sondern auch die nun zugedachte Funktion könnten Probleme aufwerfen. Als Kulisse von Opern und Ballett mit Hauptbühne, Orchestergraben und bis zu 800 Zuschauern könnte die Kontamination des Ortes vergessen werden. Dennoch muss man sich wohl davon verabschieden, die Sensibilität aller Zuschauer in die „richtige Richtung“ lenken zu wollen. Wenn man das auch versucht, etwa mit dem Eingang durch die Kongresshalle, mit einer Sichtachse, die auch die brutale, rohe Ziegelmauer nicht aus dem Blick lässt. Aber haben sich die Zeiten nicht sowieso schon geändert? Ein problematischer Ort? So what? Viele junge Leute beispielsweise haben die imposanten Arkaden des Rundbaus in der Zwischenzeit völlig unbedarft als megacoole Location für stylische Fotoshootings entdeckt.

Wie die neue Nürnberger Spielstätte mit ihren Kosten von insgesamt rund 176 Millionen Euro – davon entfallen rund 86 Millionen auf den Ergänzungsbau – nach der Wiederinbetriebnahme des innerstädtischen Opernhauses weiter genutzt wird? Das mutet wie ein Blick in die Glaskugel an. Doch eigentlich geben das die hierfür aufgewendeten Fördermittel des Freistaats Bayern zwingend vor. Denn sie besagen, dass die einmal geplante Verwendung 25 Jahre beizubehalten ist. Aber muss man sich darüber schon jetzt wirklich den Kopf zerbrechen? Dies wird dann die Aufgabe künftiger Generationen sein.

Der Theaterbau im Innenhof der Kongresshalle nimmt Gestalt an. Seit dem ­offiziellen Start im Dezember 2024 macht das Bauprojekt rasante Fortschritte. Foto: Stadt Nürnberg / Ilona Falk
Der Theaterbau im Innenhof der Kongresshalle nimmt Gestalt an. Seit dem ­offiziellen Start im Dezember 2024 macht das Bauprojekt rasante Fortschritte. Foto: Stadt Nürnberg / Ilona Falk

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