Kopfarbeit
Hüte haben eine lange Tradition. Und trotzdem hatte es eine ganze Weile den Anschein, als gehörten sie zu einer aussterbenden Spezies. Ein Irrtum, wie man heute weiß. Laura Zieger hat immer an die Bedeutung ihres Handwerks geglaubt. Seit kurzem führt die junge Modistin einen renommierten Hut-Laden in der Würzburger Innenstadt. Ein Ortstermin in einer Zukunfts-Werkstatt.
Text + Fotos: Markus Mauritz

Der Hut warf einen Schatten um ihn, „einen Schatten von männlicher Einsamkeit“. So beschreibt Peter Härtling in einem seiner Romane den Titel-Helden „Hubert“, nachdem der sich gleich zu Beginn der Handlung einen Hut gekauft hat. Dass ein Hut etwas mit seinem Träger oder seiner Trägerin macht, weiß Laura Zieger schon lange. „Der passende Hut verleiht einem eine aufrechte Haltung – von Kopf bis Fuß“, sagt die Mitdreißigerin, die seit kurzem ihr eigenes Geschäft in Würzburg führt. „Der passende Hut fördert das Selbstbewusstsein!“
Aneinandergereiht und aufeinander gestapelt warten in den Regalen im Verkaufsraum Hüte in allen angesagten Formen darauf, aufgesetzt und anprobiert zu werden: die klassischen Fedoras der coolen Leinwandhelden zum Beispiel, so einen wie Alain Delon als „eiskalter Engel“ trägt, oder Outdoor-Hüte mit breiter, nach unten geneigter Krempe à la Indiana Jones, Trilbies oder Porkpies mit ganz schmalen Rändern, wie sie manchmal Jazz-Musiker aufhaben, die Kopfbedeckung lässig nach hinten geschoben. Für Frauen gibt es abenteuerlich weite Hüte, mit denen sich jederzeit bei einem englischen Pferderennen reüssieren ließe – oder bei einer prestigeträchtigen Oldtimer-Rallye wie der „Franken Classic“. Klein daneben die putzigen Fascinators, die wie ein Hauch von Nichts beim großen Auftritt das Köpfchen schmücken.
„Im Sommer waren die Modelle meist aus Stroh“, sagt Laura Zieger mit einem Blick auf ihr breites Angebot. „Das ist der beste Schutz vor UV-Strahlung“. Jetzt, im Herbst überwiegen Modelle aus Filz. Und immer öfter fertigt sie auch ganz individuelle Hüte nach den Wünschen ihrer Kundinnen und Kunden an. Schließlich hat sie das Modistinnen-Handwerk von der Pike auf erlernt. Der Entschluss, Hutmacherin zu werden, kam ihr nach dem Abitur während ihres Freiwilligendienstes in einer Blindenschule in Peru. Die Farben der Quechua-Trachten hätten sie dazu inspiriert – „und meinen Blick geweitet, auch auf die eigene Heimat“, meint sie.

„Hüte waren immer mein Ding“, sagt sie. Schon als Kind: „Meine Mutter hatte eine Schwäche für Hüte – ob bei der Arbeit auf ihrem Bauernhof in der Nähe von Arnstein oder für das perfekte Outfit beim Ausgehen samstagabends. „Ich konnte mir Mutter ohne Hut gar nicht vorstellen“, sagt Laura Zieger. Deshalb kam sie schon als Kind die ersten Male in den Hut-Laden von Maria Helsper, genau jenen Laden, den sie vor ein paar Monaten übernommen hat.
Maria Helsper hat Würzburger Hut-Geschichte geschrieben. Sie eröffnete ihr Geschäft in der Augustinerstraße vor mehr als dreißig Jahren. Damals hielt man Kopfbedeckungen für überflüssig, weil niemand mehr in Kälte und Regen zu Fuß unterwegs sein musste und man die mühsam in Form geföhnten Haare nicht unter Mützen oder Hüten verbergen wollte. Zu jener Zeit, in der Peter Härtlings Roman spielt, galten Kopfbedeckungen bestenfalls als exzentrisch: Als Hubert seinen Hut aufsetzt, sieht ihm ein Arbeitskollege zu, „als beobachte er einen Schauspieler bei der Kostümierung“. Diese Zeiten sind definitiv vorbei, das zeigt schon der Augenschein bei einem Bummel durch eine Fußgängerzone: man trägt wieder Hut!
Dennoch war es für Laura Zieger gar nicht so einfach, eine Lehrstelle zu finden. In einem Potsdamer Meister-Betrieb wurde sie dann fündig – auch wenn man ihr mit Verweis auf die ausländische Billig-Konkurrenz und wandelnde Moden von diesem Beruf abriet. Laura Zieger ließ sich von derartigen Ratschlägen nicht beeindrucken. Sie war schon damals von der Renaissance des Handwerks überzeugt, und davon, dass sich Qualität immer durchsetzt. Nach drei Jahren hatte sie ihren Gesellenbrief in der Tasche und machte sich auf in die Welt. In London klopfte sie bei zwei legendären Hut-Designerinnen an, bei Jess Collett, die den opulenten Kopfschmuck für Kate Middleton zur Krönung von König Charles entworfen hat, sowie bei Gina Foster, die regelmäßig für die jungen Royals arbeitet. Beide Star-Modistinnen gaben der jungen Hutmacherin aus Unterfranken eine Chance. „In England haben Hüte einen höheren Stellenwert als bei uns“, fand Laura Zieger damals heraus. Und auch, dass auf der Insel die Ausbildung weniger genormt ist. Dort lerne man eher durch learning by doing.

Zurück auf dem Kontinent, arbeitete sie zunächst bei einem großen unterfränkischen Textilhersteller und gründete 2015 ihr eigenes Label: „Hutgemacht“. So heißt jetzt auch der renommierte Laden, den sie zu Beginn des Jahres von Maria Helsper übernommen hat. Was ihr von Anfang an vorschwebte, war das Gegenteil von „Fast Fashion“, nichts, was man massenweise herstellt, billig verkauft oder billig kauft und am Ende der Saison in die Tonne tritt.
Wer so wie sie in der unterfränkischen Abgeschiedenheit aufgewachsen sei, habe Sinn für Tradition. Aber auf dem flachen Land lerne man auch, die Kreativität zu nutzen. Aus einem Filz-Stumpen einen schicken Hut zu gestalten, sei „durchaus ein wenig altmodisch“, räumt Laura Zieger ein. Schließlich verwende man Holzformen, Rohstoffe und Methoden, die seit Generationen nicht verändert wurden. Aber andererseits mache sie niemals denselben Hut zweimal. Immer falle ihr etwas Neues ein: „Eins zu eins gibt es nicht“, sagt Laura Zieger.
„Ein Hut soll glücklich machen“, ist Laura Zieger überzeugt. „Der richtige Hut ist wie der Punkt auf dem i.“ So wie bei jenem Hubert im Roman von Peter Härtling, als er aus dem Hutladen tritt: „Draußen, auf dem Weg zum Parkplatz, war er noch eine Weile irritiert über das Verhalten des Hutverkäufers, doch schon änderte sich sein Schritt, wurde lässiger, er ging ein wenig nach vorn geneigt, nicht sonderlich schnell, aber wachsam.“