Kleine Welt, riesengroß
Die Welt im Elektronenmikroskop. Arbeiten des Würzburger Wissenschaftsfotografen Stefan Diller
Text: Wolf-Dietrich Weissbach | Fotos: Stefan Diller

Die 66teilige TV-Serie „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“ aus den 1990er Jahren war vermutlich auch schon ganz lustig; inzwischen, unter der Knute von MAGA wäre sie (für das Trump-Lager) allerdings eine Horrorvision. Das Kleine (und gar wissenschaftlich Erarbeitete) verdient aus der heutigen amerikanischen Weltsicht – so hat es den Anschein – und unter Dobrindt selbst bald bei uns, abgeschoben zu werden.
Eine leise Ahnung von der Großartigkeit des Kleinen vermitteln Arbeiten des Würzburger Wissenschaftsfotografen Stefan Diller. Er beschäftigt sich mit einer Welt, die sich unseren Augen für gewöhnlich verschließt.
Er „fotografiert“ mit dem Elektronenmikroskop Objekte vornehmlich aus den Bereichen Biologie, Botanik und Mineralogie; Materialien von Pflanzen, winzigen Lebewesen und Zellen in den bizarrsten Formen und Strukturen, vom Borkenkäfer über die Honigbiene (die auch bereits im gigantischen Format 32 x 40 Meter in „Carola Garden“ von Yadegar Asisi in Leipzig ihren Auftritt hatte), von der Nelkenwurz bis zur Spargelblüte, der Pimpernuß bis zum Pferdehuf und selbst Toilettenpapier – alles von oft nur haaresbreiten Bildfeldern, deren Größe sich im Mikrometerbereich befinden. Ein Mikrometer ist ein Tausendstel Millimeter und besteht aus eintausend Nanometern. Ein menschliches Haar hat ca. 70 Mikrometer im Durchmesser.
Das Intensitätsbild des Präparates

Alle Bilder entstehen mit einem modernen Feldemissions-Rasterelektronenmikroskop (MIRA3 von TESCAN – das etwa den Kaufpreis eines Ferraris hat). Die kleinste damit sichtbare Einzelheit ist einen Nanometer groß (oder 4 Kohlenstoff-Atome nebeneinander …).
Das trockene und elektrisch leitfähige Objekt wird im Hochvakuum von einem Elektronenstrahl abgetastet, die „zurück-reflektierten“ Elektronen erzeugen, grob gesagt, ein schwarzweißes Intensitätsbild des Präparates (wie gesagt: grob …; ein bißchen mehr Physik ist noch dabei …). Die Bilddaten werden komplett elektronisch erzeugt (Zeile für Zeile gescannt) ohne die Verwendung einer Kamera oder Makro-Optik.
Im Rasterelektronenmikroskop kommt jede Bildinformation nur aus dem Durchmesser des Elektronenstrahls. Wenn man ein Detail im Bereich weniger Nanometer sehen möchte, darf der Strahl nicht größer als diese Einzelheit sein. Elektronenoptisch gesehen „vergrößert“ sich dieser Strahldurchmesser nur sehr wenig beim Lauf in die Tiefe eines Präparates. Deswegen werden weiter voneinander entfernt liegende Einzelheiten ähnlich scharf abgebildet. Der Schärfegewinn gegenüber einer optischen Abbildung beträgt etwa das Tausend- bis Zehntausendfache.
Und alles in Farbe! Dafür hat Stefan Diller eine spezielle Art der Kolorierung entwickelt: „Mein Rasterelektronenmikroskop (REM) kann auch bunt, mit Hilfe von farbigen Bildsignalen aus achtzehn Detektoren. Das muß man sich so vorstellen wie mit Farbfolien versehene Scheinwerfer in der normalen Photographie, die das Objekt aus verschiedenen Richtungen beleuchten. Es ist also keine Farbe, die mit der Wirklichkeit des Präparates etwas zu tun hat, sondern eine ästhetische Entscheidung des Mikroskop-Bedieners.“
nano-flights
Der in Kronach geborene und in Würzburg lebende Photograph Stefan Diller beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit wissenschaftlicher Fotografie. Und er hat sich längst internationale Reputation (europa- wenn nicht weltweit) erarbeitet. Nicht zuletzt mit seinen technisch von ihm selbst entwickelten „nano-flights“, also mikroskopischen Filmen, in denen der Betrachter scheinbar über die Oberflächen bzw. um die Präparate „fliegt“, die sich wie aus einer unbekannten Welt vor seinem Auge entfalten. Für diese neue Art der Wahrnehmung von Mikrostrukturen im Rasterelektronenmikroskop entwickelte Stefan Diller, wie bereits erwähnt, die nanoflight®-Technik und wurde dafür 2013 mit dem Technikpreis der Deutschen Gesellschaft für Elektronenmikroskopie ausgezeichnet. In den nur wenige Minuten dauernden Kurzfilmen, die u. a. für verschiedene TV-Sender, wie BR, 3sat, TerraX oder die BBC Natural History Unit in Großbritannien erstellt wurden, steckt ein sehr hoher Arbeitsaufwand von vielen Hundert Stunden am Elektronenmikroskop. Dabei liegt es wohl nahe, daß Stefan Diller durch seine andere Leidenschaft neben der Photographie, dem Fliegen – seit 1993 macht er den Luftraum über Deutschland und darüber hinaus unsicher – auf die Idee mit den nano-flights kam.
Kurzum: Die den geistigen Horizont des Betrachters zweifellos weitenden Wissenschafts-PR kann mit ihrem bizarren oder gar grotesken Formenreichtum vor allem auch Künstler anregen.
(1) Selbstorganisierende Materie – Bildfeld: 77 x 100 Mikrometer
(2) Nelkenwurz, Blüte – Bildfeld: 7930 x 11100 Mikrometer
(3) Borkenkäfer – Bildfeld: 3523 x 5179 Mikrometer
(4) Geranie, zonale Hybride – Bildfeld: 2307 x 3229 Mikrometer