Ins Manhattan der Antike
Würzburgs neue Partnerstadt Syrakus
Text: Wolf-Dietrich Weissbach

So schön, interessant, bisweilen sogar über den Tourismus hinaus: Wie bedeutsam die Partnerstädte zwischen meist europäischen Städten zu den urbanen Zentren Frankens auch immer sein mögen, die Partnerschaft zwischen Würzburg und Syrakus in Sizilien ragt heraus. (Die Stadt Würzburg pflegt aktuell offizielle Beziehungen zu zwölf Partnerstädten, zwei Freundschaftsstädten und einer Patenstadt auf vier Kontinenten.)
Die Partnerschaft mit Syrakus verdankt sich nun allerdings nicht irgendwelcher Gemeinsamkeiten, sondern im strengen Sinne, den Menschen. Seit vielen Jahren sitzen mit Antonino Pecoraro (Grüne) und Emanuele La Rosa (CSU) zwei gebürtige Sizilianer im Würzburger Stadtrat, die mit langem Atem diese Partnerschaft in die Wege geleitet haben. Am 26. März 2018 unterschrieb schließlich der Würzburger OB Christian Schuchardt mit Giancarlo Garozza, Bürgermeister von Siracusa, zunächst den Freundschaftsvertrag; am 17. Mai 2025 mit Alessandro Di Mauro, den Präsidenten des Stadtrates von Siracusa, den Partnerschaftsvertrag. Wie gesagt, das nicht etwa auf der Grundlage eher mühsam ausfindig gemachter Gemeinsamkeiten. Gut, die beiden Städte haben heute in etwa gleichviel Einwohner (Syrakus rund 122 000, Würzburg 133 000). Darüber hinaus aber würde der Vergleich – natürlich haben beide Sehenswürdigkeiten, Kultur und Geschichte – zwanghaft und für die Mainmetropole eher nachteilig ausgehen.
In der lange vor der griechischen Kolonisation von Sikelern besiedelten Gegend gründeten um 734 v. Chr. griechische Siedler aus Korinth auf der Insel Ortygia („Wachtelinsel“) die Stadt Syrákusai am Ionischen Meer. Rund 400 Jahre später war Syrakus eine Weltstadt, die bereits mehr als 200 000 Einwohner hatte. Unter der Herrschaft von Tyrannen, allen voran Dionysios I. (ca. 430 – 367 v. Chr.) von Syrakus, der zu den mächtigsten Tyrannen der Antike gehörte, gelang es mehrere Jahrhunderte, sich den Angriffen fremder Eroberer zu erwehren. Die kriegerischen Auseinandersetzungen haben bis heute nicht bevorzugt „ruinöse“, sondern, sagen wir, politikgeschichtliche Spuren hinterlassen. Das dürfte es wohl sein, was die Städtepartnerschaft mit Würzburg besonders interessant macht. Dazu muß man sich natürlich in den entsprechenden Reiseführern informieren oder besser noch in Geschichtsbüchern und philosophischen Abhandlungen wie „Plato und Dionys – Geschichte einer Demokratie und einer Diktatur“ (1968) von Ludwig Marcuse (1894 – 1971) oder – wenn man es eher unterhaltsam wünscht – in autobiographisch ausgeschmückten Berichten wie „Die Versuchung von Syrakus“ (2023) des Dichters, Schriftstellers und Intendanten der Berliner Festspiele (2000 – 2011), Joachim Sartorius, der 1946 in Fürth geboren, in Tunis aufgewachsen, heute in Berlin und Syrakus lebt. Er verbindet auf wunderbare Weise Geschichte und Erzählung, Sehenswürdigkeiten mit eigenen Präferenzen, berichtet von Gesprächen mit Freunden, doziert über Dichter und Denker – die Literaten, die Sizilien und Syrakus, besuchten, sind Legion: Von D.H. Lawrence bis Ezra Pound, dem politisch fragwürdigen Dichter der „Pisaner Cantos“ (die natürlich nicht nach Sizilien gehören); ferner von Johann Gottfried Seume, dem berühmten Fußgänger mit seinem „Spaziergang nach Syrakus“ (1802), bis Guy de Maupassant und André Gide, von Rabindranath Tagore bis Sigmund Freud und Ernst Jünger. Nicht zu vergessen, der Dichter aus Ansbach, August von Platen, der vor etwas über 100 Jahren auf der Flucht vor der Cholera in den Armen eines Dieners des Barons Landolina (sizilianische Adelsfamilie) in Syrakus starb und auf dessen Anwesen er auch beerdigt wurde, da es auf Sizilien keine protestantischen Friedhöfe gab.

Aus aller Welt kamen die Persönlichkeiten, irgendwann der Stadt ihre Aufwartung zu machen und ihren Geist einzusaugen, von Winston Churchill, über den französischen Philosophen Jacques Derrida (1930 – 2004) und, salopp gesprochen tausend Jahre vorher, Pindar, der hier einige seiner Oden verfaßte, bis Marcus Tullius Cicero (106 bis 43 v. Chr.), römischer Redner, Politiker und Philosoph, für den Syrakus die „größte und schönste aller griechischen Städte“ war, bis hin zu dem griechischen Philosophen Platon (428/427 – 348/347 v. Chr.). Platon ist es endlich, der die Fachwelt mit seinem „siebten Brief“, in dem er sich für seine drei Reisen nach Syrakus (388, dann 366 und schließlich 361 v. Chr.) … ja, sagen wir ruhig: rechtfertigt, bis heute beschäftigt. Ein bißchen, weil nach wie vor nicht gesichert ist, ob der besagte „Brief“ auch wirklich von ihm stammt.
Gleichwohl, er war überzeugt, daß es zu den Aufgaben eines Philosophen gehöre, in die Politik einzugreifen, aber er sah in seiner Heimatstadt, der Demokratie in Athen, dafür keine Chance. Zumal seiner Ansicht nach Demokratie immer in Gewaltherrschaft endet. Sein Versuch, die Tyrannen von Syrakus (Dionysios I. und II.), trotz guter persönlicher Kontakte, von seiner Philosophie zu überzeugen, ihre unbeschränkte Macht für die Umgestaltung von Staat und Gesellschaft zu nutzen, scheiterte – nach zweieinhalb Jahrtausenden darf man besserwisserisch wohl „natürlich“ anfügen.
Nutzt man in Würzburg nun womöglich die Städtepartnerschaft, um sich mit der Geschichte von Platons Beratertätigkeit zu beschäftigen, wird man feststellen, daß sich seit damals gar nicht so viel geändert hat. Das ist irgendwie erschreckend.
Egal, eine Städtepartnerschaft sollte in Franken und Sizilien, in Würzburg und Syrakus, am besten gemeinsam, zur Wachsamkeit veranlassen.