Gesunde Füße braucht das Land
Nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe in afrikanischen Ländern kann viele Gesichter haben. Eines davon ist das Projekt „Feuerkinder“ der Rummelsberger Diakonie in Schwarzenbruck im Nürnberger Land. Unter der Leitung der Kinderorthopädin Dr. Annemarie Schraml operiert ein engagiertes Team von Fachkräften gehbehinderte Kinder im Norden Tansanias. Nur gesunde Füße ermöglichen erste Schritte hin zur eigenen Existenz.
Text: Gunda Krüdener-Ackermann | Fotos: Dr. Annemarie Schraml

Offensichtlich tief beeindruckt von Bernhard Grzimeks Film „Serengeti darf nicht sterben“ begab sich der Anästhesist und Nürnberger Notarzt Dr. Heinz Giering 1998 auf Urlaubsreise nach Tansania. Der Blick des Arztes auf das Land mit seiner vielfältigen Fauna und der imposanten Landschaft, wie dem Kilimandscharo-Massiv, war aber nicht nur ein touristischer. Ihn interessierten auch die Menschen vor Ort und ihre Nöte. Ein Besuch im Rehabiltations Center in Usa River, einer Einrichtung der Meru Diözese der evangelisch-lutherischen Kirche in Tansania, stand somit auch auf seinem Programm. In dieser Einrichtung für behinderte Jugendliche erfuhr Dr. Giering von den sog. „Feuerkindern“ und ihren ganz besonderen Problemen. Kleinkinder geraten in afrikanischen Ländern oft zu dicht an offene Feuerstellen und ziehen sich so furchtbare Verbrennungen zu. Unbehandelt beeinträchtigen die Brandnarben lebenslang. Denn die Narben entstellen nicht nur, sondern behindern auch das Wachstum des Bewegungsapparates. Um auch solche Kinder fit für ihren Alltag als Erwachsene zu machen, braucht es oft mehrere Hauttransplantationen, sowie plastische und orthopädische Operationen. Hinzu kommen vor Ort noch viele Kinder mit sog. Klumpfüßen oder stark deformierten Beinen, hervorgerufen durch Mangelernährung.Die dortige Not beeindruckte Dr. Giering nachhaltig. Diesen Kindern musste geholfen werden. Wieder zurück in Deutschland, kann er davon auch die damalige Chefärztin der Orthopädischen Klinik Wichernhaus Rummelsberg Dr. Annemarie Schraml überzeugen. Mit im Team Oberschwester Erika Depner.
Im Jahr 2000 fliegen die drei zu ihrem ersten Einsatz. Sie kommen in ein Land mit rund 120 verschiedenen Stämmen und ebenso vielen Sprachen. Zum Glück spricht man im Osten Tansanias, dem Einsatzgebiet, Englisch. Fein säuberlich verpackt die OP-Bestecke, die Medikamente, Gipsbinden, Narkosemittel … einfach alles Notwendige hatte das Team aus Franken für diesen ersten Einsatz im Nkoaranga-Krankenhaus mitgebracht. Vieles von deutschen Spendengeldern finanziert, einiges auch Leihgaben der Rummelsberger Klinik. Wolfgang Kopp, ein Diakon vor Ort, hatte für das deutsche Team bereits vierzig Kinder aus verschiedenen Einrichtungen ausgewählt. Zunächst beschränkte sich das OP-Team nur auf sog. Weichteil-Operationen. An knöcherne wagte man sich noch nicht, war doch die Infektionsgefahr unter den anfänglich äußerst einfachen Bedingungen zu groß.
In den rund drei Wochen hatte das Team dann alle Kinder behandelt, die jetzt mit ihren Gipsverbänden noch vier bis fünf Tage im Krankenhaus bleiben mussten, bevor man sie zurück in ihre Einrichtungen bringen konnte. Nur vierzig Kinder? Aber da waren doch so viel mehr, die unbedingt Hilfe brauchten. Das Hilfsangebot der deutschen Ärzte hatte sich wie ein Lauffeuer rumgesprochen. Und da stand sie dann, die Mutter mit ihrem Kind, das leider die Nummer einundvierzig war und für dessen Versorgung kein Material mehr da war. Konnte man diese Mutter in ihrem Kummer einfach so zurücklassen? „Next year! We will come back!“
Ein Jahr später waren sie dann wieder da, die Frau mit ihrem kranken Kind und Dr. Schraml, die deutsche Ärztin. Es wurde operiert. Und so war aus einer einmaligen Aktion ein Projekt gewachsen, das nun bereits seit 25 Jahren besteht. Stolz kann man auf bisher rund 3 000 Operationen und 8 000 ambulante Behandlungen zurückblicken. Zu schaffen sind diese jährlich ca. 150 Eingriffe ganz sicher nicht mehr mit drei Leuten. Von Jahr zu Jahr wächst das Team von wechselnden Ärzten, Krankenschwestern, Physiotherapeuten und Orthopädietechnikern. Federführend ist nach Dr. Gierings Rückzug Dr. Annemarie Schraml, seit 2005 auf Kinderorthopädie spezialisiert und von 2012 bis 2017 Chefärztin der Abteilung Kinderorthopädische Chirurgie und Orthopädie an der Cnopf’schen Kinderklinik des Klinikums Hallerwiese in Nürnberg.
Eine beeindruckende Frau, wenn sie in ihrer klaren und unaufgeregten Art erklärt, wie den gehandicapten Kindern in Tansania geholfen wird. Sie zeigt Fotos mit Klumpfüßen. Da wird auch dem Laien klar, dass man auf solchen Füßen kein normales Leben bestreiten kann. Die Therapie-Methode der Wahl ist die sog. Ponseti-Behandlung mit ihren Etappengipsen. Schritt für Schritt wird damit die Fehlstellung des verkrüppelten Fußes korrigiert, bis das Kind auf seiner Sohle stehen kann.

Dr. Schraml erzählt die beeindruckende Geschichte von Peter. Der saß tagein tagaus vor der Hütte der Familie. Aus Scham über seine extrem verkrüppelten Klumpfüße hatte er sich draufgesetzt, um sie zu verstecken. In Folge bedeutete das für ihn eingesteifte Kniegelenke. Man brachte den Jungen ins Nkoaranga-Krankenhaus. Es begann eine mehrjährige Behandlung, von den Knien bis über beide Füße. Dann konnte Peter endlich auf eigenen Beinen stehen. Denn um den Kreislauf der Armut durchbrechen zu können, sind die Menschen gerade in armen Ländern auf die Funktionstüchtigkeit ihrer Beine angewiesen.
Um fit for life zu sein, bedarf es jedoch auch einer Ausbildung. Dem begabten Peter ermöglichte eine Rummelsberger Initiative den Besuch einer Primary Schule. Im weiteren Verlauf schaffte er es sogar mit diversen Stipendien bis zu einem Hochschul-Studium. Was für eine Laufbahn! Trotz der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Tansania ist Peter jetzt im Krankenhaus untergekommen als Angestellter für die Materialbeschaffung und Krankenbetreuung. Eine Erfolgsgeschichte von vielen, die das Land so bitter nötig hat!
Es sind jedoch nicht nur die vielen OPs oder die Aus- und Weiterbildung von Fachpersonal, sondern auch die ständigen Erweiterungen und die sich laufend verbessernde Ausstattung des Nkoaranga-Krankenhauses, die beeindrucken. Was im Jahr 2000 mit dem Einbau erster Fliegengitter an den Fenstern des OPs begann, geht weiter mit der neuen Ausstattung eines zweiten Operationssaales und dem Bau einer orthopädischen Werkstatt (beides 2009), der Anschaffung von Röntgengeräten und anderem technischen Equipment bis hin zur Errichtung einer neuen gynäkologischen und geburtshilflichen Station (Einweihung 2024) – um nur einige Highlights zu nennen.
Die konkrete Hilfe kann nicht im Mikrokosmos des Krankenhauses enden. Wer mit Weitblick agiert, erkennt, dass rund um die medizinischen auch die sozialen Probleme von immenser Bedeutung sind. So können viele arme Familien die Operationen ihrer Kinder nicht zahlen und sind auf Spenden angewiesen. Hinzu kommt, dass dortige Väter aus Scham über ein behindertes Kind nicht selten ihre Familien verlassen. Damit fällt der Ernährer weg. Mit Kleinkrediten an die Mütter versucht man, diesen eine Einkommensquelle für ihre Familien zu schaffen.
Auch Schwierigkeiten ganz anderer Dimension, denen man fast schutzlos ausgeliefert ist, kommen in Tansania an. Zum Beispiel der Klimawandel. War früher Verlass auf den alljährlichen Wechsel von Regen- und Trockenperioden, ist das längst nicht mehr der Fall. Hinzu kommt der unsägliche Krieg in der fernen Ukraine. Durch ihn werden die Getreidezukäufe für arme Länder wie Tansania fast unerschwinglich.

In jedem Fall ist es ein weites Feld, das Dr. Annemarie Schraml und ihre Mitarbeiter dort zu bestellen haben. Zumindest ist etwa die Diagnostik mit modernen Kommunikationsmitteln um einiges leichter geworden. Röntgenbilder etwa können via WhatsApp zur Begutachtung jetzt direkt nach Deutschland geschickt werden. Das bedeutet allerdings, dass Dr. Schraml mit ihren 73 Jahren nun wieder einen Fulltime-Job hat. An Rückzug von dieser ihrer Lebensaufgabe denkt die Ärztin allerdings nicht. „So lange es eben geht!“, sagt sie, gerade wieder von einem Einsatz aus Tansania zurückgekehrt.
Spendenkonto:
Projekt Aktion-Feuerkinder, IBAN: DE53 5206 0410 0103 5099 82