Das Leben der Ottilie von Faber-Castell
Kaum eine andere Persönlichkeit aus der Familie und Firma Faber-Castell wurde so oft in den Medien erwähnt wie Ottilie Gräfin von Faber-Castell. Obwohl nur wenige Quellen zu ihrem Leben überliefert sind, wurde ihre Geschichte literarisch verarbeitet und sogar verfilmt. Dadurch entstanden zahlreiche Legenden – diese Kurzbiografie soll Fakten und Einordnung bieten.
Text: Emilia Gerstel | Fotos: Archiv Faber-Castell

Der Aufstieg der Familie Faber
Der kleine Bleistiftmacherbetrieb, den Kaspar Faber im 18. Jahrhundert in Stein gründete, erlebte im 19. Jahrhundert einen Durchbruch. Lothar Faber (1817 – 1896) modernisierte die Produktion, das Sortiment und etablierte die Marke A. W. Faber international. Für seine Leistungen – insbesondere im sozialen Bereich – wurde er 1862 geadelt und 1881 in den erblichen Freiherrnstand erhoben. Die Nachfolge war früh geregelt: Sohn Wilhelm Freiherr von Faber (1851 – 1893) sollte sowohl das Unternehmen als auch die von Lothar gegründete Familienstiftung weiterführen.
Frühe Verluste und Verantwortung
Ottilie Freiin von Faber (genannt „Tilly”) wurde am 6. September 1877 als älteste Tochter von Bertha (1856 – 1940) und Wilhelm von Faber geboren. Sie wuchs gemeinsam mit ihren jüngeren Schwestern Sophie (1878 – 1951) und Hedwig (1882 – 1937) in Stein auf. Die Gräfinnen erhielten am Max-Joseph-Stift in München eine ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechende Ausbildung für „Höhere Töchter“.
Doch trotz des behüteten Umfelds blieb Ottilies Jugend nicht von Schicksalsschlägen verschont. Zwei ihrer jüngeren Brüder, Lothar (1880 – 1883) und Alfred (1886 – 1890), starben früh an Diphtherie bzw. Scharlach. Der wohl schwerste Einschnitt erfolgte im Jahr 1893, als Ottilie erst 16 Jahre alt war und ihr Vater Wilhelm an einem Herzanfall verstarb. Dieser frühe Verlust prägte sie nachhaltig und markierte zugleich einen Wendepunkt in ihrem Leben.
Lothar bestimmte nämlich, dass Tilly als älteste Enkeltochter die Familienstiftung übernehmen sollte. Die Firma A. W. Faber war jedoch nicht Teil der Stiftung. Das Unternehmen ging vollständig in das Eigentum von Lothars Witwe, Ottilie Senior, über. Die Geschäftsführung sollte allerdings in den Händen der bewährten Mitarbeiter verbleiben.

„Ein Lichtstrahl in dem Leben der Familie Faber“
Voller Freude beschrieb Tillys Großmutter die Verlobung Ottilies mit Alexander Graf zu Castell-Rüdenhausen, einem Vertreter einer der ältesten deutschen Adelsfamilien. Die Hochzeit im Jahr 1898 war das erste schöne Ereignis im Leben der Familie von Faber seit Langem. Gemäß der testamentarischen Verfügung von Freiherr Lothar von Faber sollte der Name Faber für alle Zeiten mit dem Unternehmen verbunden bleiben. So entstand mit Genehmigung des bayerischen Prinzregenten Luitpold das neue Grafengeschlecht „von Faber-Castell“. Tilly entwarf das Wappen des neu gegründeten Familienzweigs.
Das Ehepaar unternahm eine Hochzeitsreise in die USA und ließ sich anschließend in Stein nieder. Bereits im Jahr 1899 kam die erste Tochter, Elisabeth (1899 – 1986), zur Welt. Insgesamt bekam die junge Familie fünf Kinder. Leider verstarb der älteste Sohn Wolfgang (1902 – 1903) im Alter von sieben Monaten. Dies war ein weiterer Schicksalsschlag im Leben der Gräfin und ihrer Familie.
Als 1903 der Grundstein für das Neue Schloss gelegt wurde, das an das Alte Schloss in Stein angrenzte, zog die Familie in das Schloss Schwarzenbruck. Dort erblickte unter anderem das jüngste Kind und gleichzeitig der Stammhalter, Graf Roland (1905 – 1978), das Licht der Welt. Nach der Fertigstellung des Neuen Schlosses im Jahr 1906, für dessen Inneneinrichtung Tilly zuständig war, bezog das Ehepaar den Schlosskomplex.
Die Firmenleitung
Bereits im Jahr 1900 nahm Lothars Witwe Graf Alexander als Teilhaber in das Unternehmen auf. Nach ihrem Tod im Jahr 1903 ging die Firma an ihre Enkelin, Gräfin Ottilie von Faber-Castell, und deren Ehemann über. Alexander übernahm von nun an die Firmenleitung, leitete die Firmenkonferenzen und nahm aktiv an ihnen teil. Ottilies Beteiligung an der Unternehmensführung ist nicht bekannt – in den Konferenzprotokollen wurde sie jedoch nie als Teilnehmerin genannt. Dafür widmete sie sich den damaligen gesellschaftlichen Erwartungen entsprechend vor allem ihren familiären und vielfältigen sozialen Aufgaben. Dazu gehörten repräsentative Pflichten bei öffentlichen Anlässen ebenso wie die Fürsorge für die Familien der Werksangehörigen, insbesondere bei Geburten und Todesfällen.


Die Trennung und der Neuanfang
„Heute komme ich mit einer großen Bitte zu dir: Gib mich frei! Ich merke schon seit einem Jahr, daß [sic!] unsere gegenseitigen Gefühle nicht mehr dieselben sind…“
Diese Zeilen erreichten Graf Alexander im Jahr 1916, als er an der Front war. Ottilie entschloss sich, entgegen allen sozialen Erwartungen und Normen, zu einem außergewöhnlichen Schritt: Sie gab ihr bisheriges Leben auf, um ein neues Leben in Dresden an der Seite von Baron Philipp von Brand (1868 – 1935) zu beginnen. Zwei Jahre später wurde sie von Alexander geschieden und heiratete kurz darauf Philipp von Brand. Mit ihm verbrachte sie siebzehn glückliche Ehejahre auf Schloss Neidstein.
Tilly übertrug die Familienstiftung ihrem Sohn Roland. Nach der Scheidung war Graf Alexander Alleininhaber der Firma und bewohnte das Steiner Schloss noch mehrere Jahre mit den Kindern und später mit seiner zweiten Ehefrau Gräfin Margarethe (Margit) von Zedtwitz (1886 – 1973) sowie mit dem Sohn aus dieser Ehe, Graf Radulf zu Castell-Rüdenhausen (1922 – 2004).
Gräfin Ottilies Kontakt zu den Kindern war in der ersten Zeit nach der Scheidung aufgrund des Schuldspruchs begrenzt. Erst nach Alexanders Tod im Jahr 1928 normalisierten sich die Verhältnisse zwischen der Mutter und ihren Kindern.
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Das Vermächtnis
Ottilie starb am 28. September 1944 im Alter von 67 Jahren in Nürnberg an den Folgen eines eigentlich harmlosen operativen Eingriffs. Sie wurde neben Philipp in Etzelwang begraben.
Sie ist nicht nur eine Figur der Familien- und Firmengeschichte, sondern ihr und Alexanders Vermächtnis lebt im Marken- und Familiennamen sowie im Familienwappen weiter. Letzteres bildete sogar die Grundlage für die Premiummarke „Graf von Faber-Castell“. Vor allem das Schloss der Familie von Faber-Castell zeugt vom Leben einer adeligen Familie zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
