Zu Besuch bei Mama Wutz
Berühmte Marionetten der Augsburger Puppenkiste haben ganze Kindergenerationen mit ihren dramatischen Abenteuern gefesselt und fasziniert. Somit war es höchste Zeit, jenen Augsburger Stars an Fäden ein Museum zu widmen.
Text: Gunda Krüdener-Ackermann | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

In 2023 feierte die Augsburger Puppenkiste mit einer Sonderausstellung ihr 75jähriges Jubiläum. Der erste hölzerne Geselle, der gestiefelte Kater, spazierte erstmals 1948 über die Bretter, auf denen in Zukunft eine Welt der Märchen und Fantasie entstand, die klein und groß noch heute in ihren Bann zieht. In verschiedenen Vitrinen würdigt das Museum daher all seine unvergessenen Helden – wie Jim Knopf oder das Urmel. Eigentlich beginnt die Geschichte der Augsburger Puppenkiste jedoch bereits mitten im 2. Weltkrieg in Frankreich. Genau genommen in Calais. Dort fand der ehemalige Augsburger Schauspieler Walter Oehmichen in einer Schule ein kleines Puppentheater. Das und die Bekanntschaft mit einem Puppenschnitzer inspirierten ihn nachhaltig.
Wieder zu Hause zimmerte Oehmichen ein kleines Haustheater, das aus einem verschließbaren Guckkasten und drei fahrbaren Bühnenwagen für die Kulissen bestand. Zuschauer vor diesem „Puppenschrein“ war zunächst einmal die eigene Familie. Aber schon bald saß die nicht mehr vor dem Vorhang, sondern half dahinter mit. Ein Familienunternehmen, später unter dem Namen Marschall, war geboren. Es funktioniert bis heute. Erste Aufgabe war es, verwundete Soldaten oder oft kriegstraumatisierte Kinder aufzuheitern. In der Ausgburger Bombennacht vom 26. Februar 1944 verbrannte jedoch der „Puppenschrein“. Soweit die schlechte Nachricht. Die gute: einige Holzmarionetten der ersten Stunde überlebten das Inferno.
Jede Menge Holzköpfe
Wie die Figuren im Prinzip bis heute entstehen, also modern gesprochen das making-of, zeigt gleich zu Beginn die erste Station des Museums an einer Originalwerkbank aus den fünfziger Jahren. Jede Menge Holzköpfe hängen darüber von der Decke herab, die einem irgendwie bekannt vorkommen. Helmut Kohl zum Beispiel, Edmund Stoiber, oder Hans-Dietrich Genscher… Denn nicht alle Stücke der Puppenkiste sind für Kinder gedacht, sondern immer wieder gibt es auch Inszenierungen für Erwachsene, wie das alljährliche politische Kabarett. Und ganz gleich welcher Holzkopf – alle werden aus leichtem, gut abgelagertem Lindenholz geschnitzt. Allein Oehmichens Tochter Hannelore, verheiratete Marschall, hat bis zu ihrem Tod im Jahr 2003 über sechstausend davon gefertigt.
Eines der Markenzeichen der Augsburger Marionetten ist, daß sie leicht und beweglich sind. Für den Corpus unter den fantasievollen Kostümen verwendet man daher neben besagtem Holz vor allem Draht und Leder. Wichtig für die charakteristischen Bewegungen ist das Knickknie der Puppen. Auch die Augen aus Schusternägeln, in denen das Licht reflektiert, sind etwas Besonderes. Glasaugen wären zwar die bessere Wahl gewesen, aber die waren in den Anfangszeiten schlichtweg zu teuer, und tote, nur aufgemalte Augen wollte man nicht. Den Mund bewegen kann keine der Figuren. Das von den Spielern Gesagte muß die Fantasie des Zuschauers den Puppen zuschreiben. Lebendig werden die Figuren erst durch die Kunst der Puppenspieler, die in der Regel zehn bis zwölf Fäden beherrschen müssen. Gar nicht so leicht, wenn man im Museum mal probeweise selbst an den Strippen ziehen darf. Schwierig ist für die Fadenführer, daß sie ihr Spiel nur mit Blick von oben kontrollieren können. Denn so läßt sich kaum erkennen, ob die Figuren Bodenhaftung haben oder schweben. Bei Elfen mag das angehen, ja kann durchaus gewollt sein, aber beim polternden raubauzigen Räuber Hotzenplotz auf seiner Diebestour? Das geht gar nicht. Daher klackern die Figuren mit Metallplättchen an den Füßen hörbar über die Bretterbühne.

Vater Drache, Mutter leider nur Nilpferd
Dennoch ist jene Art Schwebezustand nicht völlig vermeidbar; genau genommen ist sie sogar das Charakteristische von Marionetten. So schon als Faszinosum des „mechanischen Gliedermanns“ in seinen Betrachtungen über das Marionettentheater von keinem geringerem als Heinrich von Kleist festgehalten. Die besondere Anmut dieser Figuren rührt seiner Ansicht nach daher „weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt, größer ist als jene, die sie an die Erde fesselt“. Darüber ließen sich trefflich noch längere philosophische Betrachtungen anstellen.
Eigentlich will man nichts anderes, als endlich hinein ins blanke Vergnügen des Museums: zu den in den Schaukästen in Szene gesetzten Stars der Puppenkiste der vergangenen Jahre. Hier wird auch deutlich, warum sich der Bühnen-Spielplan so sehr von den Fernsehserien unterscheiden muß. Letztere mit ihren ständigen Ortswechseln von Lummerland bis China wie bei „Jim Knopf“ oder von der Insel Titiwu bis nach Pumpolonien wie bei „Urmel“– so etwas ist auf einer kleinen Bretterbühne nicht machbar. Umso mehr freut es die Fans, ihre TV-Helden aus Holz wenigstens in im Museum „leibhaftig“ zu begegnen. Jim Knopf, der Lokomotivführer, oder Seine Durchlaucht König Alfons den Viertelvorzwölften, der zwar im Schlafrock, aber allzeit in exekutiver Bereitschaft für das Wohl seiner Untertanen sorgt. Da gibt es Frau Waas mit ihrem kleinen Laden, den entsetzlichen Drachen Frau Mahlzahn, der Kinder mit Rechenaufgaben grausig quält, den kleinen Halbdrachen Nepomuk, dem es versagt ist, furchterregend Feuer zu speien, – um nur einige wenige Figuren dieses zauberhaften Mikrokosmos aus der Feder von Michael Ende aufzuzählen.
In einem anderen Schaukasten begegnen wir der TV-Szenerie des Baby-Sauriers Urmel aus dem Eis, einer Figur des Kinderbuch-Autor Max Kruse. Lange vor dem Jurassic-Park-Fieber war dem beim Kauf seiner ersten Gefriertruhe die Idee gekommen, daß es gar nicht so abwegig sei, ein noch intaktes Saurier-Ei im ewigen Eis zu finden…

Politikverdacht
Ein weiterer Augsburger Star ist Kater Mikesch, dessen Motorrad man knatternd und aus dem Auspuff blitzend losfahren ließ. Früher war dafür als special effect eine simple Wunderkerze im Auspuff TV-tauglich. Heute kann man natürlich nicht mehr so „primitiv“ agieren.
Ungewollt politisch wurde die Puppenkiste in den achtziger Jahren. Da hatte doch die feine Katze mit Hut – auch hierzu eine Vitrine – in dem von ihr gemieteten Haus einer illustren Gesellschaft Obdach gewährt: etwa der Puddingbrummsel, einer großen Hummel, die für ihr Leben gern ihren Rüssel in Pudding taucht. Oder Baby Hübner, ein musikliebendes, aber völlig unbegabtes Wildschweinkind, das begleitet von seinem schrägen Gesang tollkühn in die Klaviertasten hackt. Die und noch etliche andere seltsame Mitbewohner waren dem Vermieter ein Dorn im Auge. Welche Anstrengungen der aber auch unternahm, es gelang dem reichen Dickwanst nicht, diese Bagage aus seinem Haus zu vertreiben. Eine Situation, die in jenen Jahren manchem Eigentümer von realen Hausbesetzern beschert wurde. Vielleicht war der Politikverdacht jedoch nicht ganz so abwegig?! Denn ein weiterer Schaukasten des Museums zeigt ein Szenario von 1997. Es geht um den subversiven Kampf der Ratte Monty Spinnerratz und ihrer Bande zusammen mit dem Kanaligator Charon gegen den Immobilienspekulanten Mr. Dollart. „Now Puppenkiste goes Hollywood!“, könnte man hier sagen. Denn in Kooperation mit der US-amerikanischen Filmgesellschaft Warner Bros. wurde daraus ein preisgekrönter Fantasyfilm. Vorbei schienen für die Augsburger Puppenkiste die Zeiten einer gewissen Provinzialität, in denen Filmkulissen für die Produktionen des Hessischen Rundfunks noch im Theaterfoyer aufgebaut wurden. Mit ihrem Sendebeginn am 21. Januar 1953, nur vier Wochen nach der ersten Tagesschau, zählte die Puppenkiste zu den Pionieren des Deutschen Fernsehens. Hunderte von TV-Produktionen, Serien und Kurzfilme sollten folgen. Die Augsburger Stars an Fäden waren vor allem in den 1960er bis 80er Jahren fast überall bekannt.
Das Ende der Fernseh-Karriere
Dann 2011 das Ende der Fernseh-Karriere. Jim Knopf, Schlupp vom grünen Stern, der kleine dicke Ritter „zu langsam, zu langweilig“ – „nicht mehr zeitgemäß“. Und das, obwohl führende Pädagogen schon längst immer dringlicher vor der Reizüberflutung von Kindern durch moderne Medien warnen. Noch sind es die Großeltern- und die Elterngeneration, die die Kinder mit ihrer Begeisterung für die Puppenkiste anstecken. Aber wird das auf Dauer so bleiben? Einfalls- und abwechslungsreich gilt es daher neue Pläne zu schmieden. Das Museum selbst setzt neben den bekannten Stars auf ein zweites Standbein. Immer wieder präsentiert man Sonderausstellungen mit Begleitprogramm mit vielen, auch interaktiven Mitmachstationen für die großen und kleinen Besucher.